Der Polizist staunte nicht schlecht: Auf einer Straße in der kalifornischen Stadt Mountain View staute sich der Verkehr hinter einem Fahrzeug, das mit knapp 40 Stundenkilometern bei erlaubten 56 km/h unterwegs war. Der Polizist stoppte das Fahrzeug: Es war ein selbstfahrendes Testfahrzeug von Google, das ein Geschwindigkeitslimit von 40 Stundenkilometern eingestellt hatte. Aus Sicherheitsgründen. Der Vorfall ereignete sich zwar bereits vor ein paar Jahren, doch das Problem besteht noch heute: Mit seinen Sensoren "sieht" ein autonomes Fahrzeug nur wenige hundert Meter weit. Bei hohen Geschwindigkeiten hat es dadurch oft nicht genug Zeit, um auf schwierige Situationen ohne abrupte Brems- oder Lenkmanöver zu reagieren.
Mit einer Mobilfunkverbindung jedoch erhält ein Auto Daten anderer - auch weit entfernter - Fahrzeuge, von der Infrastruktur oder aus dem Internet. So sieht das Fahrzeug kritische Ereignisse sehr viel früher vorher. Das heißt: Ein vernetztes autonomes Fahrzeug kann deutlich vorausschauender fahren als ein nicht vernetztes. "Selbstfahrende Autos müssen auch ohne Kommunikation auskommen können, aber sie ist sehr hilfreich", erklärt Christian Wietfeld, Leiter des Lehrstuhls Kommunikationsnetze an der Technischen Universität Dortmund. Dort forscht der Ingenieurwissenschaftler seit Jahren zum Einsatz der Mobilfunktechnik im Straßenverkehr.
5G ist ein Bündel aus Technologien
Doch welche Mobilfunktechnologie benötigen vernetzte und autonome Autos? In der Öffentlichkeit wird oft der Mobilfunkstandard der Zukunft 5G in einem Atemzug mit autonomem Fahren genannt. So einfach ist die Antwort jedoch nicht: Zum einen funktionieren manche Szenarien auch mit den vorhandenen Mobilfunkstandards wie LTE, UMTS oder GSM. Zum anderen verbergen sich hinter 5G verschiedene Technologien, die auf der Straße nicht immer alle gefragt sind. Hier die wichtigsten im Überblick:
5G New Radio (5G NR)
Das neue 5G-Funkprotokoll wird eine deutlich höhere Bandbreite sowie eine geringere Verzögerung auf der Funkstrecke zwischen Basisstation und Auto bieten. Zudem soll der Standard laut Spezifikation eine Million Geräte pro Quadratkilometer drahtlos vernetzen können.
Network Slicing
Auf derselben physischen Infrastruktur laufen mehrere virtuelle Netze. So lassen sich Daten mit einer bestimmten Dienstgüte übertragen (Quality of Service), selbst wenn es Kapazitätsengpässe in der physischen Infrastruktur gibt. Ein Vorteil etwa für latenzkritische Telematikdienste im Auto. Streamt zum Beispiel ein Mitfahrer ein Video, könnte das zum Datenstau im Netz führen und die Telematikdaten ausbremsen. Getrennte virtuelle Netze für Infotainment-Apps und Telematikdienste würden das verhindern. Diese funktionieren mit 5G NR wie auch mit LTE.
Mobile Edge Computing
Das 5G-Netz wird über eigene Rechenkapazitäten am Netzrand verfügen. Kommunizieren nun zwei Autos über das Mobilfunknetz, brauchen diese Daten nicht mehr den Umweg über eine weit entfernte Cloud zu nehmen. Durch Mobile Edge Computing gelangen sie deutlich schneller ans Ziel. Auch Edge Computing funktioniert mit 5G NR und LTE.
LTE ist ein Teil von 5G
Neben 5G NR wird das 5G-Netz auch die heutigen Funkstandards wie LTE einsetzen. Network Slicing und Mobile Edge Computing hingegen sind Eigenschaften des Mobilfunk-Kernnetzes. Das heißt: Sobald die neuen Funktionen im Kernnetz verfügbar sind, profitiert jedes Auto davon - egal, ob es mit einer LTE- oder 5G-NR-Antenne verbunden ist. Das Mobilfunknetz der Zukunft ist also wie ein Schweizer Taschenmesser: Je nachdem, was ein Auto können soll, kommt ein anderes Werkzeug zum Einsatz. Das zeigen einige Beispiele:
Warnung vor Stau-Enden, Baustellen oder Glatteis
Um vor Wanderbaustellen zu warnen, könnten mobile Baustellenanhänger ihren Standort per Mobilfunk an herannahende Fahrzeuge senden. Die Übertragungsdauer (Latenz) ist dabei unkritisch, weil die Anhänger ihre Position schon früh melden. Die Anwendung kann problemlos eine GSM- oder LTE-Antenne nutzen und ihre Daten in der Cloud verarbeiten. Denn selbst während einer sehr langsamen Datenübertragung von einer Sekunde ist ein 100 km/h schnelles Auto nur 28 Meter gefahren. Dennoch könnte das 5G-Netz den Service zumindest optimieren - mittels Network Slicing: So wäre garantiert, dass die sicherheitskritischen Datenpakete auch dann zeitnah ankommen, wenn das Netz überlastet ist - etwa durch Videostreaming. Warnungen vor anderen Gefahren wie Glatteis oder Staus würden genauso funktionieren.
Softwareupdates für das Auto
Auch vernetzte Autos brauchen regelmäßige Software- und Firmware-Updates. Per Mobilfunk übertragen Autohersteller Daten von bis zu einem Gigabyte von ihrem Backend an ein Fahrzeug. Dennoch reicht für solche Over-the-air-Updates (OTA) eine Übertragung per LTE. Denn wie schnell die Daten ans Ziel gelangen, spielt keine Rolle. Eine definierte Servicequalität per Network Slicing wäre jedoch hilfreich, um sicherzugehen, dass ein Update für das Fahrzeug nicht die Übertragung sicherheitskritischer Daten blockiert.
Infotainment
Streamen in einer Mobilfunkzelle viele Autofahrer und Mitfahrer gleichzeitig Musik oder Videos, benötigen sie eine entsprechend hohe Bandbreite auf der Funkstrecke. 5G NR soll genau solche Anforderungen erfüllen: Laut der Standardisierungsorganisation 3GPP soll 5G NR perspektivisch zehn- bis 20-mal mehr Bandbreite als LTE erreichen. Trotzdem kann auch LTE extrem hohe Datenraten bereitstellen: mit zusätzlichen kleineren Funkstationen (Smart Cells).
Fahren in der Smart City
In Zukunft werden sich in den Städten nicht nur viele vernetzte Fahrzeuge tummeln, sondern auch immer mehr Smartphones, vernetzte Kamerasysteme und smarte Straßenlaternen. In solchen Szenarien lohnt sich die Fähigkeit von 5GNew Radio, viele Geräte auf engem Raum zu vernetzen. Zudem kann das Netz entlastet werden, indem sich vernetzte Geräte direkt per Funk austauschen (Device to Device, D2D) und die Verbindung zur Cloud dank Mobile Edge Computing geschont wird.
Platooning
Um Kraftstoff zu sparen, fahren mehrere Lkws dicht hintereinander als Kolonne. "Dafür müssen die Fahrzeuge untereinander höchst zuverlässig kommunizieren können", erklärt Ingenieurswissenschaftler Wietfeld. "Wenn ein Hindernis auftaucht, muss der 'Platoon-Leiter' diese Information in Millisekunden an die anderen Fahrzeuge weitergeben." Eine Anforderung, für die 5GNR prädestiniert ist. Der Mobilfunkstandard, der auch für die direkte Kommunikation von Fahrzeugen genutzt werden kann, heißt Cellular V2X (C-V2X). Er funktioniert auf Basis von LTE, aber auch mit 5G NR. Für diese Funktechnologie spricht in einem Platooning-Szenario auch, dass Lkws oft sogar die gesamten Rohdaten ihrer Sensoren austauschen. Auf diese Weise können sie Daten aus der gesamten Fahrzeugkette lesen und vorausschauend interpretieren. Auch solch hohe Datenraten wird 5G-C2X bewältigen können.
5G oder WLAN als Autosprache?
Derzeit diskutiert die Automobilbranche neben C-V2X auf Basis von LTE oder künftig 5G NR noch eine weitere Technologie für die V2V-Kommunikation: Dedicated Short Range Communication (DSRC, in Europa auch ITS-G5) auf Basis des WLAN-Standards 802.11p. In Tests der 5G Automotive Association zeigten LTE-V2X und DSRC ähnliche Latenzen - wobei 5G NR das Ergebnis der Mobilfunk-Technologie weiter verbessern wird. Zudem reichte die LTE-V2X-Kommunikation zwei- bis dreimal weiter als DSRC. "Dieses Thema wird in den kommenden Jahren spannend bleiben, weil noch nicht klar ist, welche Technologie sich durchsetzt oder ob es eine Koexistenz geben wird", sagt Wietfeld.
Da die Mobilfunkinfrastruktur zukünftig 5G-Technik nutzen wird, entstehen Synergien, wenn LTE und 5G auch für die V2X-Kommunikation verwendet werden. Ein Beispiel: Um Daten auch zwischen weiter voneinander entfernten Fahrzeugen zu übertragen, ist eine entsprechende Road-Site-Infrastruktur entlang der Straßen nötig, welche die V2X-Signale verlängert. Dafür bietet sich das Mobilfunknetz an: Es ist schon vorhanden und wird mit hohen Investitionen kontinuierlich ausgebaut. Eine eigene WLAN-basierte Road-Side-Infrastruktur aufzubauen wäre teuer und zeitaufwändig.
5G-Antennen gezielt platzieren
Der LTE-Ausbau ist bereits weit fortgeschritten: So versorgt ein Carrier beispielsweise in Bayern schon 98 Prozent der Autobahnkilometer mit LTE. Das ergab eine Messung im Auftrag des bayerischen Wirtschaftsministeriums. Die 5G-Technologien werden Schritt für Schritt in das Mobilfunknetz integriert. Straßen brauchen dabei nur dort 5G-NR-Antennen, wo eine besonders hohe Bandbreite, geringe Latenz oder die Unterstützung sehr vieler Geräte gefordert sind. Um von den Hochleistungsantennen zu profitieren, benötigen Fahrzeuge allerdings ein 5G-NR-Telematikmodul (TCU). Heutige Autos verfügen meist über GSM-, UMTS- oder LTE-Module und werden noch einige Jahre über die Straßen rollen. Dadurch wird die Anzahl der Fahrzeuge, die 5G-Funk nutzen, nur langsam steigen.