Ein Fass Ameisensäure lässt sich nicht so einfach digitalisieren. Und darin besteht ein grundlegendes Problem der gesamten chemischen Industrie: Sie produziert und handelt mit Stoffen, die anders als Maschinen, Autos oder Konsumgüter, nur eine begrenzte Digitalisierungsphantasie wecken. Doch auch wenn es schwierig ist: Der Ludwigshafener Chemiekonzern kommt nicht umhin, seine Produkte in digitalen Kanälen zu handeln und zu vermarkten. Dazu aber muss BASF näher an die Kunden und ihre Bedürfnisse heranrücken.
Das sagt sich leichter als es sich umsetzen lässt, denn als Hersteller von Chemikalien ist BASF üblicherweise drei bis vier Stufen vom Endkunden entfernt. "Wir wollen neue Business-Modelle aufbauen, bei den wir mehr als nur Chemie verkaufen", sagt der bisherige CIO Wiebe van der Horst. "Wir wollen mit Chemie und Informationen neue Geschäfte entwickeln."
Näher ran an den Kunden: Beispiel Smart Supply Chain
Um sich Endkunden anzunähern, setzt der Konzern beispielsweise auf "Smart Supply Chain", Teil des Projekts "BASF 4.0", wobei sich BASF mit den Lieferketten von Kunden und Lieferanten verbindet. So kann der Chemiekonzern nahezu in Echtzeit auf Daten zugreifen und schneller auf Wünsche und Anforderungen reagieren. So entwickelt sich die bisherige Forecast-basierte Planung hin zu einer bedarfsorientierten Planung für Echtzeitkundenbedarfe.
Dadurch verbessert sich die Zusammenarbeit, wodurch die Bestände optimiert werden und die Lieferzuverlässigkeit steigt. Was für BASF aber noch interessanter ist: Das Unternehmen verschafft sich einen wesentlich besseren Zugang zu den Endkunden. "Als wir die Bereiche Supply Chain und IT zusammengelegt haben, stand dahinter auch die Absicht, dass wir mit neuen digitalen Lösungen die Prozesse besser unterstützen und damit dichter an die Endkunden heranrücken", erklärt der neue CIO Stefan Beck.
Organisatorische Vorarbeiten
Um sich nicht nur mit einzelnen Projekten, sondern im ganzen Konzern besser an den Kundenwünschen auszurichten und zugleich neue digitale Geschäftsmodelle zu kreieren, will die IT jetzt den ganzen großen Wurf wagen: eine durch und durch agile IT-Architektur ist geplant.
Organisatorisch hat sich das bereits in dem CIO-Wechsel von Wiebe van der Horst zu Stefan Beck niedergeschlagen. Während Beck die CIO-Aufgaben im November 2017 übernahm, leitet seit Oktober 2017 der bisherige CIO van der Horst das Riesenprojekt "Next Generation Business Architecture". Beide Manager sitzen auch weiterhin in der Geschäftsführung der IT-Tochter BASF Business Services.
Zu Becks zentralen Themen gehörten bisher das Demand-, Innovations- und Portfoliomanagement. Große Teile davon leitet er jetzt auch als CIO weiter. Mit seinen neuen Aufgaben IT-Strategie und Architektur sowie der neuen Rolle von Wiebe van der Horst geht es laut Beck jetzt um einen weiteren Schritt in Richtung Kundenorientierung. Die CIO-Rolle bekomme eine deutlich stärkere Kundenausprägung, weil große Teile der bisherigen Einheit von Beck mit der strategischen IT-Einheit zusammengelegt worden sei.
Neue IT-Architektur mit SAP S/4Hana
Für den intensiven Kundenfokus steht das von van der Horst geleitete Vorhaben "Next Generation Business Architecture", das als sogenanntes Senior Project bis zur höchsten Führungsebene im Vorstand Sichtbarkeit hat. Es verfolgt zwei Kernziele: Zum einen will die IT zusammen mit BASF-Geschäftsbereichen eine deutlich agilere Architektur schaffen, damit sich die Geschäftsbereiche mit neuen Services besser vom Wettbewerb absetzen können. Zum anderen soll dafür die heutige zentrale SAP R/3-Instanz, auf der 98 Prozent des Konzerngeschäfts läuft, auf SAP S/4Hana migriert werden.
"Das wird das größte Projekt, dass wir bisher gemacht haben und vermutlich auch das komplexeste. Es geht um die gesamte Systemlandschaft, die über Jahrzehnte gewachsen ist und die wir jetzt ins digitale Alter überführen wollen", sagt van der Horst, der 2014 vom CIO-Magazin und der Computerwoche zum "CIO des Jahres" gekürt wurde.
In dem bis dahin größten IT-Konzernprojekt "One" hatte die IT-Organisation alle Systeme auf eine SAP-Instanz vereint. Am Schluss seien rund 4000 Mitarbeiter an diesem Vorhaben beteiligt gewesen, so van der Horst, beim jetzt anstehenden S/4Hana-Projekt könnten es sogar noch mehr werden. "Wir wollen ein richtig dickes Brett bohren, um die Digitalisierung mit Applikationen und Architektur zu unterstützen", sagt der Verantwortliche.
Nach heutiger Planung dürfte die neue Architektur nicht vor dem Jahr 2025 fertiggestellt sein. Das klingt lange und ist es auch. Aber angesichts der Komplexität von über 350 Standorten in mehr als 80 Ländern, 15 Unternehmensbereichen, 114.000 Mitarbeitern und 130.000 Kunden relativiert sich der Zeitraum wieder. Natürlich muss das Tagesgeschäft unbeeinträchtigt weiterlaufen. Auch hier gibt es jede Menge Herausforderungen: So kündigte BASF erst kürzlich an, einen Teil des Saatgut-Geschäfts von der Bayer AG für 5,9 Milliarden Euro zu übernehmen und die weltweite Polyamid-Sparte des belgischen Konkurrenten Solvay für 1,6 Milliarden Euro kaufen zu wollen.
Das Herzstück: der Data Integration Layer
Die zukünftige IT-Architektur soll aus drei Elementen bestehen: SaaS-Lösungen sollen für Commodity-Prozesse eingesetzt werden. Dann wird es einen Kern für Services wie Finance oder Human Resources geben, die BASF als Gesamtkonzern unterstützen. Und schließlich ist ein Data Integration Layer geplant, auf dem alle Informationen aus Bereichen wie Produktion, Forschung und Customer Management zusammenlaufen.
Auf diesem Layer setzen diverse Applikationen auf. "Der Data Integration Layer wird die entscheidende Veränderung im Vergleich zur bisherigen Architektur sein", sagt van der Horst. "Wir verschaffen uns damit die Möglichkeit, alle Daten im Konzern zu verknüpfen und Kunden neue Services zu Verfügung zu stellen."
Dafür soll die IT die Technologiebasis vereinheitlichen und standardisieren, über die Jahre entstandene individuelle Anpassungen sollen nach Möglichkeit beseitigt oder rückgängig gemacht werden. Wie viele Großkonzerne kommt auch BASF aus einer dezentralen IT-Architektur, die zuletzt aber immer stärker harmonisiert, standardisiert und zentralisiert wurde. "Wir haben einige Jahre lang eine rigide IT-Governance gefahren und klar vorgegeben, was erlaubt ist und was nicht", sagt Beck.
So entstand eine einheitliche Basis, die es heute leichter macht, Prozesse schnell anzupassen und sich durch den Einsatz von Zukunftstechnologien zu differenzieren. Die gemeinsame Grundlage ermöglicht es, neue Themen anzugehen, ohne dabei die Übersicht zu verlieren.
Migration zu SAP 4/Hana
Bevor es allerdings an agile und differenzierende Applikationen für die Geschäftsbereiche geht, steht noch das Pflichtprogramm an: das alte R/3-System auf S4/Hana migrieren. Heute läuft bei BASF noch ein komplexes, auf den Konzern angepasstes ERP-System für rund 70.000 Anwender. "Die Vorarbeiten für S/4Hana haben wir in den vergangenen zwei Jahren erledigt. Jetzt können wir auf Konzernebene skalieren," freut sich van der Horst.
S/4Hana soll eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, sich stärker am Kundenbedarf zu orientieren. BASF setzt dabei auf Real-Time-Analytics-Funktionen und die Integration der Konzerndaten über den Data Layer. Zudem können Mitarbeiter künftig immer mehr Daten in Echtzeit abrufen, ohne dass sie selbst vorher die Informationen lange suchen und aufbereiten müssen.
Robotics Process Automation, Machine Learning und Automatisierung sollen sie bei ihrer Arbeit unterstützen. "Wir gehen davon aus, dass unsere Mitarbeiter mehr Zeit für die Sachbearbeitung haben werden. Dadurch können sie viel stärker auf die Kundenbedürfnisse eingehen", sagt van der Horst voraus.
IT-Organisation angepasst
Architektur und IT-Systeme allein reichen allerdings nicht aus, um näher am Kunden zu sein. Auch die IT-Organisation muss sich ändern. Anfang 2017 hat die IT deshalb damit begonnen, eine DevOps-Organisation einzuführen. Eine der Folgen ist, dass Software-Entwicklung, Inbetriebnahme und Support nun Hand in Hand arbeiten. "Es wandelt sich gerade alles sehr stark. Wir unterstützen intensiv den Wechsel zu einer DevOps-Organisation", sagt van der Horst.
Außerdem gebe es immer mehr kleine agile Teams, die vor allem Microservices entwickelten. "Wir möchte eine Kultur fördern, die viel stärker auf Eigenverantwortung beruht, weg von Hierarchien und hin zu selbstorganisierten Gruppen." Grundsätzlich möchten die BASF-Verantwortlichen erreichen, dass sich ein digitales Mindset bei allen Mitarbeitern im Unternehmen verbreitet.
Bisher sieht sich die IT in ihrem Umbau auf einem guten Wege, auch wenn es noch einige Zeit brauche. So sei BASF heute mit einer Matrixorganisation wesentlich flexibler aufgestellt als zu Zeiten, in denen noch streng in Einheiten gedacht und gehandelt wurde. Jetzt gibt es fließende Übergänge, so dass in Projekten beispielsweise Mitarbeiter aus dem Enterprise-Architecture-Bereich mit Kollegen vom Business Process Management und der Security zusammenarbeiten oder aber Kollegen aus den IT-Operations mit dem Business.
Wichtig ist laut Beck und van der Horst, die neue Organisation nicht Top-down zu verordnen und durchzusetzen, sondern Schritt für Schritt vorzugehen und zu lernen, wie sich die neue Struktur entwickelt. Offenheit und Data Sharing seien dabei entscheidende Prinzipien, die möglichst früh in der Kultur verankert werden sollten. Denn eins ist van der Horst klar: "Die schönste Architektur und die besten Applikationen nützen uns nichts, wenn wir nicht auch alle Daten dafür haben."
Nächste Schritte
Die Basis für den großen Umbau ist also gelegt: Es gibt eine übergeordnete Architektur, eine gemeinsame Security, und der Data Integration Layer wird entwickelt. "Das sind die drei Voraussetzungen, auf denen man Digitalisierung verantwortungsvoll betreiben kann", hält van der Horst fest.
Im nächsten Projektschritt schaut sich jetzt ein Kernteam die neue Architektur noch einmal genau an und prüft den Business Case. Sind diese Arbeiten erledigt, entwickelt sich die Next Generation Business Architecture zum Großprojekt und die nächsten Schritte wie der Data Integration Layer und die Umstellung auf S/4Hana werden angegangen. "Jetzt erwecken wir die neue Architektur zum Leben", sagt van der Horst.
Unternehmen | |
Hauptsitz | Ludwigshafen |
Umsatz | 57,5 Milliarden Euro (2016) |
EBIT | 6,3 Milliarden Euro (2016) |
Mitarbeiter | 114.000 (in 80 Ländern) |
BASF SE | IT-Kennzahlen |
CIO | Stefan Beck |
IT-Mitarbeiter | 2.700 |
IT-Anwender | 110.000 |
IT-Tochter | BASF Business Services GmbH |
Strategische Ausrichtung | |
Zentralisierung (1= sehr zentral, 5 = sehr dezentral) | 2 |
Standardisierung (1= sehr standardisiert, 5 = best of breed) | 2 |
Outsourcing (1= viel Outsourcing, 5 = wenig Outsourcing) | 3 |
Digitalisierungsgrad (1= sehr digitalisiert, 5 = weniger digitalisiert) | 2 |