Die Party ist vorbei, die Katerphase angebrochen. Offenbar gilt das jedenfalls für die schnelle und bequeme Auswertung von Enterprise Social Networking Data. Die Überbringerin der schlechten Botschaft heißt Carrie Basham Young, ist Enterprise 2.0-Beraterin und gehört zur jungen Generation der Digital Natives. Statt sie wie früher zu köpfen, hört man ihr besser zu: „Es ist an der Zeit sich einzugestehen, dass die auf Analytics Dashboards dargestellten Metriken und Daten keinen Mehrwert schaffen", schreibt Basham Young in einem aktuellen Artikel. „In Wirklichkeit können sie sogar Schaden anrichten."
Nun sitzen in der IT offenkundig ohnehin viele Skeptiker, die der Expertin für diesen Befund eher nichts antun wollen würden. Anderswo in den Unternehmen mag man sich hingegen mehr wundern, werden doch in die rasche Datenanalyse im Management oft hohe Erwartungen gesetzt. Zumindest für derlei überspannte Erwartungen an aufschlussreiche bunte Überblicksdaten formuliert Basham Young einen Abgesang, der nüchternen Stimmen Argumentationsfutter liefert. Gleichwohl will die Autorin nicht Enterprise 2.0 insgesamt zu Grabe tragen. Deshalb widersprechen ihre Hinweise auch nicht einer ebenfalls aktuellen Studie der Experton Group, die dem deutschen Markt für Social Business for Communication & Collaboration ein starkes Wachstum prognostiziert.
Messgrößen für die Wäscheleine
Dennoch beinhaltet Basham Youngs Lageanalyse Sprengstoff. So greift sie einen 1975 von Steve Baer gezogenen Vergleich aus der alternativen Energietheorie auf: das Wäscheleinen-Paradoxon. Benutzt man einen Wäschetrockner, kommt man in den Genuss messbarer Größen – es lässt sich ausrechnen, wie viel Geld die Nutzung des Gerätes im Jahr kostet. Hängt man die nasse Kleidung ganz einfach an die Leine, fehlen einem diese aufschlussreichen Daten. Trocken wird die Wäsche trotzdem, sogar ganz umsonst.
Für – zumindest in einer bestimmten Hinsicht – ebenso überflüssig hält die Enterprise 2.0-Beraterin für soziale Firmennetzwerke quantitative Measurement Tools, die beispielsweise die Zahlen an Usern, Kommentaren und abgeschickten Posts messen und aufbereiten. Und Basham Young warnt davor, Anbietern aus dem simplen Grund ins Netz zu gehen, weil sich mit Hilfe dieser Tools vermeintliche Erfolge so schön mit harten Zahlen nachweisen lassen. Für die Autorin sind das keine überzeugenden Argumente, die die Lizenzausgaben für derartige Software rechtfertigen. Denn inhaltlich lasse sich mit den Informationen recht wenig anfangen.
„Die Nummern und Analysen, die man sieht, sind für sich genommen nicht viel wert", so Basham Young. „Und in gar keiner Weise spiegeln sie den eigentlichen Wert einer Community wieder." Das bedeutet also: In sozialen Unternehmensnetzwerken ergibt es demnach kaum Sinn, auf hohe Kommentar- und Postzahlen spitz zu sein und Erfolge auf dieser Ebene für wertschöpfend zu halten. Die Expertin behauptet gleichwohl nicht, dass diese Daten komplett nutzlos sind. Sie seien es – ganz weich – dann, wenn sie eine gewisse Aktivität im Netzwerk zeigen. Sobald die Communitys nämlich einigermaßen rege genutzt werden, darf man mit dem wichtigsten, aber nie exakt messbaren Effekt rechnen: dass das kollaborative Miteinander der Mitarbeiter gefördert wird und das auch über Grenzen und Distanzen hinweg Kommunikation und gemeinsames Handeln entsteht.
Ist das so, darf man letztlich von einem sinnvollen Social Networking-Projekt ausgehen. Unergiebig ist es laut Basham Young aber, den zählbaren „likes" und positiven Kommentaren viel Bedeutung zuzusprechen. „Der echte Wert eines Enterprise Social Networks zeigt sich nicht in den messbaren Daten im Dashboard, sondern in seiner Fähigkeit, das informelle soziale Netzwerk zu stärken und damit Interaktionen zu kreieren sowie die Erledigung von Arbeiten zu unterstützen", so die Expertin. Das Problem sei, dass sich der genaue Erfolg nicht mit den im Unternehmen etablierten Messgrößen fassen lasse, die das Management vorgelegt zu bekommen gewöhnt ist.
Antwortzahl hängt von Position ab
Warum Feedback in den Netzwerk-Kanälen nicht immer Aussagekraft besitzt, zeigen Forscher der Bell Laboraties, der Northwestern University in Illinois und von Alcatel Lucent übrigens in der Studie „Enterprise Social Network Analysis und Modelling: A Tale of Two Graphs" auf. Unter anderem haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass die Reaktionen in den sozialen Netzwerken leider viel mit den Hierarchien im Unternehmen zu tun haben.
Heißt konkret: Ein normaler Mitarbeiter, der prima Dinge postet, bekommt dafür nicht zwingend Bestätigung; Poster in höheren Positionen hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit schon – offenbar deshalb, weil Kollegen von weiter unten auf der Karriereleiter den einfach möglichen Kontakt suchen. Menschlich verständlich das. Eine inhaltliche oder nur messende Analyse derartiger Kommunikation liefert aber wohl kaum Erkenntnisse, die geschäftlich nützlich sind.
Dass unabhängig von diesen wichtigen Einordnungen Social Tools für Firmen im Kommen sind, zeigt die Experton-Analyse zu Social Business for Communication & Collaboration (SB4CC) in Deutschland. Bei Lösungen für SB4CC handelt es sich laut Experton-Definition nicht um Social Media oder Netzwerke wie beispielsweise Facebook, sondern um professionelle Lösungen für Kommunikation und Zusammenarbeit, die sich Funktionsweisen von Social Media zu Nutze machen. Zu denken sei dabei an Blogs, Wikis, Activity Streams, Collaborative Writing und File Sharing.
IT als Hemmschuh ausgemacht
„Die Experton Group identifiziert SB4CC als einen der wachstumsstärksten ICT-Märkte in Deutschland", sagt Analyst Frank Heuer und prognostiziert bis 2016 eine jährliche Verdopplung des Umsatzes. Das erscheint enorm, verglichen mit den zwei Prozent Wachstum im Jahr, die Experton für den gesamten IT-Markt kalkuliert. Allerdings ist das Marktsegment noch recht überschaubar. Experton interpretiert SB4CC als Teilbereich und Fortentwicklung von Unified Communications & Collaboration (UCC). An diesem Teilmarkt hatte SB4CC in Deutschland 2012 einen Anteil von neun Prozent, der bis 2016 auf ein Viertel steigen soll.
Bereits heute hätten über 40 Prozent der befragten Entscheider Social-Collaboration-Lösungen im Einsatz, so Heuer – teilweise aber noch auf einem sehr rudimentären, nicht allumfassenden strategischen Niveau. Jedoch sei ein klarer Trend zu einer starken Adaption der einzelnen Anwendungsklassen zu erkennen. „Bis Ende 2014 planen insgesamt 60 Prozent der Befragten den Einsatz von vereinzelten oder ganzheitlichen Social-Collaboration-Lösungen", berichtet Experton weiter. Besonders stark ausgeprägt sei die Nachfrage in Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern.
„Das Interesse an einem schnellen und umfassenden Einsatz von Social-Collaboration-Lösungen ist in den Fachabteilungen größer als bei den IT-Verantwortlichen", so Heuer weiter. „Dieser Sachverhalt lässt sich darin begründen, dass die Fachabteilungen für sich aktiv nach Verbesserungen im Arbeitsalltag suchen." Social-Collaboration-Lösungen wie Micro-Blogging oder File Sharing stehen bei den Usern offenbar besonders hoch im Kurs. Die Kluft zwischen IT und Fachbereichen geht aber noch weiter. Die Fachbereiche trauen der IT die ganzheitliche und strategische Einführung von Social Collaboration offenbar nicht zu; zum Teil wird die IT sogar als Hemmschuh wahrgenommen.
E-Mail stirbt nicht aus
„Es zeigt sich, dass die IT-Leitung lernen muss, die Anforderungen der Fachabteilungen zu verstehen und diese schließlich im Kontext einer ganzheitlichen Business-IT-Strategie umzusetzen", kommentiert Experton. Zugleich fehle es in den Fachbereichen an der Kompetenz, das technologische Potenzial zu bewerten.
Den Tod der E-Mail bedeuten die neuen Tools aber zumindest in Deutschland offenbar nicht. Nur fünf Prozent der über 300 von Experton befragten Firmen gehen davon aus, dass die elektronische Post in den kommenden fünf Jahren aus der unternehmensinternen Kommunikation verschwinden wird. Mit einem leichten Bedeutungsverlust wird gemeinhin für frühestens in zwei Jahren gerechnet.