McKinsey-Studie

Beim digital Mindset hapert es am meisten

22.08.2017 von Christiane Pütter
Mangelendes digitales Denken, Silo-Strukturen und wenig Risikobereitschaft behindern die digitale Transformation am stärksten.
  • Die Café-Kette Starbucks hat ein Digital-Ventures-Team aufgebaut und Vice Presidents von Google, Microsoft und Razorfish eingestellt
  • Der US-Händler Nordstrom hat 2014 seine Chefs von stationärem und digitalem Handel die Rollen wechseln lassen
  • Beispiel Call-Center: Dürfen Mitarbeiter ad hoc selbst entscheiden, einem Kunden Rabatt zu gewähren oder ein Incentive anzubieten, steigt die Kundenzufriedenheit

Jeder dritte Entscheider identifiziert das Verhalten der Mitarbeiter und die eigene Firmenkultur als größte Hürde in der digitalen Transformation. Das dokumentiert die McKinsey-Studie "Culture for a digital age".

Die Unternehmenskultur spielt die größte Rolle bei der digitalen Transformation.
Foto: McKinsey

Wie die Antworten der gut 2.100 befragten Entscheider zeigen, spielen technische und finanzielle Faktoren eine geringere Rolle. Nach dem Punkt Firmenkultur (33 Prozent) nennen die Studienteilnehmer das fehlende Verständnis für digitale Trends (25 Prozent) und fehlende personell Ressourcen (24 Prozent) als Probleme. Erst dann folgen beispielsweise die IT-Infrastruktur (22 Prozent), Budget (21 Prozent) und fehlende Daten (dreizehn Prozent).

McKinsey fasst alle genannten Faktoren unter drei Oberbegriffen zusammen: erstens Unternehmenskultur, zweitens fehlende Risikobereitschaft und drittens eine siloartige Organisation.

1. Veränderungen bei der Firmenkultur

Die Berater sehen Firmenkultur nicht als "weichen" Faktoren, der kaum beeinflussbar ist. Sie appellieren an Entscheider, Metriken dafür zu entwickeln und anzuwenden. Ein externer Coach für agile Methoden kann helfen, kulturelle Aspekte bewusst anzugehen, statt zu erwarten, dass sie sich automatisch mitverändern.

Es geht dabei um Fragen von Hierarchie und Entscheidungsmacht und deren Auswirkungen auf die Customer Experience. McKinsey nennt das konkrete Beispiel eines Call Centers, in dem den Mitarbeitern die Kundenhistorie in Echtzeit bereitgestellt wird. Jeder Mitarbeiter kann sich auf Knopfdruck informieren und darf selbst entscheiden, ob er dem Kunden in der Leitung einen Discount gewährt oder ein Incentive zukommen lässt. Solche sofortigen Reaktionen etwa auf Beschwerden steigern Kundenzufriedenheit und Kundenbindung messbar.

Neue Führungspraxis für die digitale Welt
Der Sportdirektor eines Vereins
Der Sportdirektor eines Vereins stellt den Kader zusammen und gestaltet die Spiel- und Terminpläne für Wettkämpfe und Trainings. Er instruiert Talentscouts, kauft Spieler ein und stellt Bewegungsfreiheit für erforderliche Transfers sicher. Sein Ziel: Menschen zu finden und zu binden, die die Weiterentwicklung des Unternehmens konstant antreiben. Er erweitert die Suchkriterien für die Rekrutierung, stellt Mitarbeiter mit verschiedensten Hintergründen ein und ermöglicht Familien- und altersgerechte Arbeitszeitmodelle.
Führung in der Digitalisierung
Die Studie "Die Haltung entscheidet. Neue Führungspraxis für die digitale Welt" stammt von LEAD (Mercator Capacity Building Center for Leadership & Advocacy) in Kooperation mit der Unternehmensberatung Company Companions sowie der School of Public Policy (Central European University, Budapest) und dem Center for Leadership and Values in Society (Universität St. Gallen). Die Autoren empfehlen acht Rollen als Orientierungshilfen.
Die Landschaftsgärtnerin
Die Landschaftsgärtnerin gestaltet und pflegt Grünanlagen. Sie versteht das gesamte Ökosystem und weiß, wann welche Pflanzen im Jahreszeitenwechsel an welcher Stelle ihre Wirkung entfalten und wie alles zusammenspielt. Ihr Ziel: Das Unternehmen langfristig auf zustellen, wenn Krise und Veränderung zum Normalfall geworden sind. Sie ermöglicht schnelles „Prototyping“, geht unkonventionelle Partnerschaften ein und bricht Silos mittels heterogener, cross-funktionaler Teams auf.
Die Seismologin
Die Seismologin muss wissen, wo die Erde beben könnte. Dafür analysiert sie Daten, registriert feinste Erschütterungen und erkennt Spannungen frühzeitig. Sie erliegt aber nicht der Illusion, die Zukunft genau vorhersagen zu können. Ihr Ziel: Grundlagen für gute Entscheidungen in einer unübersichtlichen Welt zu schaffen. Sie etabliert „Situation Rooms“ zur Entwicklung von Handlungsstrategien, greift über digitale Plattformen auf verborgenes Wissen zu und schult ihre Intuition als zusätzliche "Datenquelle".
Der Zen-Schüler
Der Zen-Schüler ist in Ausbildung und Vorbereitung. Er lernt, reflektiert und prüft sich selbst. Achtsamkeit, Mitgefühl und Offenheit sind seine Tugenden, er pflegt eine disziplinierte (spirituelle) Praxis. Sein Ziel: Das finden, woran er sich festhalten kann, wenn sich alle an ihm festhalten. Er nutzt Coaching- und Mentoring-Programme, schafft physische Räume für den Ausgleich und richtet den Blick nach innen.
Der DJ
Der Discjockey bringt mit seiner Musik die Menschen zum Tanzen. Er setzt einen Rahmen, der motiviert, anregt und gemeinsame Energie erzeugt. Zugleich hat er ein offenes Ohr für Anregungen und sensible Antennen für das richtige Stück im richtigen Moment. Sein Ziel: Eine Kultur der Zugewandtheit zu schaffen – aber mit dem Fokus auf Ergebnisorientierung. Dafür baut er Empathie als Führungskompetenz auf, schafft Räume, in denen Menschen gerne arbeiten, und agiert als Vorbild für Zugewandtheit und Leistungsorientierung.
Die Intendantin eines Theaters
Die Intendantin eines Theaters wählt die Stücke für die Aufführung aus. Sie entwickelt den roten Faden und prägt die gesellschaftliche Wirkungskraft ihres Hauses. Die Künstler und deren Expertise bindet sie dabei ein. Ihr Ziel: in Zeiten großer Unsicherheit und Unplanbarkeit Orientierung zu geben. Über ein „Strategy Board“ schafft sie die Voraussetzung für Richtungsentscheidungen schaffen, erhöht mittels interaktiver Beteiligungsformen die Einigkeit über die Richtung – und hat den Mut zu klaren Ansage in der Krise.
Die Trainerin
Die Trainerin leitet eine Mannschaft taktisch, technisch und konditionell an. Sie bestimmt Trainingsablauf, Mannschaftsaufstellung und Strategie. Sie muss für Misserfolge geradestehen, Erfolge lässt sie ihrem Team. Ihr Ziel: Die Mitarbeiter zu mehr Verantwortungsübernahme zu befähigen. Dafür entwickelt sie über zeitgemäße Lernformate Kompetenzen entwickeln, baut gegenseitiges Vertrauen auf und führt Anreize zur Übernahme von Verantwortung ein.
Der Blogger
Der Blogger kommentiert Geschehnisse – zugespitzt, aufrüttelnd und meist aus einer persönlichen Sichtweise. Er will die Welt verstehen, erklären und übersetzen. Er lebt vom direkten Feedback der Leser. Sein Ziel: Veränderungsbereitschaft in die DNA des Unternehmens zu schreiben. Er kaskadiert die Geschichte der Veränderung in die Firma, moderiert gemeinsame Lernprozesse und gibt sichtbare Veränderungsanstöße.

Auf einem weit höheren Level muss jedes Unternehmen diskutieren, ab welchem Betrag die Unterschrift des Chief Financial Officer bei einer Investition nötig ist. Dürfen Sachbearbeiter auf allen Ebenen mehr selbst einkaufen, erhalten sie mehr Verantwortung.

2. Fehlende Risikobereitschaft

Der Abbau von hierarchischen Entscheidungsstrukturen und die großzügigere Verteilung von Verantwortung berühren Fragen der Risikokultur. Die Angst vor einem möglichen Scheitern ist schlicht menschlich, betont McKinsey. Je transparenter ein Unternehmen - und Transparenz ist ein positiver Wert an sich - umso deutlicher zeigt sich, wer welchen Fehler begangen hat.

Digital Natives sind risikobereiter

Die Analysten sehen daher Führungskräfte gefordert, eine positive Fehlerkultur zu etablieren und zu propagieren, dass ein Unternehmen aus Fehlern lernt. Diese Haltung brauche, wer innovativ sein wolle, betont McKinsey. Die Analysten setzen hier auf die sogenannten Digital Natives - junge Arbeitnehmer, die schon mit der Technologie aufgewachsen sind - und ihre vergleichsweise höhere Risikobereitschaft.

3. Das Aufbrechen von Silos

McKinsey betrachtet eine siloartige Organisation ebenfalls als Kulturfrage. Denn wenn Abteilungen isoliert voneinander arbeiten, hat das mit fehlender Collaborations- und Kommunikationskultur zu tun.

Francisco D'Souza, CEO von Cognizant, sprach gegenüber McKinsey von den finanziellen Nebenwirkungen eines in Silos aufgebauten Unternehmens. Er sagt, eine Firma könne es sich nicht mehr leisten, das Datenwissen, Design und Mitarbeiterwissen in jeder Abteilung isoliert liegen zu lassen. Das sei mittlerweile ein Kostenfaktor geworden.

McKinsey beziffert die Korrelation zwischen den Hürden bei der Digitalisierung und dem Firmenergebnis auf Werte zwischen minus 0,36 und minus 0,47.
Foto: McKinsey

Auswirkungen auf das Firmenergebnis

Stichwort Kosten: McKinsey hat die Auswirkungen auf das Firmenergebnis in allen drei Punkten errechnet. Am stärksten schlägt demnach das Fehlen einer digitalen Kultur insgesamt zu Buche, die Analysten verorten einen Wert von minus 0,47. Für Silostrukturen errechnen sie einen Wert von minus 0,44 und für zu geringe Risikobereitschaft einen Wert von 0,36.

Kulturwandel ist zeitaufwändig und komplex

Eine ganz handfeste Möglichkeit, den firmeninternen Austausch zu fördern, besteht im Rotationsprinzip für Manager-Positionen. So hat der US-Händler Nordstrom 2014 seine Chefs von stationärem und digitalem Handel die Rollen wechseln lassen. Das lasse sich auf jeder Ebene eines Unternehmens praktizieren. Im Ergebnis wuchs nicht nur das Verständnis der einen Sparte für die andere, sondern stabilisierte und erweiterte auch interne Netzwerke.

Anders gemacht hat es die Café-Kette Starbucks. Um digitaler zu werden, baute das Unternehmen ein Digital-Ventures-Team auf. Dafür wurden Vice Presidents von Google, Microsoft und Razorfish angeheuert. Eine weitere Möglichkeit ist die Zusammenarbeit mit Startups.

In einer Gesamtbetrachtung kommt McKinsey zu dem Schluss, dass ein Kulturwandel immer langsamer und komplexer vor sich geht als ein technologischer Change. Umso wichtiger sei, dass Entscheider den kulturellen Wandel aktiv betreiben.