„ICH SOLL IHNEN SAGEN: Er hat das Material“, sagt die Frau an der Pforte des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS in Immenstaad am Bodensee. Und schon öffnet sich die Schranke, ein grüner Jeep passiert. Etwas geheimnisumwittert sind viele Projekte, die hier entstehen: Das Kernelement zur strategischen Aufklärung der Bundeswehr etwa entsteht hier auf dem Gelände.
Seit zwei Jahren entwickeln 30 Spezialisten das so genannte Nutzerbodensegment (NBS) der fünf Aufklärungssatelliten SAR-Lupe – Mitarbeiter im Bereich Defense and Communication Systems (DCS), dem Systemhaus der EADS. „SAR-Lupe ist ein Radarsystem und der erste Schritt Deutschlands in die strategische Aufklärung“, erläutert Axel Popella, verantwortlich für die NBS-Entwicklung bei EADS. Das Sammeln von Informationen in Zeitreihen ist dafür kennzeichnend, um Veränderungen auf dem Boden zu erkennen – „etwa für die Embargoüberwachung einzelner Staaten“.
Die mit Radarsystemen ausgestatteten Satelliten sollen ab 2006 in etwa 500 Kilometern Höhe um die Erde kreisen und deren Oberfläche in einer Auflösung von „ganz sicher weniger als einem Meter“ (Popella) registrieren. Bisher beschränkte sich die Bundesrepublik – anders als die USA und Russland – auf die taktische Aufklärung. Dazu gehört der Einsatz von „unbemannten Systemen“ wie Drohnen, aber auch die Tornadostaffel, die mit Hilfe von Infrarotkameras Landstriche etwa nach vermissten Personen absuchen kann.
Der Hauptauftragnehmer von SAR-Lupe ist die Orbitale Hochtechnologie Bremen System AG (OHB). Sie
baut die Satelliten und die EADS als Subkontraktor das NBS in Immenstaad. Daten, die die Satelliten etwa alle drei Stunden beim Überfliegen des Zentrums für das Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) in Gelsdorf bei Köln auf die Erde schicken, nimmt das Satellitenbodensegment als kodierte Signale auf. „Diese Rohdaten werden einmal vorprozessiert an das NBS weiter geleitet“, erläutert Projektleiter Harry Munz. Das NBS ist eine Art Rechenzentrum, das über die kommenden zehn Jahre Bilddaten erfasst, auswertet und archiviert sowie externe Anfragen beantwortet, etwa vom Geheimdienst BND oder dem Bundesgrenzschutz.
Sieben Terabyte für das Online-Archiv
Im Serverbereich des Nutzerbodensegments erfassen Sun-Server die Daten in einem Online-Archiv, das bis zu 7 Terabyte fasst. Sony-Bandspeicher sorgen einerseits für die Langzeitspeicherung von Daten bis zu 250 Terabyte, zum anderen für deren Spiegelung in einen
Bunker, der durch zwei Meter dicke Mauern und durch „zwei Brandschutzzonen“ hindurch vom Originalbandarchiv getrennt ist.
Herkömmliche Speicherspezialisten schieden in der Phase B des Projektes aus, als der Speicherpartner aus der Industrie gesucht wurde. Zwar war zum Startschuss des Projektes durch das Bundesverteidigungsministerium im Dezember 2001 die technische Entwicklung der Sony-Technologie noch nicht abgeschlossen, doch entschied sich die Sektion Information, Überwachung und Aufklärung (ISR) der EADS dafür: Knapp anderthalb Jahre später schrieb das Speichermagazin „Speicher-Guide“, dass sich Sony mit der Petasite-S-Serie mit dem Kernstück S-AIT „aus dem Niemandsland an die Spitze des Tape-Library-Marktes katapultiert“ habe, „eine skalierbare Speicherkapazität von bis zu 1,5 Petabyte möglich sei“ – das sind 1500 Terabyte.
Die Forderungen, die das OHB an die EADS stellte, ähneln denen von CIOs, die aufgrund von gesetzlichen Vorschriften wie den „Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen“ (GDPdU) oder auch der Kreditvergaberichtlinie Basel II neue Speicherlösungen installieren müssen. Denn Finanzdaten müssen revisionssicher, schneller auswertbar und ständig auch rückblickend verfügbar sein.
Zehn Jahre Speicherung ohne Datenverlust war eine der Forderungen, die die OHB stellte. Zudem sollten der Zugriff auf das Online-Archiv aus Sun-Raid-Systemen innerhalb von zwei Sekunden, der Zugriff auf das
maximal 250 Terabyte große Petasite-Bandarchiv innerhalb von zwei Minuten möglich sein und sämtliche Daten in den Bunker transferiert werden. Nur anderthalb Tage pro Jahr darf das System ausfallen, und im Fall der Fälle soll es innerhalb von sechs Stunden wieder betriebsbereit sein. Die zweite und letzte Ausbaustufe wird im Juli 2005 abgeschlossen sein. Dann sollen alle Arbeitsplätze in Gelsdorf angeschlossen sein und das System „in der nötigen Hochverfügbarkeit und Performanz arbeiten“, sagt der promovierte Mathematiker Munz, der bereits an den Erdbeobachtungssatelliten Terrasar-X und Envisat mitgearbeitet hat.
Etwa hundert Soldaten aus dem Kommando Strategische Aufklärung (KdoStratAufkl) werden das Rechenzentrum als eine Art Servicezentrum betreiben. „Hier werden gezielt Informationen aus den verschiedensten, auch nicht kommerziellen Quellen zusammengeführt“, erläutert Popella – Informationen des NASASatelliten Landsat etwa oder von Spot Image, einer Art Vertriebsunternehmen für Satellitendaten, eingerichtet von der französischen Raumfahrtagentur Centre National d’Études Spatiale.
Derzeit laufen die Schulungen der Offiziere
Daher ist es auch nicht weiter tragisch, dass der erste SAR-Lupe-Satellit weiter auf sich warten lässt. Im März dieses Jahres sollte er eigentlich bereits auf seine Umlaufbahn gebracht werden, doch hat die OHB deren Start um etwa ein Jahr verschoben. „Bis zur Verfügbarkeit der Satelliten können die Nutzer ausgebildet und bereits erste Aufträge abgewickelt werden – wenn auch ohne SAR-Lupe-Daten“, sagt Munz. Durch Schulungen werden die geheimdienstlich aktiven Militärs derzeit mit dem System vertraut gemacht.
Sobald der erste der fünf SAR-Lupe-Satelliten um die Erde kreist, wird es für Munz richtig spannend: „Dann wird sich zeigen, ob die Satelliten mit dem Bodensegment wie geplant zusammenspielen.“ Sollte dies glattgehen und auch der zweite Satellit auf seine Umlaufbahn befördert sein, wickelt das Kommando für strategische Aufklärung mit den neu gewonnen Daten erste Aufträge ab. Was dann in Gelsdorf alles mit den Daten angestellt wird, darüber schweigen sich Popella und Munz aus: „Wir sind nur Auftragnehmer.“ Klar ist, dass eine Europäisierung der Aufklärung bevorsteht, beispielsweise im Satellitenverbund mit den Franzosen in Hinsicht auf den optischen Satelliten Helios II – und damit eine Menge Arbeit auf das neue Service-Zentrum der Bundeswehr zukommt.