Golfplatz-Kennzahlen reichen nicht

Benchmarking zu IT-Service-Qualität

09.09.2010 von Hartmut  Wiehr
Beim Benchmarking zur IT-Service-Qualität im Retail-Umfeld ging es um die Qualität der IT. Die Ergebnisse der Studie sind über die Retail-Branche hinaus von Interesse, meint Matthias Seidl von Lexta Consultants.
Matthias Seidl von Lexta Consultants aus Berlin hat die Benchmarking-Studie zu IT-Qualität in der Retail-Branche betreut. (Foto: Lexta)

Das Berliner Beratungshaus Lexta hat im Auftrag eines Handelsunternehmens ein Benchmarking zur IT-Service-Qualität im Retail-Umfeld durchgeführt. Dabei ging es weniger um einen quantitativen Vergleich von Kosten oder Preisen für IT-Leistungen, wie sonst bei Benchmarks üblich, sondern um die Qualität der IT.

"Benchmarking einmal andersherum“ – so lautete die Maxime bei dem durchgeführten Projekt. Konkret hieß das, keine Preis- und Kostenvergleiche mit direkt und branchenübergreifend vergleichbaren Unternehmen durchzuführen, sondern herauszufinden, wie viel IT-Qualität im Retail-Markt angemessen ist.

Im Resultat erbringt die Studie zum einen den allgemeinen Marktvergleich und zum anderen die Ergebnisse des Retail-Unternehmens im Vergleich zum Markt. Generell eröffnet die Normierung der Anforderungen auf Marktstandards Möglichkeiten, Kostensenkungspotenziale zu erschließen - sei es durch bewusstes Unterschreiten der Marktstandards mit Verhandlungsoption bei Benchmark-Preisen oder auch durch bewusstes Vermeiden von "Sonderlocken“ und "goldenen Zierleisten“.

Als Fazit ergibt sich: In der Praxis greift der reine Fokus auf den Vergleich von Kosten und Preisen für die IT zu kurz. "Golfplatz-Kennzahlen“ für die Geschäftsführung führen nicht immer zum Ziel: dem zufriedenen Endkunden, der auch wiederkommt. Leistungsinhalt und vor allem -qualität im Sinne von marktüblichen SLA-Qualitätskriterien (Service Level Agreements) sind von einer erheblichen Relevanz für das Direktkundengeschäft, besonders da, wo der nächste Laden in Laufweite um die Ecke liegt. Und Qualität, das ist letztlich nicht neu, hat ihren Preis.

Beim Benchmarking der Retail-Prozesse wurde besonderes Augenmerk auf die folgenden Aspekte gelegt:

? Informationsanfrage und Beratung zu Produkten / Dienstleistungen
? Vertrieb von Produkten / Dienstleistungen
? Änderung von Kunden- und Vertragsdaten
? Annahme / Bearbeitung von Aufträgen, Reparaturen
? Annahme / Bearbeitung von Retouren
? Abwicklung von Zahlungsvorgängen

Von den Filialmanagement-Prozessen wurden geprüft: Ressourcenplanung der Mitarbeiter, Mitarbeiter-Coaching, Administration allgemein, Vertriebssteuerung und das Kampagnenmanagement im Vertriebsgebiet.

Benchmarking im SAP-Umfeld

Bei den Applikationen galt das Interesse konkret der Service-Zeit und den Verfügbarkeitsquoten für die Branchenlösung SAP Retail, speziell für Customer Relationship Management und für die Customer-Service-Applikation. Des weiteren wurden unter diesem Gesichtspunkt Provisionsabrechnung, Ressourcenmanagement, Data Warehouse und Reporting untersucht.

Als besonders wichtig im Bereich der dezentralen Hardware und deren Services erachtete Lexta die Funktionalität und Wiederherstellungszeit von Kassensystemen, Desktop-PCs und Druckern. Ebenso fiel der Blick in diesem Zusammenhang auf Thin Clients und das Server-System sowie die Netzanbindung am Point of Sale.

Komplettiert wurde die Studie mit Betrachtung und Bewertung der Bereitstellungs- und Erfüllungsquoten. Davon betroffen sind die Prozesse von Arbeitsbeginn und -ende: Dienste, Bereitstellung Kennung wie auch Passwort-Rücksetzung, Umzug der Hardware wie auch Abbau des Arbeitsplatzsystems nach Kündigung. Immens wichtig, um zu einem optimal arbeitenden Service-Desk zu gelangen, ist es, der Anzahl Calls pro User und Monat genügend und entsprechend qualifizierte Mitarbeiter gegenüberzustellen, damit eine hohe Erstlösungsquote für möglichst viele User erreicht werden kann.

Man näherte sich der Aufgabenstellung ähnlich wie beim klassischen Benchmarking und bildete zwei Vergleichsgruppen.

Die direkte Vergleichsgruppe wurde aus drei Unternehmen zusammengestellt, deren Prozessabdeckung hundertprozentig identisch ist mit dem untersuchten Retail-Unternehmen. Voraussetzung dafür war, dass jedes dieser Unternehmen über 600 Läden in der Fläche betreibt, und zwar mit maximal 5.000 betreuten Usern. Dabei bewegte man sich im Bereich der Konsumgüterhersteller und -händler und der vertriebsorientierten Service-Unternehmen.

Bei der indirekten Vergleichsgruppe hingegen wurde der Bogen weiter gespannt: Hier wurden 28 Unternehmen zusammengefügt, die weitgehend vergleichbare Anforderungen und Prozesse im Hinblick auf das Retail-Unternehmen aufzeigen. Die Vielseitigkeit der Anbieter reicht vom öffentlichen Unternehmen mit 1.700 Mitarbeitern bis hin zum Automobilhersteller mit 100.000 Mitarbeitern. Dazwischen tummeln sich Baukonzerne, Immobiliendienstleister, Medienvertreter, IT-Service-Provider und IT-Dienstleister, aber auch Transport- und Logistik- sowie Dienstleistungsunternehmen. Ein großer Energieversorger war ebenso vertreten wie der Groß- und Einzelhandel.

Vorgehen und Ergebnisse

Pro Service Level Agreement beziehungsweise pro IT-Leistung wurden Höchst- und Mindestwerte (Maximum und Minimum) angegeben und zusätzlich ein Mittelwert aus allen vorliegenden Zahlen ermittelt. Der Maximalwert ist der höchste von allen Teilnehmern für den jeweiligen Fragepunkt gemeldete Wert, der niedrigste das entsprechende Pendant. Sicher erhofft man sich beispielsweise im Streben um Perfektion einen 99-prozentigen Verfügbarkeitssatz der SAP-CRM-Anwendung. Allerdings reichen 98,8 Prozent als Mittelwert gut an das Optimum heran. Dieser durchschnittliche Prozentsatz entspricht einer aufgewendeten Service-Zeit von 59 statt 50 oder 72 Stunden pro Woche.

Auch der Einsatz der Mitarbeiter wird mittlerweile durch die IT geplant. Wie viele Stunden Service-Zeit – erbracht nicht von Computern, sondern Menschen – muss hier kalkuliert werden? Im Benchmark wurde eine Spanne von 50 bis 55, also im Idealfall 52 Stunden pro Woche angegeben.

Ein anderes Beispiel: Ein Data Warehouse muss funktionieren, eigentlich immer und rund um die Uhr. Aus dem Arbeitsalltag ist eine reibungslos laufende und stets aktualisierte Datenbank nicht wegzudenken. So kam man im Benchmark auf ein Optimum von 59 Stunden Service-Zeit pro Woche und eine mittlere Verfügbarkeit von 98,8 Prozent, was einen die normale Arbeitszeit sinnvoll ummantelnden Mittelweg darstellt. Daraus ergibt sich ein mehr oder weniger stets ad hoc mögliches Reporting, dem 50 bis 70 Stunden Service-Zeit pro Woche gewidmet werden sollten.

Aufbau, Abbau, Implementierung von Software, Update, Umzug, Einstellung, Kündigung – dies sind alles Prozesse, die auf die IT (oder auf die Arbeitsplatzgestaltung mit IT) Einwirkung haben und nicht immer von langer Hand geplant werden können. Wie lange soll oder darf es zum Beispiel dauern, bis ein Kassensystem eingerichtet ist? Wie viel Geduld müssen neue oder altgediente Mitarbeiter aufbringen, bis der Computer am Arbeitsplatz nicht nur steht, sondern auch läuft?

Wenn sie Glück haben, passiert das an einem Tag. Wenn sie noch mehr Glück haben, sogar ehe sie den neuen Job am neuen Ort antreten. Im langsamsten Fall kann sich die Einrichtung und anschließende Mobilmachung des Arbeitsplatz-PCs bis zu zwei Wochen hinziehen und der Betroffene muss bis dahin Selbststudium und Trockenübungen betreiben.

Qualität am Service-Desk

Ein wenig schneller verlaufen nach den Erkenntnissen von Lexta die Prozesse in umgekehrter Richtung: Wird ein Mitarbeiter entlassen oder weggelobt, so wird die mit seinem Arbeitsplatz verbundene Hardware in durchschnittlich fünf Tagen abgebaut, die Rücksetzung von Passwörtern gelingt innerhalb eines halben Tages, oft auch schneller. Eines ist damit sicher: Das Setup eines neuen Arbeitsplatzes inklusive Einrichten einer neuen Benutzerkennung nimmt mehr Zeit in Anspruch als der Umkehrprozess.

Beim Vergleich der teilnehmenden Unternehmen zeigte sich eine deutliche Spanne, was die Service-Zeit am Service-Desk anbelangt: von 24*7 Stunden pro Woche als Maximalwert bis zu normalen Arbeitszeiten von 42 Wochenstunden. Der Mittelwert von 60 Wochenstunden tendiert eher in Richtung Kostensenkung und ist laut Lexta dem Arbeitsrhythmus der Mehrheit angepasst.

Neben der Verfügbarkeit der Service-Desk-Mitarbeiter ist die Erstlösungsquote und die Ermittlung der monatlichen Call-pro-User-Anzahl ebenso wichtig. Eine zwischen 30 und 90 Prozent schwankende Erstlösungsquote sagt einiges über die Qualität des Service-Desks aus, hingegen ist ein Mittelwert von 71,5 Prozent gleich beim ersten Kontakt lösbarer Fälle als durchaus positiv zu bewerten.

Weitere untersuchte Applikationen:

Matthias Seidl ist Partner im Team der Lexta Consultants Group: www.lexta.com