Dieser Tage gleichen sich die Situationen in vielen Unternehmen: Der IT-Verantwortliche (meist CIOs oder IT-Leiter) wird zu den Unternehmensverantwortlichen gerufen. Es gilt die Frage zu adressieren, wie die Geschwindigkeit insbesondere in der Informationstechnik zum Zwecke der Digitalisierung gesteigert werden kann. Unternehmensverantwortliche wollen schließlich noch rechtzeitig auf den fahrenden Zug der Digitalisierung aufspringen.
Da diese jüngst auf Einladung im Silicon Valley weilten, fallen im Gespräch mit dem IT-Verantwortlichen auch die entsprechenden Buzzwords: Design Thinking gepaart mit Agilität und DevOps in einem Scrum-of Scrum-Umfeld gesteuert über Lean-Ansätze wie Kanban in einem bimodalen Geschwindigkeits-Umfeld versprechen endlich den digitalen Durchbruch im Unternehmen. Und da die Haus-eigene IT bislang nicht so wirklich geliefert hat, scheint die Lösung des Problems in einer separaten High-Speed IT-Einheit gefunden.
Der Phantasie folgt die harte Realität
Der Phantasie folgt dann oft die harte Realität. Geschwindigkeit wird weder durch den Gewinn einer Buzzword-Olympiade gesteigert noch durch die Gründung eines neuen Digitalen Labs mit High-Speed Charakter. Es bedarf auch nicht neuer technologischer Lösungen – diese sind mehr denn je vorhanden. Vielmehr erfordert Beschleunigung und Geschwindigkeit das richtige Maß an Inspiration, Transpiration und Investition im Umgang mit Informationstechnologien gepaart mit Mut zu Veränderungsentscheidungen – losgelöst von einer organisatorischen oder prozessualen Aufstellung.
Die Lösung von heute wird zum Problem von morgen
Eine Antwort auf die Herausforderungen der digitalen Transformation heißt "bimodale IT" - eine IT der zwei Geschwindigkeiten. Da der bisherige Fokus von IT-Einheiten meist aus Kostengründen sehr stark auf der Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit lag, entwickelte sich in vielen Unternehmen ein technologisches "Eigenleben":
Im Marketing entwickelten sich Datenanalyse-Kompetenzen.
Der Vertrieb kümmert sich um Apps und Media-Blending.
Und in der Produktion wurden zur Steuerung die Server unter die Schreibtische gestellt.
Diese Entwicklungen wurden von der digitalen Transformation noch befeuert. In der Konsequenz liegt der Vorschlag nahe, den Geschäftsmodell-verändernden, disruptiven Teil der IT nicht in der "herkömmlichen" IT anzusiedeln, sondern doch gleich in einer eigenen Organisationseinheit zu verorten. In dieser kann dann, wie bisher, mit Zustimmung des Top-Managements mit hoher Geschwindigkeit an der Zukunft des Unternehmens gearbeitet werden. Viele Unternehmensverantwortliche erliegen aktuell diesen Versuchungen.
Bimodale IT also als wichtiger Schritt in die richtige Richtung? Bei weitem nicht, denn es gibt durchaus auch kritische Stimmen über diesen Ansatz. Bimodale IT, wie der Name schon sagt, impliziert zwei getrennte Welten, die mehr oder weniger unabhängig voneinander agieren können. Genau dabei entsteht das Problem.
Wer bezahlt es?
Mit hoher Geschwindigkeit entwickelte Lösungen erfordern perspektivisch auch einen stabilen und zuverlässigen Systembetrieb. Die Frage bleibt oft unbeantwortet, wer diesen liefern und bezahlen soll. Denn Unternehmen haben plötzlich zwei IT-Kostentreiber in der GuV (Gewinn- und Verlustrechnung). Wie wird damit umgegangen? Spätestens wenn sich die Kunden beim Vorstand oder Geschäftsführer bezüglich der IT-Lösung beschweren, stellt sich die Frage nach Verantwortung: Chief Digital Officer, Chief Information Officer oder Chief Innovation Officer? Wer ist denn nun zuständig?
Es gibt viele gute Beispiele von Unternehmen, deren IT sowohl Stabilität und Zuverlässigkeit als auch Agilität und Geschwindigkeit abliefert - ohne in einen bimodalen IT-Ansatz verstrickt zu sein oder zu werden. So bewirkt die Diskussion über bimodale IT sicher, dass die Themen IT und Geschwindigkeit (endlich) auf der Management-Etage ankommen.
Sicherlich geschieht das auch auf der Grundlage, dass die IT bislang meist als antiquierter Kostenfaktor in Unternehmen betrachtet worden ist, der (wenn überhaupt) viel zu spät liefert und dort bislang eh nicht verstanden wurde. Es lebe der Hype um Digital Ventures! Mit dem bimodalen Ansatz ist abzusehen, dass die Lösung von heute zum Problem von morgen wird.
Plädoyer für einen "Right-Speed"-Ansatz
Was haben also die Unternehmensverantwortlichen zu tun, um sich den Herausforderungen der digitalen Transformation zu stellen? Die Antwort auf diese Frage heißt "Right-Speed IT" - eine integrierte Informationstechnik mit der "passenden" Geschwindigkeit:
Auf der einen Seite ist sie im Sinne eines Business Enablements darauf fokussiert, das Kerngeschäft bei idealem Ressourceneinsatz optimal zu unterstützen, Risiken zu minimieren und den Alltagsbetrieb zu gewährleisten.
Auf der anderen Seite öffnet sie aber auch den Blick in Richtung Business Transformation und Disruption, auf neue Technologien und Methoden: zur Steigerung der Kundenbindung, zur Erhöhung der Vertriebskraft und zur Erschließung neuer Märkte. Dieser Zweig wird durch Agilität und hoher Geschwindigkeit dominiert.
Beide Pole gehören nicht separiert sondern integriert sowie in Abhängigkeit der Kundenbedarfe ausbalanciert.
Neue Organisationsstrukturen notwendig
Der Weg zu einer IT der "passenden" Geschwindigkeit bedingt ohne Zweifel Anpassungen an der Informationstechnologie jenseits einer "IT-Kosten-Denke". Starre IT-Organisationsstrukturen sind hierfür aufzubrechen und durch liquidere Formen der Zusammenarbeit zu ersetzen. Design-Thinking-Ansätze liefern Ideen, welche mit agilen IT-Prozessen mit optimierter Balance von Disziplin und Freiraum umgesetzt werden.
Letztlich sind auch historisch gewachsene IT-Architekturen meist auf Host-Basis technologisch zu modernisieren. Auf dem Weg dahin sind neue Erfolgsrezepte in Kooperation und Interaktion gefragt. Digitale Labs, Innovation Camps oder Think Tanks in denen Experten aller Disziplinen in "Biotopen" auf Augenhöhe zusammenarbeiten, zeigen Wege in eine erfolgreiche, digitale Zukunft auf.
Bimodal-Heilsversprecher liefern keine Antworten
Auch bei einer Right-Speed-Ausrichtung, muss die Frage beantwortet werden, wie IT-Projekte tatsächlich beschleunigt werden - in einem Korsett das meist durch Standards wie z.B. PMI oder Prince2 geschnürt ist und wo sich leider kein Kapitel zur Beschleunigung der Projektarbeit findet. Denn zum Thema Beschleunigung liefern die Evangelisten und Heilsversprecher der bimodalen Welt oft keine Antworten.
Natürlich kann es einfach sein, eine Parallelwelt im Sinne einer bimodalen IT zu erschaffen. Dort wirkt erst einmal alles schöner, neuer, besser. Das Gras auf der anderen Seite ist oft immer grüner. Doch auch dort stellt sich schnell die Frage, wie gesteuert werden kann. Denn Beschleunigung und hohe Geschwindigkeit birgt die Gefahr, aus der Kurve zu fliegen.
Die Bilder aus der Boxengasse der Formel 1 zeigen, welcher Aufwand und welche Investitionen getrieben werden müssen, um die Boliden auf der Strecke zu halten. Doch vielleicht reicht ein wenig Tuning in Form von Investition an den entscheidenden Stellen der Informationstechnik auch schon aus, um die gewünschten Vorteile zu erzielen.
Erfolgsrezepte für Beschleunigung und Geschwindigkeit
Insgesamt sollten wir uns alle wieder etwas auf den Boden der Tatsachen zurück begeben und die wesentlichen Fragen adressieren. Wie kommt Geschwindigkeit in die IT-Welt? Die Antworten darauf sind so einfach, dass diese per se in vielen Unternehmen Widerstand provozieren und viel Überzeugungsarbeit abverlangen, weil sie Etabliertes in Frage stellen:
Entschlacken Sie ihre IT-Prozessmodelle
Steuern Sie Ihr IT- und Veränderungsportfolio entlang der Engpässe
Führen Sie ein aktives Risikomanagement
Sichern Sie Disziplin in agilen Vorgehensweisen
Steuern Sie in ihren Projekten die Zeit- und Aufwandspuffer separat
Die Rezeptur aus obigen Zutaten klingt einfach. Trotzdem zeigen Unternehmen und Verantwortliche erstaunliche Beharrungstendenzen, wenn es um deren Umsetzung geht. Dies gilt für das Geschäft genauso wie für die IT. Deshalb wird nochmals kurz auf jeden Punkt vertiefend eingegangen.
1. Entschlacken Sie ihre IT-Prozessmodelle
"Ein IT-Prozessmodell oder -Vorgehensmodell? Ja, haben wir". Viele Unternehmen verfügen inzwischen über Standardprozessmodelle. Leider basieren diese oft auf sehr "fetten" Vorgaben. Exemplarisch sei hier nur das V-Modell auf der Entwicklungsseite oder ITIL auf der Betriebsseite genannt.
Diese wurden in vielen Unternehmen als Basis genommen und mehr oder weniger an die Belange von Unternehmen angepasst. Im Ergebnis sind historisch gewachsene Modelle keine Seltenheit, die mit mehr als 100 Ergebnistypen alle möglichen Belange abdecken. Doch am Ende findet sich keiner mehr in der antiquierten Bibliothek zu Recht.
Der Ansatzpunkt ist deshalb die Modelle deutlich zu entschlacken und zu verschlanken. Wenige Pflichtergebnistypen leisten mehr Beitrag als 100. Und über die Notwendigkeit eines Projektplans sollte auch im Zeitalter der Agilität und Teamverantwortung nicht diskutiert werden.
2. Steuern Sie Ihr Veränderungs- und IT-Portfolio entlang der Engpässe
Nicht erst seit der Digitalisierung übersteigen in Unternehmen die Veränderungswünsche die Leistungsfähigkeit der IT-Organisation. Viele Unternehmen haben deshalb bereits ein Multiprojekt-Management installiert. Zur Lösung der Herausforderungen ist dies zu einem "echten" Projektportfolio-Management aufzuwerten.
Dazu sind sowohl entsprechende Gremien als auch erforderliche Spielregeln und Leitplanken in der Governance zu verankern. In weiterer Konsequenz müssen im Projektportfolio-Prozess die Veränderungsthemen mit der höchsten Werthaltigkeit identifiziert und mit den vorhandenen Ressourcen und Skills schnellstmöglich umgesetzt werden ohne einen "Stau" zu erzeugen.
Dies gelingt nur durch eine konsequente strukturelle und prozessuale Ausrichtung des Projektportfoliomanagements an kapazitativen und zeitlichen Engpässen. Neben einer klaren Priorisierung und unterjährigen Anpassung muss das Projektportfolio entlang der Ressourcen- und Skill-Verfügbarkeit geplant und proaktiv gesteuert werden.
Das Portfoliomanagement steuert damit das Leitprinzip "Stop starting - start finishing". Die Vorteile sind Resultate aus abgeschlossenen Projekten jenseits eines "Fire Fightings" sowie Freiräume, die in zusätzliche, digitale Veränderungsprojekte investiert werden können.
3. Führen Sie ein aktives Risikomanagement
Tom DeMarco, der Erfinder der strukturierten Systemanalyse, hat das vorausschauende Risikomanagement in Projekten als "Projektmanagement für Erwachsene" tituliert. Leider wird das Thema in vielen Unternehmen als lästiges Anhängsel des Projektmanagements gesehen. Risiken werden zwar irgendwie verwaltet und berichtet - ohne jedoch echten Mehrwert daraus zu generieren.
Der echte Mehrwert liegt in der Herstellung eines quantitativen Zusammenhangs zwischen Risiken und Aufwendungen bzw. Risiken und Zeiten. Erst wenn ein Projektleiter die Auswirkungen quantitativ abschätzen kann, sind die "Risks under Control".
4. Sichern Sie Disziplin in agilen Vorgehensweisen
Alle Welt fordert Agilität - innerhalb und außerhalb der IT. So führen die meisten Unternehmen ein Scrum-basiertes Vorgehen ein. Viele assoziieren damit ein Verständnis und eine Kultur, dass dies jetzt der Freifahrschein für Entwicklungsteams darstellt. Die Verantwortung ist schließlich ins Team verteilt.
"Wozu Projektplan? Wir entwickeln doch jetzt agil!" war jüngst die Aussage eines Projektleiters in einer PM-Community. Anstatt eines rigiden Projektkorsetts findet sich damit das andere Extrem in der Praxis vor: Kompletter Freiraum in der Hoffnung, dass alles besser wird.
Jeder weiß: Auch ein eigenverantwortliches Team braucht Leitplanken und Disziplin - entweder von außen oder von innen. Und manche im Team müssen auch "gleicher als gleich" sein - entweder über Führungs- oder Fachkompetenz. Im Vergleich zur bisherigen klassischen Welt ist im agilen Vorgehen Disziplin noch viel elementarer. Ohne werden viele Projekte nicht die erwünschten Geschwindigkeitseffekte realisieren können. Insofern sind im Rahmen aller Agilitätsdiskussion die Disziplin im Sinne von Leitplanken nicht zu vernachlässigen.
5. Managen Sie ihre Zeit- und Aufwandspuffer separat
Bei wenigen Disziplinen scheiden sich die Geister so stark wie beim Projektmanagement. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass hier am meisten Überzeugungsarbeit erforderlich ist. Im Wust der Projektmanagementstandards übersehen die meisten drei einfache Gesetze:
Parkinson's Law: Arbeit dehnt sich so weit aus, dass sie die dafür zur Verfügung stehende Zeit/Aufwand ausfüllt; Arbeit wird ggfs. "besser" getan als erforderlich.
Studenten Syndrom: Eine Aufgabe wird erst dann begonnen und konzentriert bearbeitet, wenn der Druck entsprechend hoch ist.
Verkettung von Aufgaben und Ressourcen: Verspätungen von Aufgaben in Projekten werden an Folgeaufgaben weitergeleitet. Wird eine Aufgabe früher abgeschlossen, wird das Projekt dadurch nicht beschleunigt/nicht billiger.
Nun wissen wirklich alle, dass in Aufwands- und Zeitschätzungen für IT-Projekte immer Ungewissheiten enthalten sind. Diese manifestieren sich in "Airbags" oder "Puffern". Nicht selten werden für Projekte 100 Prozent Mehraufwand geplant und sich Fachbereichskunden wundern, warum eine einfache Änderung oder Erweiterung so teuer oder zeitaufwendig ist.
Verwaltung von Zeit- und Aufwandspuffern wichtig
Gemäß der obigen Gesetze werden die Airbags ausgereizt bzw. reichen auch nicht aus. Die Ursache liegt per-se nicht an den Airbags, sondern an der Tatsache, dass diese durch die Projektleiter nicht separat gesteuert werden. Dabei lassen sich diese in Projektplänen wie z.B. ein Teilprojekt separat behandeln. Stellt der Projektleiter in einer frühen Phase fest, dass Zeit-/Aufwandspuffer bereits aufgebraucht sind, ist es eher unwahrscheinlich, dass das Projekt im gegebenen Zeit- und Aufwandsrahmen abgeschlossen werden kann.
Beobachtungen haben gezeigt, dass die separate Verwaltung von Zeit- und Aufwandspuffern tendenziell dazu führt, dass Projekte früher und mit weniger Aufwand abgeschlossen werden. Das Parkinsonsche Gesetz („Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“) wird zur Sicherstellung des Projekterfolgs pro-aktiv genutzt.
All das sind einfache, klassische Rezeptbestandteile aus denen ein mehr an Geschwindigkeit entsteht, um den "Right"-Speed-Ansatz zu erfüllen. Interessanterweise sind diese auch bekannt - können sich jedoch im Vergleich zu den Buzzwords in der Umsetzung oft wenig durchsetzen.
Buzzword "Digitalisierung" öffnet die Geldbörsen
Vielleicht wäre es schlauer, darin zu investieren - anstatt Zeit und Aufwand damit zu verbringen dem nächsten Trend hinterher zu hecheln - unabhängig davon, ob es sich um die klassische IT-Abteilung, ein Digital Lab oder eine digitale Factory handelt.
Interessanterweise wirkt das Stichwort "Digitalisierung" hier Wunder, denn hierfür wird die Geldbörse geöffnet und das Sparschwein geschlachtet - droht dem Unternehmen durch den digitalen Darwinismus bezüglich des eigenen Geschäftsmodells den Anschluss zu verlieren. Erfolgsrezepte für die "Right-Speed"-IT gibt es - Erfolgsgarantien jedoch nicht.