Das Metallteil, das Tim Cannon unter der Haut tragen wird, ist etwa fünf mal drei Zentimeter groß. Am Freitag lässt er sich das Gerät unter die Haut einpflanzen. Dafür hat er sich einen Platz am linken Arm ausgesucht, direkt unter einem kreisförmigen Tattoo. Das Gerät mit Namen "Circadia" misst dann Cannons Blutwerte. Außerdem hat es kleine grüne Lämpchen, die auf Knopfdruck durch seine Haut scheinen sollen. Eine eingebaute Hintergrundbeleuchtung für sein Tattoo, freut sich Cannon.
Tim Cannon stammt aus Pittsburgh an der US-Ostküste und bezeichnet sich als "Cyborg". Solche Menschen lassen ihren Körper mit Technik verschmelzen. Sie tragen Magneten unter den Fingerkuppen, um elektromagnetische Strahlung wahrzunehmen. Sie lassen sich Chips in die Handfläche einpflanzen und können so per Funk Türschlösser öffnen. Vor allem machen sie den eigenen Körper zum Spielplatz ihrer Experimente. Der menschliche Körper biete viel Potenzial für Verbesserungen, meint Cannon. "Ich denke nicht, dass das, womit wir geboren sind, perfekt ist. Und ich will das verbessern."
Dafür geht er bis an die Schmerzgrenze - und darüber hinaus. Weil der 34-Jährige keinen Arzt gefunden hat, der zu dem Experiment bereit war, soll ein Körperkünstler die Operation durchführen. Allerdings ohne Betäubung. "Das wird ziemlich wehtun", sagt Cannon. "Für solche Sachen braucht es Furchtlosigkeit."
Cannon geht seine Selbstverbesserung mit spielerischem Eifer an. "Ich mache das, weil es mich fasziniert", sagt er. "Biohacking" wird das auch genannt, Tüfteln am eigenen Körper. Über Foren wie biohack.me tauschen sich Anhänger der Bewegung aus. Cannons Hackergruppe Grindhouse Wetware will die Implantate auch auf den Markt bringen. In einem halben Jahr soll es soweit sein, ein "Circadia" soll etwa 500 Dollar kosten. Cannon ist der erste Tester.
Eine Gruppe von Gleichgesinnten will in Berlin sogar einen Cyborg-Verein gründen, um die Möglichkeiten auszuloten. Eine Handvoll Mitstreiter gibt es bereits. "Es geht nicht nur um den Ausgleich irgendwelcher "Mängel", sondern eher um die Erweiterung der Sinne", sagt Enno Park, der die Vereinsgründung vorantreibt.
In der Medizin gibt es Implantate schon lange, Herzschrittmacher zum Beispiel oder Hörgeräte. Doch Ärzte wollen damit Patienten helfen oder einem Leiden vorbeugen. Die Erweiterung der eigenen Fähigkeiten sei eher ein Nebeneffekt, sagt Cord Schlötelburg von der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik. Er legt Wert auf eine Unterscheidung zwischen Therapie und Spielerei.
Ähnlich sieht es Jens Clausen, Privatdozent an der Universität Tübingen. "Nur weil jemand Interesse an einer Erfahrung hat, ist dafür nicht die Medizin zuständig", sagt der Medizinethiker. Die Experimente der Biohacker sieht er mit einem Schulterzucken. "Es gibt auch ein Recht auf unvernünftige Entscheidungen", sagt er. "Mir wäre das zu gefährlich."
Cannons Visionen erinnern an Science-Fiction-Filme. Er träumt von Implantaten, die Stresshormone messen und ihren Trägern signalisieren, wenn es Zeit zum Entspannen ist. Ein Wunschprojekt ist ein künstliches Herz, dessen Baupläne offengelegt und somit von jedermann nachbaubar wären. Und warum nicht ein Implantat im Bein, das je nach Himmelsrichtung schwache elektrische Impulse abgibt? Ein Träger würde so zum menschlichen Kompass.
Vorstellbar wäre das durchaus. Doch ist es wünschenswert? Und was für Menschen wollen wir eigentlich sein? "Das sind ganz uralte philosophische Fragen, die da aufbrechen", sagt Clausen. Cannon meint, die Gesellschaft behandele den Körper als heilig, dabei habe dieser viele Fehler. Entdeckungsdrang geht ihm über Ethik. "Ich verstehe, dass es dabei ethische Fragen gibt", sagt er. "Ich gehe aber dem nach, was mich glücklich macht." (dpa/rs)