Hintergrund BI

Besserer ROI mit Predictive Analytics

01.07.2009 von Christa Manta
Predictive Analytics will das Kauf- oder Kündigungsverhalten von Kunden vorhersagen, ihre Bedürfnisse vorhersehen oder ihre Absicht, zu betrügen. Doch während Reporting, OLAP und andere retrospektive Analysetechniken längst in Unternehmen eingezogen sind, ist die vorausschauende Datenanalyse noch Stiefkind der BI.
Predictive Analysis im Spektrum der BI-Technologien. Quelle: TDWI



Welcher Kunden will demnächst kündigen und muss besonders umworben werden? Springt jemand, der im Online-Shop den kleinen Hobbit gekauft hat, auf ein Angebot zu Harry Potter an? Wie wird sich mein Aktienkurs in den nächsten Minuten entwickeln, wenn der des Konkurrenzunternehmens gestiegen ist? Um diese Fragen zu beantworten, müssen Unternehmer weder ihr Bauchgefühl noch eine Kristallkugel bemühen. Eine validere Prognose verspricht Predictive Analytics: die vorausschauende Datenanalyse.

50 Prozent mehr ROI

Als Teilbereich des Data Mining soll die vorausschauende Analyse Geschäftschancen erkennen, Unternehmensprozesse optimieren, Kundenverhalten vorhersehen, Betrugsfälle aufdecken oder potenzielle Problemfelder identifizieren. Kurz und gut: Unternehmer bei ihren Entscheidungen unterstützen und somit eine bessere Performance erzielen. Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens IDC gelingt das auch: So bezifferte die Studie "Lessons from IDC’s Financial Impact Study" für Projekte, die vorausschauende Analysetechniken einsetzten einen ROI (Return on Investment) von 145 Prozent. Jene, die nicht in die Zukunft blickten, erzielten laut IDC einen ROI von 89 Prozent.

Bisher sind vornehmlich Marketing-Abteilungen in das profitable Geschäft eingestiegen. So wird Predictive Analytics etwa für Cross-Selling-Kampagnen eingesetzt, bei der Kundenakquise, oder um den Customer Lifetime Value eines Kunden zu ermitteln. Die Bertelsmanntochter Donauland hat mit Predictive-Analytics-Techniken herausgefunden, dass so genannte Romantik-Leser eher als Sachbuch-Leser teure Bücher behalten, die ihnen vom Verlag zugestellt wurden. Dafür werden diejenigen Leser, die zugesandte Bücher häufig umtauschen, Buchschecks eher selten einlösen. Mit diesem aus vorausschauender Datenanalyse generierten Wissen kann Donauland seine Gewinne weitaus mehr steigern, als mit der klassischen Auswertung einer Marketing-Kampagne, etwa mithilfe eines Reports.

Neuronale Netze finden Zusammenhänge

Denn Predictive Analytics setzt an, wo OLAP oder Reporting aufhören. Statt nur die bestehende Situation zu analysieren, liefert die vorausschauende Analyse Prognosen. Rückwärtsgewandte Techniken arbeiten deduktiv, stellen also Hypothesen auf und fragen gezielt Informationen ab, um sie dann zu bestätigen oder zu verwerfen. Die vorausschauende Analysetechnik ist induktiv. Ohne Vorannahmen sucht sie nach Auffälligkeiten, Mustern oder Tendenzen in den Datensätzen, interpretiert diese und generiert Hypothesen. Dafür arbeiten Predictive-Analytics-Tools mit einer Vielzahl von Werkzeugen: mit komplexen statistischen Verfahren wie neuronalen Netzen, genetischen Algorithmen oder Entscheidungsbäumen, mit maschinellen Lernmethoden und Methoden aus der Robotik.

Zusammenhänge finden Predictive-Analytics-Tools zum Beispiel mithilfe von künstlichen neuronalen Netzen. Neuronale Netze sind dem menschlichen Gehirn nachempfunden. Durch sehr viele Datendurchläufe werden bestehende Strukturen oder Muster gelernt. Die Ergebnisse sind im vorhinein bekannt und der Algorithmus versucht, die Gewichtung der Prediktoren innerhalb eines Netzes richtig anzupassen. Das Verfahren nennt man supervised learning (überwachtes Lernen).

Kündiger und Betrüger aufdecken

Will man etwa ermitteln, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Kunde seinen Handyvertrag kündigt, werden in den Datensätzen aller Kunden eine Vielzahl von Kennzahlen wie Telefon- und SMS-Verhalten, Zahlungsweise, Vertragsdauer und -optionen oder die Anzahl der Anrufe bei der Service-Hotline gescannt. Dann werden die Kategorien so gewichtet, dass sich klare Unterschiede zwischen der Zielgruppe derer, die in der Vergangenheit gekündigt haben und der der treuen Kunden zeigen. So können Unternehmen Kunden aufspüren, die ihren Vertrag innerlich schon gekündigt haben und diese mit Angeboten umschmeicheln.

Auch in Call Centern kommt Predictive Analytics häufig zum Einsatz. Anhand der Auswertung von bisherigen Kontakten werden mögliche Anfragen von Kunden prognostiziert um dann proaktiv auf diese zugegangen.

Standard sind Predictive-Analytics-Tools mittlerweile auch in der so genannten Fraud Detection, der Betrugserkennung, etwa bei Banken oder in der Versicherungsbranche. Entsprechende Tools suchen in Data Warehouses nach Datenmustern, die beispielhaften Betrugsfällen ähneln und identifizieren anschließend automatisch vom "Normalbild" abweichende Fälle.

Thema vielen Anwendern zu komplex

Trotz der Möglichkeiten, die Predictive Analytics bietet, ist die Technik noch nicht in allen Unternehmensbereichen angekommen. Das liegt zum einen an der Komplexität des Themas und den fehlenden Experten. Zum anderen an den Kosten der Implementierung. Oft ist es aber auch ein Problem der Interoperabilität und der Datenqualität. Zum Beispiel stehen Marketingabteilung und Kundenbetreuer eines Unternehmens, die zusammenarbeiten wollen, um Kundenprofile zu erstellen vor dem Problem, dass sie unterschiedliche Begrifflichkeiten verwenden, die sich auch in ihren Datensätzen niederschlagen.

Eine 2007 veröffentlichte Umfrage des Anwenderinstituts TDWI (The Data Warehouse Institute) unter 833 Befragten bescheinigte den vorausschauenden Analysetechniken, noch in den Kinderschuhen zu stecken. Lediglich 21 Prozent der Organisationen hatten entsprechende Tools ganz oder teilweise implementiert, 19 Prozent waren dabei ein solches Projekt zu entwickeln. Die absolute Mehrheit, nämlich 61 Prozent der Befragten, waren in der explorativen Phase oder hatten gar keine Pläne mit Predictive Analytics. "Wir sitzen auf einem Berg aus Gold, aber wir schürfen ihn nicht so effektiv ab, wie wir könnten", resümiert Michael Masciandaro, BI-Chef des Chemieunternehmens Rohm & Haas. Die meisten BI-ler würden, wenn sie von Analysetechniken sprechen, Reporting oder OLAP (Online Analytical Processing) meinen.

In manchen Bereichen - zum Beispiel bei Banken und Versicherungen - spielt auch der Datenschutz eine Rolle. Kritisch wird es zum Beispiel, wenn Krankenkassen Predictive Analytics einsetzen um Patientenkarrieren oder die Wahrscheinlichkeit eines Krankenhausaufenthaltes vorherzusagen. Zwar kann man dieses Wissen verwenden, um die Versorgung zu optimieren, doch genauso gut eignet es sich dazu, Versicherte zu klassifizieren.