"Deutschland braucht Zuwanderung, braucht hochqualifizierte Fachkräfte gerade in den Hightech-Industrien", hieß es zur Einführung der Blue Card in Deutschland vor rund einem Jahr unter anderem vom Branchenverband Bitkom. Die Erwartungen waren hoch, durch die Blue Card qualifizierte Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland zu bringen. Dafür wurden unter anderem die Gehaltsschwellen gesenkt: Ausländische IT-Fachkräfte müssen für die Blue Card ein Jahresgehalt von mindestens 34.944 Euro vorweisen. Laut Spiegel Online sind in den ersten elf Monaten 8879 Blue-Card-Genehmigungen erteilt worden. Allerdings gingen mehr als 70 Prozent dieser Zusagen an Personen, die bereits in Deutschland lebten. Und diese Zahl umfasst neben IT-Experten auch Akademiker anderer Fachrichtungen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen findet die Zahl nach einem Jahr Blue Card - sie hat sie vor Ablauf der Frist auf 10.000 geschätzt - "ausgesprochen erfreulich", so Spiegel Online.
Doch die Bilanz nach einem Jahr Blue Card fällt nicht von allen Seiten so positiv aus. Klaus Zimmermann, Direktor des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), kritisiert die Regelungen gegenüber der Welt: Sie seien offenkundig nicht geeignet, "einen nennenswerten Beitrag zur Lösung des Arbeitskräftebedarfs in Deutschland zu leisten", so Zimmermann. Das System sei viel zu bürokratisch angelegt. Das sieht auch Martin Vesterling so. Der Geschäftsführer der gleichnamigen Personalberatung mit Spezialisierung in IT und Engineering zieht eine ernüchternde Bilanz: "Bislang ist die Blue Card nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein", so Vesterling gegenüber CIO.
Bürokratische Hürden beim Blue-Card-Antrag
Auch er kritisiert die bürokratischen Hürden der Blue Card: "Über 90 Prozent unserer Blue-Card-Bewerber werden abgelehnt, weil den Arbeitgebern die Bürokratie zu lange dauert." Die hohen Hürden verdeutlicht Vesterling am Beispiel eines Softwareentwicklers aus Mazedonien. Der erhielt ein Vertragsangebot aus Deutschland und beantragte bei der deutschen Botschaft in Mazedonien ein Visum. Bis dieses Visum ausgestellt wird, dauert es in der Regel zwei bis drei Monate. Erst dann konnte er in Deutschland die Blue Card beantragen, dafür muss man noch einmal mit vier bis sechs Wochen rechnen. Den geplanten Vertragsstart konnte der Bewerber nicht einhalten. Er hatte Glück - sein neuer Arbeitgeber hat keinen Rückzieher gemacht und den Arbeitsbeginn verschoben. Für die Familie des Softwareentwicklers dauerte das Prozedere noch länger. Erst nach Bewilligung der Blue Card konnte sie in Mazedonien die Einreise nach Deutschland beantragen und musste noch einmal drei Monate auf das Visum warten.
Die Bürokratie schreckt auch Bewerber ab. "Wir bekommen nicht so viele Bewerbungen, wie es eigentlich sein könnte. Die Frage ist, ob es zum jetzigen Zeitpunkt angemessen wäre, die Blue Card im Ausland bekannter zu machen. Erst einmal müssten die bürokratischen Hürden abgebaut werden", so Vesterling. Am Antragsprozess sind aktuell mehrere Behörden beteiligt. Vesterling stellt sich die Frage, ob das wirklich sein muss. Was so viel Zeit in Anspruch nimmt, ist die Beteiligung der Ausländerbehörde und gegebenenfalls der Bundesagentur für Arbeit (ZAV). Begrüßenswert wäre es seiner Meinung nach daher, wenn die Ausländerbehörde durch die Visastelle nicht mehr einbezogen werden müsste. "Eigentlich sollte es möglich sein, die Visums-Formalitäten innerhalb von 24 Stunden zu prüfen, wenn alle Unterlagen vorliegen, und in nützlicher Frist einen Antrag zu bearbeiten", meint Vesterling.
Auch Unternehmen bremsen die Blue Card
Doch nicht nur die Ämter bremsen nach Vesterlings Meinung den Erfolg der Blue Card: "Wir beobachten besonders bei kleineren Unternehmen und Unternehmen außerhalb der Ballungszentren Bedenken gegenüber Kandidaten aus dem Ausland. Natürlich müssen Arbeitgeber etwas für diese Fachkräfte leisten, denn von allein funktioniert die Integration nicht." So erlebt er bei Arbeitgebern oft überzogene Forderungen an die Sprachkenntnisse der Bewerber. Er nennt den Fall eines Systemadministrators, von dem verhandlungssicheres Deutsch verlangt wurde. Wie hoch der Bedarf ist, merkt Vesterling schon bei seiner täglichen Arbeit: "Wir haben momentan im Bereich IT und Engineering rund 1.000 offene Stellen, die unsere Kunden nicht besetzen können."