Es ist ein Fluch: "Wie mit Regenschirmen". Diesen Vergleich zieht Markus Becker, Abteilung Informationsverarbeitung bei Boehringer Ingelheim. "Man deponiert sie an allen möglichen Stellen - im Auto, im Büro, daheim. Aber wenn es anfängt zu regnen, hat man dennoch keinen zur Hand."
Zwar keine Regenschirme, aber weit über 1500 Edelstahlcontainer sind es, die in den Produktionshallen in Ingelheim ihren Dienst tun. Und manches Mal war nicht eindeutig nachzuverfolgen, wo sich ein Container gerade befand, ob er leer und gereinigt war oder vielleicht befüllt im Lager stand. Mithilfe von RFIDTags schaffte das Pharmaunternehmen Klarheit.
Zwei Typen von Spezialbehältern gibt es in Ingelheim: Die einen transportieren das Granulat, aus dem beispielsweise Tabletten hergestellt werden, die anderen befördern die fertigen Medikamente. Mehrere tausend Tabletten oder Kapseln passen in solch einen Behälter.
In der weitläufigen Produktion, die sich bei dem Traditionsunternehmen über eine große Fläche und mehrere Gebäude erstreckt, spielen die Behälter eine wichtige Rolle. Sie werden je nach Bedarf in den verschiedenen Produktionsbereichen eingesetzt. Kommt es bei den Containern zu Engpässen, können die Materialien nicht produziert und transportiert werden, die Herstellung wird behindert.
Ungenutztes Einsparpotenzial
Auch wenn sich durch ein konsequentes Behälter-Management Neuanschaffungen einsparen ließen, legen bislang nur wenige Unternehmen Wert auf eine sorgfältige Dokumentation ihres Behälterkreislaufs in der Produktion. Auch die IT deckt das Thema meist nur teilweise ab. SAP-Systeme beispielsweise registrieren lediglich solche Behälter, die gerade befüllt sind.
Für die Logistikspezialisten von Boehringer Ingelheim war das ein Anlass, nach einer Lösung für die Erfassung der Behälter zu suchen. Mittels RFID, so das Ziel, ließe sich der genaue Bestand beziffern und dokumentieren, der Zustand (gereinigt / ungereinigt) wäre nachvollziehbar, und nicht zuletzt sollte sich jeder Container orten lassen. Ausreißer, die unbemerkt und ungenutzt herumstehen, gehörten somit der Vergangenheit an.
Die Idee, mittels RFID Abhilfe zu schaffen, ist keineswegs neu, wird aber nach wie vor selten umgesetzt. Wie eine Studie der Universität St. Gallen bereits 2006 feststellte, ist der Einsatz der Technologie im Behälter-Management nicht nur sinnvoll, sondern auch lohnenswert: "Mit relativ geringem Arbeitsaufwand lässt sich so die operative Steuerung von Behälterkreisläufen verbessern", schreibt der Autor Harald Bachmann.
Transparenz für Prozesse und Kosten
Ein RFID-System unterstütze Unternehmen in der Organisation des Produktionsablaufs und mache bestimmte Aufwendungen erst sichtbar. "Unternehmen ohne ein IT-gestütztes Behälter-Management kennen die Hälfte ihrer wichtigsten behälterbezogenen Kosten nicht", lautete eine Erkenntnis der damaligen Umfrage.
Und es ließen sich weitere Vorteile belegen: etwa, dass Unternehmen, die ihren Behälterbedarf regelmäßig planen, auch die Reichweiten ihrer Bestände und damit das gebundene Kapital deutlich reduzieren können. Auch die Verwaltungskosten lassen sich durch eine stärkere Automatisierung der Behälterkreisläufe senken.
Die Autoren der Studie empfehlen den Einstieg in das RFID-gestützte Behälter-Management in geschlossenen logistischen Systemen, da hier ein "vergleichsweise geringes finanzielles Risiko" bestehe. So geschehen bei Boehringer Ingelheim, wo man zunächst den Einsatz der neuen Technik sorgfältig vorbereitete.
"Die erste Frage war, ob die RFID-Tags überhaupt auf Edelstahl funktionieren", erzählt Markus Becker. Unterlagen wie Kunststoffe oder Textilien sind kein Problem für die funkenden Plättchen - Flüssigkeit oder
Metall hingegen schon.
Unter Laborbedingungen stellten die Ingenieure fest, dass RFID auf dem Metall ihrer Behälter funktioniert. Allerdings mit großen Unterschieden: "Wir haben beispielsweise gelernt, dass Tags, die sich bei "Trial and Error"-Versuchen als gut erwiesen, bei der messtechnischen Ermittlung ihrer tatsächlichen Sendeleistung deutliche Schwächen aufwiesen", merkt Becker an.
Ein weiterer Punkt war die Entscheidung zwischen aktiven und passiven Tags. In Ingelheim kommen passive Tags zum Einsatz, die weit kostengünstiger sind und nicht alle paar Jahre eine neue Batterie benötigen.
Auf virtuellem Server installiert
Die Hardwarefrage war somit - theoretisch - gelöst, im nächsten Schritt ging es um die Software beziehungsweise die Umsetzung des Vorhabens. "Hier kam die IT mit ins Spiel", berichtet Markus Becker. Seine Abteilung Informationsverarbeitung richtete ihr Augenmerk vor allem auf die nahtlose Integration in die vorhandene IT-Infrastruktur in Ingelheim.
Bereits zur Erkundung der Lesegeräte und Chips erprobt und bewährt hatte sich eine Speziallösung der Softwarefirma Silverstroke. Anfang vergangenen Jahres fiel die Entscheidung, sie dauerhaft einzusetzen. Mit "TagPilot" setzte Boehringer Ingelheim auf eine Middleware, die sich zentral verwalten lässt, keine zusätzliche Hardware benötigt und sich in die Ingelheimer IT-Infrastruktur einbinden ließ.
In weniger als vier Monaten waren die Systeme implementiert, die Lesegeräte installiert und die Anbindung an das Rechenzentrum abgeschlossen. TagPilot ist jetzt auf einem virtuellen Server installiert. Je nach Standort der Lesegeräte werden spezifische Daten weitergegeben: Kommt ein Container etwa aus der Reinigungsanlage, schaltet das System seinen Status auf "gereinigt". Eine Datenbank sammelt diese Informationen, und die Anwender greifen per Web-Browser darauf zu.
Behälter mit Lebenslauf
Unter anderem finden sie so auch die Position der Behälter heraus. Die Software visualisiert den Aufenthaltsort und zeigt die Behälterbestände in grafischen Arealen an. "Damit konnten wir unmittelbar nach der Inbetriebnahme die ersten Ausreißer bei den Standzeiten identifizieren", so Markus Becker. "Jetzt haben wir Ansatzpunkte, um solche Ausreißer in Zukunft zu vermeiden und unsere Behälter effizienter zu nutzen." Wartungs- und Prüfintervalle werden eingehalten, und sämtliche Reparaturen und sonstigen Arbeiten an den teils sehr empfindlichen Behältern sind nachvollziehbar. Über das RFID-System können die Verantwortlichen in Ingelheim praktisch den gesamten Lebenslauf eines Behälters abrufen.
Über diesen Mehrwert hinaus wollen sie die gesammelten Daten weiter auswerten. Denkbar ist eine Messung der Produktionsauslastung anhand von Inhalt und Bewegung der Behälter. Fest steht: Der Einstieg in die RFID-Technologie mit dem Behälter-Management war nur der Anfang. Mittlerweile hat Boehringer Ingelheim ein eigenes RFID-Kompetenzzentrum gegründet und plant die nächsten Ausbaustufen des Projekts.