Obwohl der kanadische Hersteller besonders in westlichen Industrieländern schon seit längerem mit Problemen kämpfte, hat es doch eine halbe Ewigkeit gedauert, bis er mit Blackberry 10 und den zwei Smartphones Z10 und Q10 ein nach eigener Ansicht adäquates Gegenmittel für den Umsatzschwund und die rückläufige Marktanteile fertiggestellt hat. Doch reicht das Gesamtpaket für ein Comeback? Die Computerwoche hatte die Gelegenheit, das Z10 auf Leib und Nieren zu prüfen.
Der erste Eindruck
Wenn es stimmt, dass der erste Eindruck entscheidet, hat das Blackberry Z10 am Verkaufsstand schon einmal gute Karten: Das Gerät hat fast nichts mehr mit den klassischen Blackberrys gemein, sondern erinnert mit seinem 4,2 Zoll großen Touchscreen, der langgestreckten Form und den abgerundeten Ecken entfernt an das iPhone 5. Allerdings beugt das Blackberry-Logo an der Unterseite allzu vorschnelle Verwechslungen vor, im Gegensatz zu dem Apple-Smartphone kommt das Z10 außerdem ohne Home-Button aus – Blackberry setzt stattdessen auf Gestensteuerung, auf die später näher eingegangen wird.
Auch sonst haben sich die Kanadier bei den physischen Tasten zurückgehalten, neben dem An/Aus-Schalter am oberen Rand findet sich nur von vorne gesehen rechts an der Seite eine Schaltwippe für die Lautstärkenregelung und die Sprachsteuerung. Am linken Rand sitzen die Buchsen für microSD- und microHDMI-Anschluss, oben ist außerdem die Aufnahme für 3,5-Millimeter-Klinkenstecker angebracht. Die Verarbeitung ist in Ordnung, die Spaltmaße stimmen, lediglich der gummierte Rückdeckel steht an der Unterseite ein klein wenig weit ab. Was das Gewicht angeht, liegt das Z10 gut in der Hand, mit 137 Gramm bewegt es sich in etwa auf Höhe des Samsung Galaxy SIII (133 Gramm) oder des iPhone 4S (140 Gramm), das iPhone 5 ist dagegen mit 107 Gramm spürbar leichter.
Wettbewerbsfähige Hardware
Gemessen an der Hardware-Ausstattung wäre das Z10 im vergangenen Jahr noch weit vorne mitgeschwommen, inzwischen kommt es zumindest auf dem Papier nicht mehr ganz an die Smartphone-Flaggschiffe anderer Hersteller heran. So wird das neue Blackberry statt der üblichen, wenn auch nicht unbedingt notwendigen Quad-Core-CPU „nur“ von einem Dual-Core-Prozessor von Qualcomm mit 1,5 Gigahertz Taktung angetrieben. Diesem stehen aber immerhin zwei Gigabyte Arbeitsspeicher zur Seite, so dass das Gerät nicht so leicht aus der Puste kommt.
Lediglich beim Wechsel von vertikaler zu horizontaler Ansicht ist eine deutliche Verzögerung zu erkennen, was aber auch andere Gründe haben kann.
Von der Antriebseinheit einmal abgesehen ist das Z10 aber weitgehend auf der Höhe der Zeit. So löst der 4,19 Zoll große TFT-Touchscreen mit 1280 mal 768 Bildpunkten auf, das Gerät funkt neben UMTS und HSPA+ auch mit LTE und n-WLAN, außerdem gehören A-GPS, Bluetooth-4.0, NFC- sowie DLNA- und HDMI-Unterstützung zur Ausstattung. Die 8-Megapixel-Kamera ist mit einem Autofokus und LED-Blitz ausgestattet und nimmt HD-Videos in 1080p auf. Die Zwei-Megapixel-Kamera auf der Vorderseite schafft immerhin 720p-Videos. Der interne Speicher umfasst 16 GB und kann durch eine SD-Speicherkarte um bis zu 32 GB erweitert werden.
Etwas unterdimensioniert angesichts des großen Touchscreens und der LTE-Unterstützung erscheint die Akkukapazität mit 1800 mAh. Im Praxistest zeigte sich zwar, dass das Z10 bei mittlerer Nutzung immerhin einen Arbeitstag ohne Boxenstopp durchhält, an die Laufzeiten eines klassischen Blackberrys kommt es allerdings bei weiten nicht heran.
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Flinker wischen mit Blackberry 10
Die größte Veränderung beim Blackberry Z10 ist sicher das QNX-basierende Betriebssystem. Dieses erinnert schon von der Optik her nur noch entfernt an das alte Blackberry OS. Auch die Handhabung hat sich deutlich verändert, nämlich verbessert: Die Kanadier haben bei ihrem Entwurf besonderen Wert auf eine nahtlose Navigation gelegt und setzen dabei konsequent auf Gestensteuerung.
Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen: Hat man das Prinzip einmal verstanden, lässt es sich problemlos mit einer Hand, beziehungsweise einen Daumen durch das System navigieren. Anstatt den nicht vorhandenen Start-Button zu drücken, wischt man etwa von unten nach oben, um das Z10 zu entriegeln. Im Hauptmenü angelangt, geht es durch einen Wischer ganz nach rechts zum Blackberry Hub. Dieser wesentliche Bestandteil von Blackberry 10 stellt eine Art Kommunikationszentrale dar, in der eingegangene Mails, Anrufe, SMS, Mitteilungen via BBM, Kalendereinträge, aber auch Status-Updates aus sozialen Netzen aufgeführt sind. Aktuell werden nur Facebook, Twitter, Linkedin unterstützt. Laut Blackberry sollen künftig aber auch weitere Drittanbieter ihre Anwendungen integrieren können, die APIs wurden bereits bereitgestellt.
Rechts vom Blackberry Hub befindet sich zunächst eine Seite mit maximal vier aktiven Apps/Panels – dem Active Frame – am besten mit der Darstellung auf dem Blackberry Playbook zu vergleichen. Auf den Seiten rechts davon werden – ähnlich wie bei Android oder iOS – die installierten Apps mit Icons aufgeführt. Innerhalb einer Anwendung kann man diese durch Wischen nach oben beenden, sie landet dann im Active Frame. Man kann sie aber mit einer Geste nach oben und dann nach rechts auch nur für kurze Zeit zur Seite schieben, um beispielsweise einen Blick („Peek“) auf eine neue Mitteilung im Blackberry Hub zu werfen. Streicht man im Menü vom oberen Ende nach unten, gelangt man zu einer Art Info- und Steuerungsleiste – auf App-Ebene befindet sich hier das Menü zu der Anwendung. Dies ist zumindest im Normalfall so, leider halten sich einige Apps nicht daran. Dazu zählen neben etlichen, einfach von Android portieren Anwendungen auch hauseigene Programme wie der Browser oder „Docs to Go“.
Apps noch Mangelware
Generell sind die Apps ein wunder Punkt der neuen Plattform und damit auch des Z10. Zwar überraschte Blackberry beim Launch mit der Ankündigung, man weise mit 70.000 Apps die meisten Programme für ein frisch gestartetes System auf. Die Marktplätze der etablierten Plattformen Android und iOS bieten inzwischen aber gut die zehnfache Menge an und auch das Angebot der seit über zwei Jahren verfügbare Windows Phone ist inzwischen seit mehr als zwei Jahren auf dem Markt und dürfte sich allmählich der 200.000er-Marke nähern.
Zwar passt der Wahlspruch „Klasse statt Masse“ nirgendwo so gut wie bei Apps und selbst Poweruser haben selten mehr als zehn oder zwanzig Programme wirklich im Einsatz. Dennoch ist es bei Jugendlichen häufig ein K.O.-Kriterium, wenn eine zur Kommunikation mit Freunden genutzte App (z.B. Skype, WhatsApp) (noch) nicht auf der neuen Plattform zu finden ist. Im Business-Umfeld sind es möglicherweise fehlende Synchronisationsmöglichkeiten mit einer bestimmten Productivity-App.
So gesehen hat sich Blackberry mit der Auswahl an von Beginn an verfügbaren Apps zwar gut vorbereitet, das Angebot ist aber noch alles andere als breit. Vorinstalliert findet man auf dem Z10 etwa Facebook, Linkedin, Foursquare, YouTube, Box, WebEx, AccuWeather oder Twitter. Zudem sind im haueigenen AppStore Blackberry World bereits eine Reihe mehr oder weniger bekannter Apps und Spiele wie Google Talk, Flight Aware oder Angry Birds Star Wars zu finden. Skype, WhatsApp und andere haben immerhin Versionen für Blackberry 10 angekündigt.
Auch wenn die Kanadier hier nicht unbedingt in der ersten Liga mitspielen, gibt es ein gewisses Grundangebot, das sie geschickt durch Eigenentwicklungen erweitern. Dazu zählen etwa der um Videounterstützung inklusive Screen-Sharing erweiterte Blackberry Messenger (BBM), die Office-Suite Docs to Go von Blackberry-Tochter Dataviz oder Blackberry Remember, eine Art Evernote-Alternative. Mit an Bord sind außerdem Anwendungen für Bluetooth, NFC-Sharing, mobile Hot-Spots, Tethering, eine universelle Suche und eine Sprachsteuerung à la Siri dürfen natürlich nicht fehlen. Auch der Browser kann sich sehen lassen, nicht nur wegen seiner Geschwindigkeit beim Seitenaufbau, sondern auch wegen Features wie Private Browsing oder einen speziellen Lesemodus ohne Bilder.
Interessante Extras für Beruf und Freizeit
Generell sind es die Extras, die Blackberry 10 interessant machen, auch wenn vieles auch bei Android und iOS zu finden ist – wenn auch in einer Zusatz-App. Dazu zählt unter anderem der Foto-Editor mit Effekten und Filtern sowie einer Timeshift-Funktion oder die virtuelle Tastatur mit „Swiftkey“-Technologie. Sie unterstützt die Nutzung von drei Sprachen gleichzeitig, lernt Vokabeln und macht darauf basierend während des Tippens Wortvorschläge. Diese werden diese bei der Texteingabe direkt über dem nächsten potenziellen Buchstaben eingeblendet und können so schnell mit einer Wischgeste nach oben verwendet werden. Wie sich im Test zeigte, ist das Prinzip durchaus praxistauglich: Man kommt relativ flott voran und spart sich vor allem die Zeit, um zwischen den einzelnen Wörtern die Leertaste zu drücken.
Ein Highlight und sicherlich das Alleinstellungsmerkmal der Plattform ist das seit Blackberry OS 7 deutlich überarbeitete Blackberry Balance zur Trennung von beruflicher und privater Smartphone-Nutzung. Während das Blackberry Z10 ansonsten auch gut ohne BES und Ähnliches auskommt und etwa mit Activesync Mails, Kontakte und Kalenderdaten synchronisiert, ist hierzu allerdings der Blackberry Enterprise Service 10 (BES10) als Verwaltungsinstanz nötig. Einmal mit dem Dienst verbunden, kann der Anwender auf dem Gerät mit einem einfachen Wisch zwischen zwei Icons wählen, ob er vom privaten in den beruflichen Modus wechselt – und umgekehrt. Entscheidet er sich für den geschäftlichen Bereich, werden die private Inhalte nach dem Einloggen komplett ausgeblendet, lediglich im Blackberry Hub gibt es noch eine Mischung aus Beruflichem und Privatem. Stattdessen kommen nur die bereits installierten Business-Apps zum Vorschein.
Zusätzliche Programme findet der Nutzer in der geschäftlichen Blackberry World – einer Art Corporate AppStore. Hier können Unternehmen ihren Anwendern erwünschte oder zumindest geduldete öffentliche Apps sowie eigene Enterprise-Anwendungen bereitstellen. Vorgeschriebene Anwendungen lassen sich Blackberry-typisch natürlich auch remote aufspielen. Über Policies kann die IT-Abteilung außerdem festlegen, dass Inhalte nicht per Cut & Paste in den persönlichen Bereich kopiert oder auf einer MicroSD-Karte gespeichert werden können. Im Business-Modus greift der Browser zudem via BES getunnelt auf Intranet, Internet etc. zu.
Fazit: Es bleibt spannend
Mit dem Z10 und Blackberry 10 als Plattform haben die Kanadier weitgehend die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Comeback erfüllt. Das Gerät bewegt sich von den Features her auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, muss sich auch von der Optik nicht verstecken und lässt sich – nach etwas Übung auch recht zügig bedienen. Nett sind dabei vor allem Details in einzelnen Anwendungen, wie man sie schon vom Blackberry-OS kennt.
Kritische Punkte sind dagegen der mit über 600 Euro etwas hoch angesetzte Preis und die (derzeit noch?) geringe Anzahl an relevanten Apps. Angesichts dieser Bilanz bleibt abzuwarten, ob das Z10 im Markt reüssiert. Sicher werden treue Blackberry-Nutzer vom Z10 oder dem später erscheinenden Tastatur-Gerät Q10 begeistert sein, Android- oder iPhone-Nutzer damit zu einem Wechsel zu bewegen, dürfte dagegen schwieriger sein. Die besten Chancen weist das Z10 sicher im Business-Bereich auf, da es mit seinen zahlreichen Sicherheits-Features und Blackberry Balance eine praktikable Antwort auf die ByoD-Problematik verspricht – zumal sich mit dem BES10 auch Android- und iOS-Geräte verwalten lassen. (Computerwoche)