Wenn es um Kostenexplosionen und fehlgeschlagene Budgetplanungen im Zusammenhang mit öffentlichen Großprojekten geht, denken viele sofort an den Berliner Flughafen oder die Hamburger Elbphilharmonie. Vergleicht man die Kostenüberschreitungen dieser Bauvorhaben jedoch mit den Fehlkalkulationen im Rahmen von großen IT-Vorhaben der öffentlichen Hand, erscheinen die Budgetexplosionen in der Hauptstadt (plus 125 Prozent) und in der Hansestadt (plus 146 Prozent) geradezu moderat. IT-Projekte schlagen im Durchschnitt mit 394 Prozent ihres angesetzten Budgets zu Buche, haben die Experten der Hertie School of Governance in einer aktuellen Studie herausgefunden.
Für ihre Studie "Großprojekte in Deutschland - zwischen Ambition und Realität" haben die Wissenschaftler 170 seit 1960 realisierte Behördenprojekte unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Öffentliche Großvorhaben in Deutschland werden im Durchschnitt um 73 Prozent teurer als geplant. Allerdings zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Sektoren, schreiben die Studienautoren. So verteuerten sich Projekte aus den Bereichen Verkehr und öffentliche Gebäude um durchschnittlich 33 beziehungsweise 44 Prozent. Energievorhaben kämen im Durchschnitt 136 Prozent teurer, und für IT-Projekte musste die öffentliche Hand sogar knapp viermal so viel Geld auf den Tisch legen wie ursprünglich geplant.
IT-Vorhaben führen die Liste der Kostendesaster an. Beispielsweise häufte das Lkw-Mautsystem Toll Collect Mehrkosten von fast sieben Milliarden Euro an - eingerechnet sind hier die Einnahmenausfälle durch die um Jahre verspätete Einführung des Systems. Im Vergleich zu den veranschlagten Kosten lief das Budget um 1150 Prozent aus dem Ruder. Ein Fehlschlag in vergleichbarer Größenordnung war Fiscus - der Versuch von Bund und Ländern, gemeinsam eine einheitliche Software für die Steuerverwaltung zu entwickeln. Über ein Jahrzehnt werkelten die Behörden an dem Projekt, bis es 2005 endgültig scheiterte.
Mehrkosten bis dahin: 4,6 Milliarden Euro. Heute basteln die Bundesländer am Nachfolger, Resultate sind bis dato nicht in Sicht. In den Top Ten finden sich zwei weitere Großprojekte: die Polizeisoftware Inpol-Neu, die Mehrkosten von fast 120 Millionen Euro verursachte und damit sechsmal so teuer wurde wie ursprünglich geplant, und die Gesundheitskarte, die eigentlich schon 2006 eingeführt werden sollte und 3,4 Milliarden Euro mehr kostete als veranschlagt.
Defizite in Planung und Steuerung
Die für die Studie verantwortliche Wissenschaftlerin Genia Kostka erklärt die drastischen Fehlkalkulationen unter anderem mit Defiziten in Entscheidungs-, Planungs- und Steuerungsprozessen. Verwaltung und die politisch Verantwortlichen seien oft zu optimistisch und überschätzten ihre Fähigkeiten. Das führe zum Beispiel dazu, dass Entscheidungsträger Vertragsbedingungen zustimmten, die der öffentlichen Hand das Risiko aufbürdeten oder falsche Anreize setzten.
Zu besonders hohen Budgetüberschreitungen komme es meist bei "Pionierprojekten" mit hohen Technologierisiken. "Wenn neue Technologien eingesetzt werden, sind die Anschubkosten hoch und die Projekte insgesamt risikoreicher", sagt Kostka. "Allerdings können sich die Investitionen langfristig lohnen, weil sich die Lerneffekte und der Technologievorsprung auszahlen."
Politik wird unglaubwürdig
"Durch Großprojekte mit explodierenden Kosten droht die Politik an Glaubwürdigkeit zu verlieren", warnt Kostkaweiter. Gerade im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik gab es immer wieder Kostenüberschreitungen um ein Vielfaches. "Unser Befund, dass IKT-Projekte häufiger viel teurer werden als geplant, deckt sich mit internationalen Studienergebnissen", sagt Kostka. "Um die Ursachen genau zu analysieren, bedürfte es weiterer Forschungen."
Grundsätzlich empfiehlt die Wissenschaftlerin, Aufsichts- und Steuerungsgremien stärker zu involvieren, das Risiko-Management durch die Einbeziehung privaten Kapitals zu verbessern und für mehr Transparenz zu sorgen. Kostka plädiert zudem für den Aufbau einer öffentlich zugänglichen Datenbank, in der große Infrastrukturprojekte systematisch erfasst und ausgewertet werden. Vorbild könnte die britische Major Project Authority sein.