Generative AI - der Stand der Dinge

Betriebe sind weltweit an der Arbeit

05.09.2023 von Heinrich Vaske
Wer Generative AI immer noch für einen Hype hält, wird von McKinsey eines Besseren belehrt: Schon ein Drittel der Unternehmen nutzt GenAI aktiv in mindestens einer Geschäftsfunktion.
  • Nicht nur Techniker, auch Manager experimenitieren mit ChatGPT & Co.
  • Jedes dritte Unternehmen nutzt Generative AI in mindestens einem Geschäftsbereich
  • Die fehlende Genauigkeit macht den Usern zu schaffen, ebenso Cybersecurity- und Urheberrechtsfragen
Immer mehr Unternehmen rund um den Globus beschäftigen sich mit Generative AI und versuchen herauszufinden, wo sich Vorteile ergeben könnten.
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Aktueller geht's nicht: Am 1. August 2023 hat QuantumBlack, die KI-Einheit der Management-Beratung McKinsey, eine Studie veröffentlicht, die den Status quo der GenAI-Nutzung rund neun Monate nach dem Erscheinen von ChatGPT aufzeigt. "KI hat sich von einem Spezialgebiet für Tech-Mitarbeiter zu einem wichtigen Thema für Topmanager entwickelt", schreiben die Analysten, die weltweit 1.684 Manager unterschiedlichster Branchen befragt haben. Ein Viertel nutzt demnach inzwischen GenAI-Tools für die eigene Arbeit.

Bei jedem dritten Betrieb läuft GenAI in mindestens einem Geschäftsbereich produktiv. Von den Unternehmen, die schon vor ChatGPT auf KI gesetzt haben, beschäftigen sich heute sogar 60 Prozent intensiv mit GenAI. 28 Prozent dieser Enthusiasten haben das Thema auf die Vorstandsagenda gesetzt.

Wer KI kennt, interessiert sich auch für GenAI

Betriebe, die schon früher etwa mit Machine Learning (ML) und Deep Learning zu tun hatten, legen ein besonders hohes Innovationstempo vor. Sie loten die Möglichkeiten von GenAI gründlicher aus als andere. Die disruptive Kraft sei signifikant, schreibt McKinsey. Die Umfrageteilnehmer sähen allerdings auch die Risiken und erwarteten "signifikante Veränderungen in ihren Belegschaften". Ein Personalabbau in bestimmten Geschäftsbereichen sei wohl unausweichlich, auch müssten im großen Stil Aus- und Weiterbildungsprogramme her, damit die Chancen durch GenAI konsequent genutzt werden könnten (siehe auch: Mercedes Benz investiert zwei Milliarden in KI-Weiterbildung).

Generative AI ist ein weltweites Thema, die Europäer sind keineswegs abgehängt - im Gegenteil.
Foto: McKinsey

McKinsey macht auch "High Performer" unter den KI nutzenden Organisationen aus: Die Firmen, die im vergangenen Jahr 20 Prozent ihres EBIT-Ergebnisses auf den Einsatz von KI zurückführten, also etwa Robotic Process Automation (RPA), Machine Learning (ML) oder Chatbots einsetzen, gehören zu dieser Gruppe. Die High Performer zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht lockerlassen und weiter "all-in" gehen in Sachen KI - weil sie sehen, dass es sich für sie lohnt. Auch in Bereichen, in denen andere Unternehmen noch nicht mit KI arbeiten, sind diese Vorreiter am Start: etwa in der Produkt- und Service-Entwicklung, im Risiko-Management oder der Lieferketten-Verfolgung.

Für echte GenAI-Kenner ist das Kostenthema zweitrangig

An den High Performers fällt auf, dass Kostensenkung durch KI-Einsatz nicht ihr erstes Interesse ist - anders als in anderen Unternehmen. In dieser Gruppe will die Mehrheit der Befragten das eigene Business besser aufstellen sowie neue Umsatzquellen erschließen. Außerdem setzen die High Performer darauf, ihr Produkt- und Serviceangebot durch KI-Funktionen aufzuwerten.

Die Vorreiter geben auch viel mehr Geld für KI aus als andere, und sie sind erpicht darauf, KI in möglichst allen Unternehmensbereichen einzusetzen. Entsprechend haben sie KI oft schon in vielen Funktionen im Einsatz - meist auch in einer größeren funktionalen Breite. So haben viele beispielsweise mindestens in einem Produkt oder Geschäftsprozess einen Knowledge-Graph eingebettet. Ebenso setzen diese Betriebe intensiv auf Natural Language Processing (NLP). Während andere Unternehmen noch über ihre KI-Vision oder ihre Business Cases nachdenken, beschäftigt diese Betriebe bereits das Monitoring der eingesetzten Modelle oder deren Retraining.

Marketing und Vertrieb setzen Generative AI besonders aktiv ein.
Foto: McKinsey

Europa kann KI

McKinsey schlüsselt das enAI-Nutzungsverhalten nach Regionen, Branchen, Unternehmensfunktionen, Alter und Geschlecht auf. Dabei zeigt sich, dass die Technik auf allen Kontinenten auf nahezu ähnlichem Niveau genutzt wird. Überraschenderweise liegt Europa mit einem zehnprozentigen Anteil von Unternehmen, die GenAI schon heute im Daily Business einsetzen, knapp an der Spitze.

Was die einsetzenden Branchen betrifft, liegt der Sektor "Technologie, Medien und Kommunikation" klar vorne, gefolgt von den Finanzdienstleistern. Die Umfrage zeigt außerdem, dass alle Management-Level gleichermaßen begeistert sind und rund ein Viertel der Vorstände und Senior-Manager GenAI immer wieder beruflich oder privat einsetzt. Bezüglich der Altersgruppen und des Geschlechts gibt es keine großen Unterschiede im Nutzungsverhalten.

Marketing und Vertrieb interessiert sich für GenerativeAI

Die Betriebe, die schon heute regelmäßig auf GenAI vertrauen, tun diese vorzugsweise in Marketing und Vertrieb (14 Prozent). Sie lassen sich beispielsweise Entwürfe oder Rohtexte automatisiert anfertigen, nutzen die Technik für personalisiertes Marketing oder verwenden Summary-Funktionen. In der Produktentwicklung (13 Prozent) kommt GenAI für das Identifizieren von Markttrends, das Erstellen technischer Dokumente oder das Kreieren neuer Produktdesigns zum Einsatz. Der drittgrößte GenAI-Bereich, Service Operations (zehn Prozent), setzt auf Chatbots für den Kundenservice, die Vorhersage von Trends und Anomalien sowie ebenfalls auf das automatisierte Erstellen von Dokumenten.

Die KI-Experten von McKinsey erwarten, dass GenAI die Industrien, die auf "Wissensarbeit" setzen, am stärksten durcheinanderwirbeln wird. Dazu gehören Banken, die Anbieter von pharmazeutischen und medizinischen Produkten sowie Bildungseinrichtungen. In Industrien mit einem Fokus auf Fertigung, etwa Automotive, Flugzeug- oder Maschinenbau, sei das disruptive Potenzial weniger ausgeprägt. Anders als bei bisherigen Technologiewellen seien diesmal nicht die Industriebetriebe am stärksten betroffen. GenAI entfalte stattdessen seine Stärken eher bei sprachbasierten Aufgaben, weniger in Konstruktionshallen und Labors.

Ungenauigkeiten, Cyberrisiken und offene Urheberrechtsfragen machen GenAI-Nutzern zu schaffen
Foto: McKinsey

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Risiken werden noch zu wenig beachtet

Laut McKinsey beschäftigt sich derzeit nur eine Minderheit der Befragten mit den Risiken von Generative AI. Als größte Herausforderungen werden unkorrekte Ergebnisse, Cybersicherheits-Probleme und Urheberrechts-Verletzungen erkannt. Außerdem sorgen sich viele Befragte, sie könnten unbeabsichtigt gegen geltendes Recht verstoßen. Nur jedes fünfte Unternehmen hat allerdings bislang eine Policy eingeführt, die den Umgang mit KI-Technologien am Arbeitsplatz reguliert.

Ergebnisse sind oft fehlerhaft - doch Firmen ignorieren das

Überraschend geht laut Umfrage nur ein Drittel der Betriebe aktiv daran, das größte Problem zu lösen: die ungenauen oder fehlerhaften Ergebnisse, die GenAI hervorbringen kann. Dagegen widmen sich immerhin 38 Prozent den Cybersecurity-Risiken - vermutlich, weil es die IT-Sicherheitsbereiche und -Zuständigkeiten in den Unternehmen schon längst gibt.

Last, but not least verändert der GenAI-Trend auch die Personalprofile in der IT. Wurden in diesem Bereich bislang vor allem Data Engineers, Data Scientists und Machine-Learning-Profis eingestellt, sind jetzt zunehmend auch Experten für die KI-Einführung und für Prompt Engineering gefragt. McKinsey erwartet, dass im Zuge des KI-Trends in den Unternehmen mehr als 20 Prozent der Belegschaften umgeschult werden müssen. Auch einen Personalabbau soll es geben, der werde sich aber wohl in Grenzen halten, da Automatisierung oft im Kleinen stattfinde und ganze Funktionen selten komplett umgestaltet würden. Am ehesten seien wohl die Servicebereiche betroffen. (hv)