Klar, nicht alles klappt dufte in Berlin. Republikweiten Spott erntet die Hauptstadt regelmäßig - alleine die Stichworte Flughafendesaster und Verwaltungschaos genügen an dieser Stelle. Dennoch hat sich die Metropole an der Spree immer mehr zu einem der attraktivsten Orte der westlichen Hemisphäre gemausert, der mit seiner Internationalität, kulturellen Vielfalt und Urbanität wie ein Magnet auf Kreative, Forscher und Startups wirkt. Geradezu selbstverständlich erscheint es da, dass sich Berlin selbst auch als Smart City betrachtet.
Potenzial bei Schnittstellen
"Mittlerweile hat sich Berlin, insbesondere im europäischen Gefüge, bereits einen Namen als Smart City für Hochtechnologie gemacht", heißt es auf der Website der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung. "Die Entwicklung bis dato hat gezeigt, dass Unternehmen mit ihren in hohem Maße wettbewerbsfähigen Innovationen neue Geschäftsfelder für den Auf- und Ausbau urbaner Infrastrukturen erschließen und sich bewusst für den Standort Smart City Berlin entscheiden."
Die Stadt biete die optimalen Voraussetzungen, um in überschaubaren Strukturen Piloten für Lösungen zu erproben und für die weltweite Anwendung zu skalieren. Der Schwerpunkt der Smart City Berlin liege bereits heute erkennbar innerhalb der Innovationsfelder Mobilität, Energie, Gesundheit sowie der Querschnittsthemen IKT und Sicherheit. Ein hohes Innovationspotenzial sei zudem an den Schnittstellen dieser Felder beobachtbar.
Wunschbild oder Wirklichkeit, mag man sich fragen. Dass auf dieser Baustelle noch Nachholbedarf herrscht, zeigt die Studie "Global Cities 2016" von A.T. Kearney. Die Berater legen in ihrer regelmäßig erscheinenden Studie dieses Mal den Akzent auf das Thema Smart City. Auf der Liste der 14 Städte, die den Autoren als Vorreiter bei diesem Thema aufgefallen sind, finden sich die US-Metropolen Los Angeles und New York ebenso wie Toronto und Vancouver, Melbourne und Sydney, Singapur und Tokyo. Europa repräsentieren neben Paris und London auch Barcelona, Brüssel, Kopenhagen und - als einziger Vertreter aus dem deutschsprachigen Raum - Wien. Den Namen Berlin sucht man also vergeblich in diesem Ranking.
Definition einer Smart City
Eine Smart City platziere Technologie im Herzen seiner Entwicklungsstrategie, so A.T. Kearney. Inhaltlich orientieren sich die Berater an einer offiziellen Definition der USA. Smart Cities sind demnach "Städte, die eine Infrastruktur aufbauen, um die Sammlung, Verdichtung und Nutzung von Daten im Dienste der Verbesserung des Lebens ihrer Einwohner ständig zu verbessern - indem sie Nutzen ziehen aus der immer größeren Datenrevolution, kostengünstigen Sensoren und Forschungszusammenarbeit, und zwar auf sichere Weise, um Sicherheit und Datenschutz zu gewährleisten."
Genannt sind hier Themen, bei denen sich Berlin gewiss nicht verstecken muss - ohne aber offenkundig im Weltmaßstab an der Spitze zu sein. Immerhin verfügt die Hauptstadt mit der Humboldt-Universität und der Freien Universität über aktuell zwei Exzellenzuniversitäten und mit der Technischen Universität über eine weitere renommierte Institution, die auch im Feld der Smart Cities forscht. Die Zusammenarbeit dieser drei Universitäten soll weiter ausgebaut werden.
Intelligente Steuerung von Wärmepumpen
Beispiele für die Nutzung von Daten und Sensoren zur Verbesserung der Lebensqualität sind auf der Seite www.berlin-innovation.de zusammengestellt. Zu finden ist hier etwa der StromPager: eine von Netzbetreiber Stromnetz Berlin seit 2014 genutzte intelligente Steuerungslösung, die in Zusammenarbeit mit den Berliner Firmen e*Message Wireless Information Services Deutschland GmbH und Bosch Software Innovations GmbH entwickelt wurde. Wärmepumpen sowie Wind- und Solaranlagen können mit Hilfe dieser Lösung ferngesteuert werden. Ein anderes Beispiel für die Smart City ist ein Tool des Berliner Anbieters "Little Bird" zur Suche, Vergabe und Verwaltung von Kinderbetreuungsangeboten.
Den Studienautoren von A.T. Kearney hat derlei aber offenbar nicht gereicht, um Berlin in die Liste der 14 smartesten Städte aufzunehmen. Dabei gilt es aber klarzustellen, dass das Smart City-Ranking eher kursorisch nach Sichtbarkeit erstellt wurde - also nicht nach scharfen wissenschaftlichen Kriterien. Es dient A.T. Kearney inhaltlich insbesondere dazu, auf die beiden eigentlichen, regelmäßig präsentierten Ranglisten zu verweisen: den Global Cities Index der aktuell global wichtigsten Städten und den Global Cities Outlook der für die Zukunft verheißungsvollsten Städte. Die Kernbotschaft der Berater zu den 14 Smart Cities lautet: Diese Städte sind jeweils auch in den beiden anderen Rankings gut platziert, eine positive Korrelation liegt also nahe.
London verdrängt New York vom ersten Platz
Das wiederum klingt perspektivisch durchaus gut für Berlin. Denn die Hauptstadt ist eine von 15 Städten weltweit, die in beiden Ranglisten auf den ersten 25 Plätzen auftauchen. In Europa zählt zu diesem illustren Kreis neben Paris, Brüssel und Amsterdam auch London, das im seit 2008 erhobenen Index erstmals New York als Spitzenreiter ablöst - basierend auf Daten, die selbstverständlich vor dem Brexit-Votum erhoben wurden. Das Zukunftsranking führt San Francisco an, wie auch schon im Vorjahr.
München, Frankfurt, Düsseldorf
Berlin nun kletterte im Global Cities Index, in den Indikatoren aus den Bereichen geschäftliche Aktivität, Humankapital, Informationsaustausch, Kultur und politisches Engagement einfließen, von Rang 17 im Vorjahr auf Platz 16. Im Global Cities Outlook, der Lebensqualität, Wirtschaftskraft, Innovationsstärke und Governance misst, ging es um einen Rang von 13 auf 14 zurück. München fiel hier von 7 auf 9 zurück, hielt sich aber als einzige deutsche Stadt in den ersten Zehn.
Im Global Cities Index liegt die bayerische Landeshauptstadt übrigens auf Rang 33 mit aufsteigender Tendenz. Frankfurt am Main behauptete hier mit Platz 29 in etwa die Vorjahresposition, Düsseldorf hat mit Rang 67 offenkundig Verbesserungspotenzial. Im Zukunftsranking liegt die rheinische Metropole auf Platz 30, Frankfurt ist 40. Andere deutsche Städte sind im A.T. Kearney-Ranking nicht gelistet.
Keine Gelder für Berlin von der EU
Nun werden Berlin-Freunde, denen die Stadt ihres Herzens smarter als andere vorkommt, in der Studie der Berater einiges an Futter für Kritik finden. Dass etwa Moskau in der Kategorie Museen und St. Petersburg in der Rubrik Schwesterstädte ganz vorne liegen, muss man nicht zwingend überzeugend finden. Dass Berlin im Bereich Smart City aber noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen hat, zeigt sich aber auch jenseits dieser einen Studie.
So scheiterte die Hauptstadt im vergangenen Jahr mit ihrer Bewerbung um Gelder aus dem EU-Programm "Horizon 2020". Brüssel bewilligte keine Mittel für das Projekt "Smart NExUS", das unter anderem eine intelligente Vernetzung der Gartenstadt Lichterfeld mit Hilfe der Partner Bosch, VW, TU Berlin, der Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin sowie der Institute Fraunhofer Fokus und InnoZ vorsah.
Was Berlin besser machen muss
Ebenfalls 2015 befragte der Arbeitskreis Intelligente Infrastruktur des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) 491 Smart City-Experten aus der Hauptstadtregion - mit ernüchternden Resultaten. Zwar schätzten 45 Prozent der Befragten Berlins Potenzial auf diesem Gebiet als stark ein, mehr als die Hälfte bewertete den Ist-Zustand aber mit Schulnote Vier oder schlechter.
"Unsere Untersuchung zeigt, dass das Thema Smart City zu Recht eines der großen Zukunftsversprechen am Hauptstadtstandort ist", zitierte der Tagesspiegel VBKI-Präsident Markus Voigt. "Wir sehen aber auch: Berlin wird sich nicht von selbst in eine führende Smart City verwandeln." Nötig seien bessere politische Rahmenbedingungen und bessere Infrastruktur. Besser müssten nach Einschätzung des Vereins aber auch die Ausstattung mit Breitband-Internet, die Unterstützung von Hochschulen und die Qualität von Behörden und deren Leitung werden.