Vorstellungsgespräch

Bewerbung: Schaumschläger oft im Vorteil

16.09.2024 von Madeleine Leitner
Wer sich im Vorstellungsgespräch nur auf seine fachliche Qualifikation verlässt und tief stapelt, hat oft schon verloren.
Selbstbewußtes Auftreten muß nicht immer ein Zeichen von großer Kompetenz sein.
Foto: Wassana Panapute - shutterstock.com

Bei Vorstellungsgesprächen und in der Arbeitswelt sind oft diejenigen, die selbstbewusst auftreten und Selbstdarstellung betreiben im Vorteil - obwohl nicht immer auch viel Wissen dahinter steckt. Woran das liegt, erklärt die Diplompsychologin Madeleine Leitner. Sie arbeitet mit einem Modell von vier Stadien der Kompetenz:

1.Stufe: Die unbewusste Inkompetenz

Hier wissen die Menschen noch nicht einmal, was sie nicht wissen. Wer zum Beispiel noch nie Besteck gesehen hat, weiß gar nicht, dass er nicht mit Besteck essen kann. Im Gegensatz dazu treten diese "unwissenden" Personen aber besonders selbstbewusst auf, weil sie mangels Wissen natürlich von Selbstzweifeln unbelastet sind.

2. Stufe: Die bewusste Inkompetenz

Hier bemerken Menschen erstmals, dass sie etwas nicht können. Man sieht in dem genannten Beispiel andere Personen, die mit irgendetwas Seltsamem essen: "Das kann ich nicht". Das Selbstbewusstsein ist zwar dahin, aber immerhin weiß man, was man nicht weiß. Damit ist man aber schon deutlich weiter.

3. Stufe: Die bewusste Kompetenz

Jetzt übt man bewusst neue Verhaltensweisen ein, muss sich aber sehr darauf konzentrieren. Wie schwer ist es zum Beispiel für Anfänger, beim Autofahren Bremse, Gas und Kupplung zu koordinieren.

4. Stufe: Die unbewusste Kompetenz

Das, was Menschen am besten können, tun sie ganz automatisch, ohne überlegen zu müssen. Das ist symptomatisch für die besten Fähigkeiten von Menschen. Hier liegen auch ihre Naturtalente. Weil es so leicht ist, erscheint es den Betreffenden allerdings ganz selbstverständlich. Sie gehen daher davon aus, dass das jeder kann.

Daraus lassen sich einige interessante Phänomene ableiten:

Kompetente Menschen verfügen über viel Wissen. Je besser sich jemand auskennt, desto stärker ist ihm bewusst, was er nicht weiß. Kompetente Menschen relativieren daher ihre Aussagen und treten daher nicht gerade selbstbewusst auf. Zweifel werden mit Inkompetenz verwechselt. Wer würde die Weltformel erkennen, wenn uns Albert Einstein mit fragendem Blick, unsicherer Stimme und verknoteten Beinen davon erzählte?

Inkompetente Menschen, deren Horizont beschränkt ist, wissen dahingegen oft noch nicht einmal, was sie nicht wissen. Unter Selbstzweifeln leiden sie daher nicht. Im Gegenteil: sie treten oft so auf, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gegessen.

Menschen, die besonders selbstbewusst auftreten, werden also tendenziell über-, unprätentiöse Zeitgenossen unterschätzt. Bei Fragen der Beurteilung und Auswahl von Mitarbeitern sind Selbstdarsteller im Vorteil. "Verpackungstechniken" wie Selbstmarketing liegen im Trend. Daher nimmt die Zahl der Schaumschläger in Firmen nach Beobachtung von Madeleine Leitner in den letzten Jahren deutlich zu.

Leider sind Personaler und Führungskräfte oft viel zu wenig auf ihre anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet (entspricht Stufe 1: die unbewusste Inkompetenz), nach dem Motto: "Personal kann jeder". Dabei benötigt jeder Personaler eine Art "Führerschein" für seine Aufgabe: Es wäre ein deutlicher Fortschritt, sich die eigene Inkompetenz bei der Personenwahrnehmung zunächst bewusst zu machen (entspricht Stufe 2: bewusste Inkompetenz).

Anschließend müsste man sich mit den einfachsten Gesetzmäßigkeiten der Personenwahrnehmung beschäftigen (Stufe 3: bewusste Kompetenz). Dazu gehört zum Beispiel der Halo-Effekt. Dieser besagt, dass man sich nach wenigen Sekunden einen Eindruck von Personen macht und sich anschließend diesen Eindruck nur noch unbewusst bestätigt. Die kritische Reflektion der eigenen Wahrnehmung würde womöglich auf Dauer die Dominanz der Selbstdarsteller verhindern helfen.