Der studierte Chemieingenieur und Pharmaexperte Anderson ist voll des Lobes für die Produkte und Kultur des Pharma- und Agrarchemiekonzerns. Er gibt seinen Vorstandskollegen aber auch folgenden Satz mit auf den Weg: "Das Potenzial ist riesig, aber wir wissen alle, dass Potenzial alleine nicht ausreicht." Es gibt einiges zu tun.
Während das Geschäft mit rezeptfreien Arzneien wieder in der Spur ist, schwächelte jüngst die bedeutend größere Pharmasparte mit Milliardenmedikamenten wie dem Blutgerinnungshemmer Xarelto und dem Augenmittel Eylea. Zudem muss Bayer künftig Umsatzlücken stopfen, die nach und nach auslaufende Patente auf die beiden Kassenschlager aufreißen werden. Pharma-Chef Stefan Oelrich machte in den vergangenen Jahren Fortschritte, brachte neue Medikamente auf den Markt, trieb die Entwicklung des potenziellen Xarelto-Nachfolgers Asundexian voran und steckte viel Geld in die Entwicklung zukunftsträchtiger Zell- und Gentherapien. Mögliche finanzielle Erfolge werden aber noch Jahre auf sich warten lassen.
Und dann ist da noch die Agrarsparte, die ein starkes 2022 hinter sich hat und der Branchenexperten dank neuer Produkte wie kurzwüchsigem und damit wetterfesterem Mais viel zutrauen, die aber auch schonmal stärker schwankt. Um das Agargeschäft auszubauen, hatte Bayer unter Führung von Werner Baumann 2018 den US-Saatgut- und Agrarchemiekonzern Monsanto übernommen.
Der umstrittene Kauf von Monsanto
Mit dem mehr als 60 Milliarden US-Dollar teuren Kauf hatten sich die Leverkusener aber nicht nur erfolgreiche Produkte ins Haus geholt, sondern auch die US-Rechtsstreitigkeiten um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter sowie um Spätfolgen der seit Jahrzehnten verbotenen Chemikalie PCB. In Summe hat das viele Milliarden verschlungen, vor allem die Causa Glyphosat. Die ist zu einem Großteil abgearbeitet. Bleibt PCB - dafür kalkuliert Analyst Sebastian Bray von der Privatbank Berenberg in einer Studie vom Anfang Mai mit Kosten von eventuell vier Milliarden Dollar zur Belegung.
Anderson hat also einige Baustellen, hinzu kommt der in den vergangenen Monaten gewachsene Druck seitens einiger Investoren, die nach einer Aufspaltung des Konzerns rufen. Der Grund: nach dem Kursverfall der vergangenen Jahre, vor allem wegen des Glyphosat-Themas, sehen sie mehr Wert in der Summe der Einzelteile nach einer Trennung als in Bayer in der jetzigen Form.
Fest steht: Der neue Konzernlenker dürfte - nachdem er sich seit April einarbeiten konnte - mittlerweile ein klareres Bild von Bayer und von dem haben, was auf ihn zukommt. Er wollte die Zeit nutzen, um viel mit den Mitarbeitern überall auf der Welt zu reden.
Neuer Bayer-CEO verspricht außerordentliche Ergebnisse
Und er verspricht nichts Geringeres als außerordentliche Ergebnisse, wenn man seinen Worten auf der Hauptversammlung glaubt. "Ich bin im Herzen Wissenschaftler, habe mich dem lebenslangen Lernen im Bereich Biotechnologie und Life Sciences verschrieben und habe eine Leidenschaft dafür entwickelt, Organisation zu bemächtigen, damit sie außerordentliche Ergebnisse erzielen", sagte er.
Wie er sich das vorstellt, das hatte er bereits Anfang April Journalisten in Leverkusen grob umrissen. Er will einen "Sense of Ownership" schaffen: Mitarbeiter sollen sich verantwortlich fühlen und den Willen haben, Dinge zu denken und voranzubringen, als wäre es ihr Unternehmen. Eine solche Unternehmenskultur zu etablieren, sei aber auch ein gewaltiges Unterfangen. Er selbst habe dies bereits erlebt.
Anderson bringt neben seiner naturwissenschaftlichen Ausbildung reichlich Erfahrung in der Biotech- und Pharmabranche mit, unter anderem bei Biogen, Genentech und zuletzt als Pharmachef von Roche.
Bis der Manager seine Pläne für die Bayer-Zukunft vorstellt, müssen sich die Aktionäre und Mitarbeiter aber wohl noch etwas gedulden. Analyst Gunther Zechmann von Bernstein Research rechnet mit einem Strategieupdate später 2023 oder früh im kommenden Jahr.
Bis dahin sollte nicht zu viel in die Worte von Anderson hineininterpretiert werden, mahnt Berenberg-Experte Bray. Neue Chefs wählten ihre anfänglichen Äußerungen immer mit Bedacht, um sich während des Kennenlernens ihres Unternehmens Flexibilität zu bewahren. Daher erscheine auch eine Aufspaltung von Bayer zumindest kurzfristig unwahrscheinlich - weil der Aufsichtsrat wohl dagegen sei -, wenngleich der neue Chef allen Optionen offen gegenüber stehe. (dpa/rs)