Aus der Ruhe bringt Horst Gue so schnell nichts. Der Abteilungsdirektor Personalservice der BHW Holding AG in Hameln liest zwar regelmäßig Zeitung. Was in diesen Tagen in den Wirtschaftsteilen über die entschiedene Übernahmeschlacht zwischen den Softwareanbietern Peoplesoft und Oracle zu lesen ist, hat aber "keinen Einfluss auf den Puls", sagt er.
Das verwundert, denn in Deutschland gibt es kaum ein Unternehmen, dass so eng mit der Business-Software aus Pleasenton, Kalifornien, verbunden ist wie der Finanzdienstleister. 10 000 Abrechnungsfälle im Personalwesen laufen monatlich durch Peoplesoft-Lösungen. Seit Anfang des Jahres sind in Hameln die Grundlagensoftware Peoplesoft HRMS 8.8 und die Peoplesoft-Global-Payroll im Live-Betrieb. Das neue System löste eine ältere Peoplesoft-Version ab, die das Unternehmen bereits jahrelang zur Personalabrechnung und zum Personalmanagement nutzte.
1997 begann die Zusammenarbeit der Hamelner mit Peoplesoft. BHW hatte 25 Jahre lang die Gehälter mit selbstgestrickter Software abgerechnet. Die Einführung des Euro und das Garantieren der Jahr-2000-Kompatibilität der Systeme waren Gründe für die Suche nach Alternativen. "Wir konnten Peoplesofts Lösungen an die Strukturen des Unternehmens weitgehend anlehnen, während wir uns bei SAP an den Strukturen der Software hätten orientieren müssen", erklärt Gue die Entscheidung gegen den Anbieter, der bereits bei einem Großteil der übrigen Business-Systeme des Finanzdienstleisters zum Zuge kommt.
Bis die ersten Gehaltsabrechnungen über Peoplesofts Payroll liefen, musste einiges angepasst werden. "Es war ein wenig, als hätte man eine Textverarbeitung eingeführt, die nicht für die deutsche Rechtschreibung ausgelegt ist", erinnert sich der Projektverantwortliche. "Payroll ist eine US-Lösung, das Steuerrecht ist was anderes. Dazu mussten Haustarife der BHW nachgebildet werden." BHW entwickelte sich auf diese Weise zum Peoplesoft-Pilotanwender für die deutsche Gehaltsabrechung. Jährlich wurde das System erweitert, mal um Funktionalitäten, mal, weil sich Steuergesetze geändert hatten.
Eines aber blieb konstant: Bei jedem Projekt wurden die Nutzer aus den Fachabteilungen stärker in die Entwicklungsarbeit einbezogen. Grafische Nutzeroberflächen sowie das automatische Programmieren anhand von Tabellen ermöglichten es, dass sich heute laut Gue "ein großer Teil unserer IT vom Entwicklungsbereich in die Fachbereiche verlagert hat und 80 Prozent der Änderungen von Fachbereichlern mit normalen IT Kenntnisse umgesetzt werden können." Das neue System führt im Gegensatz zur Vorgängerversion die Personalabrechnung auf Basis einer einzigen Datenbank zentral über das Internet durch. Die von Siemens mitentwickelte Software für betriebliche Altersvorsorge wurde integriert, sodass es bei BHW für alle Personalprozesse nur noch eine Datenbasis gibt. Zugleich lassen sich Änderungen einfacher denn je abbilden. "Die Anpassbarkeit bietet uns einen klaren Mehrwert", sagt Gues Vorgesetzter, Wolfgang Lyding, Manager Human Resources bei BHW.
Ungewissheit nach Peoplesoft-Kauf
Bundesweit sind bei BHW 4100 Finanzmanager im Außendienst im Einsatz. In 830 Service-Centern und in der Hamelner Zentrale betreuen mehr als 5100 Mitarbeiter die Verträge. Die Zukunftsfähigkeit dieser Lösung steht allerdings in Frage - nicht wegen der Technologie, sondern wegen Oracle. Seit Sommer 2003 rang Oracle-Chef Larry Ellison um die Kontrolle über Peoplesoft - ohne bisher zu erklären, was nach der Übernahme aus deren Produkten und dem Kunden-Support werden soll. "Oracle wird es sich nicht leisten können, die Entwicklung von Payroll und des Human-Resources-Systems einzustellen", glaubt Horst Gue. "Sie müssen diese Produktlinien weiterführen, weil sie über keine adäquaten Alternativen verfügen."
Möglich ist aber auch, dass die Peoplesoft-Anwender in 18 Monaten mit leeren Händen und gekündigten Support-Verträgen dastehen. Das Peoplesoft-Management warf Oracle vor, mit der Übernahme keine ernsten Absichten zu verfolgen, sondern die Geschäfte eines missliebigen Konkurrenten stören zu wollen, und brachte Orcale deswegen vor Gericht. Die vom potenziellen Käufer verursachte Ungewissheit hat Kunden und Investoren gleichermaßen verunsichert. Obwohl Peoplesoft versuchte, Großinvestoren mit positiven Ausblicken bei Laune zu halten, verkauften viele institutionelle Anleger ihre Anteile.
Der ganz alltägliche Übernahme-Wahnsinn
Oracle verklagte wiederum die HR-Spezialisten, weil sie die Übernahme mit umstrittenen Abwehrmaßnahmen verhindern wollten. Dazu gehört unter anderem Peoplesofts "Customer Assurance Program". Der Business-Software-Anbieter hatte es kurz nach dem ersten Übernahmeangebot eingeführt. Peoplesoft sicherte darin allen Kunden eine Rückerstattung des Kaufpreises zu, falls die Produkte nach einer Übernahme nicht mehr unterstützt und weiterentwickelt würden. Das Peoplesoft-Management konnte außerdem neue Anteile ausgeben, sobald ein Investor mehr als 20 Prozent des Aktienbestandes hielt. Oracle und verkaufswillige Peoplesoft-Aktionäre klagten derzeit gegen die teuren, als "Giftpillen" bezeichneten Tricks gegen Peoplesoft.
Lange gehörte der ganz alltägliche Übernahme-Wahnsinn dazu, wenn man Geschäfte mit Peoplesoft machte. Zuletzt verschreckte das vehement gegen den eigenen Untergang ankämpfende Unternehmen die eigenen Kunden bei seiner Leitmesse in London im Oktober durch die überraschende Entlassung des CEO Craig Conway zwei Tage vor Beginn des Events. "Spinnen die jetzt völlig?", kommentierte der CEO eines großen Peoplesoft-Kunden aus den Niederlanden die Tatsache, dass das Unternehmen vor den Augen der Fachöffentlichkeit tagelang kopflos agierte und selbst für die engsten Kunden keine kohärente Strategie für 2005 formulieren konnte.
Nachdem das Peoplesoft-Management auch nach einem Aktionärsvotum im November, anlässlich dessen Oracle über 60 Prozent der Anteile zugesagt worden waren, an seinem Widerstand gegen die feindliche Übernahme festhielt, zogen sich die Querelen noch hin. Oracle hatte bereits vier Kandidaten für die Verwaltungsratswahlen auf der Peoplesoft-Hauptversammlung Ende März 2005 nominiert. Selbst nach der Übernahme im Dezember 2004 wird das schlagzeilenträchtige Tauziehen nicht zu Ende sein.
Betrieb auch ohne Peoplesoft möglich
Dieses Hin und Her beschäftigte auch Gue von der BHW. "Das sind natürlich alles Themen, die wir auch verfolgen", sagt Gue. Prinzipiell war es aber für den Betrieb der Personaler-IT nicht entscheidend, wer am Ende den Übernahme-Poker gewann. "Von der Sache her sind wir so mündig, dass wir auf eigenen Beinen stehen können." Die hauseigenen Experten warten und verbessern jetzt schon die Systeme. "Wir können alles, was Peoplesoft betrifft, aus eigener Kraft umsetzen", sagt Gue. "Wir haben gezielt Leute gesucht, die das beherrschen." Die zentralisierte Architektur des Systems erlaube es außerdem, den Aufwand für Änderungen überschaubar zu halten. "Die Software läuft auf einem Application Server, wir müssen also bei Änderungen nicht an die einzelnen PC-Clients ran. Man muss nur auf dem Server Ordnung halten."
Auch in der praktischen Zusammenarbeit mit Peoplesoft hätten die Turbulenzen wenig geändert. "Wir haben in der Vergangenheit häufiger verfolgt, dass es Veränderungen bei Peoplesoft in der Geschäftsführungsebene gab - global, in Europa und in Deutschland", sagt Gue. "Das hat uns oft irritiert, aber wir haben nie gesehen, dass sich das auf die Projektarbeit niedergeschlagen hat." Ein enger Kreis von Fachleuten der Deutschland-Zentrale in München kümmere sich nach wie vor um das Thema deutsche Payroll. Gue: "Man hat anscheinend die Auseinandersetzung der Unternehmen von der Sacharbeiterebene fern halten können. Insgesamt war es eine mutige Entscheidung, die wir damals gefällt haben, weil wir überzeugt waren, und ich bin auch nach wie vor von ihr überzeugt."