Die wenigsten Architektur-Modernisierungsprojekte in Unternehmen starten mit einem Big Bang. In den meisten Betrieben fängt man zunächst mit kleinen, unkritischen Projekten an, die zumeist in einer einzelnen Abteilung gestartet werden. Wenn sich diese als erfolgreich erweisen, versucht man, weitere Projektgruppen von der Lösung oder einer Technologie zu begeistern, um ein strategisches Investment zu rechtfertigen.
Die Forschung und Entwicklung liefert zum Beispiel viele wertvolle Event-Streams mit Teilestammdaten oder der Stückliste. Der Vertrieb nutzt einen Großteil der Daten, um die richtigen Produkte anzubieten und die Bestellinformationen für Endkunden auf dem Laufenden zu halten. Das heißt, ohne Kafka würden BMW-Kunden nie ein Auto bekommen.
Einen besonderen "Twist" erfährt diese Herausforderung, wenn es sich bei der zu etablierenden Technologie im Kern um eine Open-Source-Lösung handelt. Wenn ein innovatives Projekt Anklang in Entwickler- und Entwicklerinnenkreisen findet, macht die Technologie auch innerhalb von Unternehmen die Runde und findet in immer mehr Projekten Einsatzmöglichkeiten.
Wo genau sich diese Leuchtturmprojekte bereits aufbauen, weiß man oft nicht. Das geht so lange gut, bis das erste Projektteam die signifikante Hürde reißt, dass diese Lösung auch in anderen Fachbereichen eingesetzt werden soll. Nur, wie findet man hier die "low hanging fruits", die den gleichen Mehrwert in der Lösung sehen? Wie kommuniziert man mit diesen weiteren Gruppen, ohne deren Status-quo zu kennen? Und wie erklärt man dem Fachbereich die Funktionsweise und den Mehrwert einer Software-Architektur-Komponente? Software-Entwickler und -Architekten sprechen meist nicht dieselbe Sprache wie die Endanwender. Es gilt Brücken zu bauen.
Die Pandemie hat hier ausnahmsweise einen erheblichen Vorteil gebracht und Unternehmen aller Größenordnungen die digitale Kollaboration geradezu aufgezwungen. In diversen Collaboration-Plattformen wurden Gruppen, Channels und Communities gegründet, um auch remote zu Themen verbunden zu bleiben. Meist reicht es schon, in projektübergreifenden Gruppen kurz ein Buzzword zu platzieren und dann zu schauen, wer als erstes "hier" schreit.
Das eben dargestellze Szenario kommt sicherlich vielen bekannt vor und wir wollen fortsetzend ein konkretes positives Beispiel aus der Automobilbranche vertiefen. Denn im Fall der BMW Group ist dies genau so passiert - und noch viel mehr.
Der erfolgreiche Community-Aufbau
Um ihr hohes Datenaufkommen zu verarbeiten, ersetzte ein Teil der IT-Abteilung der BMW Group zunächst ihr altes Batch-Modell und Punkt-zu-Punkt-Schnittstellen durch die Open-Source-Lösung Apache Kafka. Dieser Lösungsansatz ermöglichte den Applikationsteams eine gewisse Selbstständigkeit, indem sie ihre eigenen Kafka-Cluster betrieben und damit enorme Datenmengen aus verschiedenen Quellen effizient verarbeiten und analysieren konnten.
Diesen Mehrwert galt es nun über die bereits proaktiven Teams hinaus zu positionieren. Hierbei wurde auf zwei Hauptkanäle gesetzt: Interner Wissensaufbau und externe Community-Aktivierung.
Intern nutzte man intensiv das etablierte hybride Format "Connect45" im IT-Zentrum der BMW Group in München. Dort wurdem in regelmäßigen Abständen Updates und Trends aus dem Technologiesektor vorgestellt. Als Bewerbungskanal wurde der bestehende E-Mail-Verteiler innerhalb der IT-Abteilung genutzt, der mit einem klassischen und doch visuell effizienten Medium unterstützt wurde: Poster.
Diese Form der visuellen Werbung schaffte zu Beginn des Community-Aufbaus eine gewisse Omnipräsenz des Themas innerhalb des Digital Campus Münchens. Die in den Connect45 präsentierten Themen wurden in enger Zusammenarbeit von BMW und dem Account-Team von Confluent erarbeitet.
Wenn es mehrere Themen gibt, die behandelt werden sollen, empfiehlt es sich, direkt einen Plan über mehrere Monate festzulegen. Dies schafft von Anfang an eine kontinuierliche Präsenz des Themas oder der Lösung im Unternehmen, garantiert Slots im Vortragsprogramm und gibt den Vortragenden genug Zeit zur Vorbereitung. Hochkarätige Sprecherinnen und Sprecher wie etwa Key Contributor zum Open-Source-Projekt oder Repräsentanten aus dem Management - sowohl Technologieanbieter als auch aus dem Anwenderunternehmen - erhöhen die Aufmerksamkeit immens.
Parallel zum internen Vortragsprogramm wurde die regionale Open-Source-Community aktiviert. Zwei Meetups innerhalb der Apache Kafka Community in München erfreuten sich reger Beteiligung und zeigten auch den Zweiflern im Unternehmen, dass es sich bei Kafka um eine etablierte Lösung mit einer aktiven Community handelt. Zudem konnte die BMW Group sich positiv im Open-Source-Kontext und als innovativer Arbeitgeber positionieren.
Die beiden initialen Teams, welche bereits zu Beginn auf die Zentral-IT zugegangen waren, wurden desweiteren auch in die Hausmesse der BMW Group integriert: Auf der BMW Group IT-Messe im Oktober 2019 waren überduchschnittlich gebuchte Guided Tours ein weiterer Indikator für die Relevanz der Lösung. Durch die Verknüpfung der Aktivitäten konnte die BMW Group eine breite Masse an potenziell interessierten Kolleginnen und Kollegen erreichen und so die Basis für ihre Community schaffen.
Während man zu Beginn noch die Gruppenchats der einzelnen Projekte zum Informationsaustausch nutze, wurden diese bald so stark frequentiert, so dass eine strukturierte Form erforderlich wurde. Als Plattform für den Austausch und zur Bewerbung weiterer Veranstaltungen zur Wissensvermittlung nutzte man Microsoft Teams. Dedizierte Kanäle für bestimmte Themengebiete, sowie kontinuierliche Arbeit der Experten bei der Beantwortung von Fragen, schafften hier im Laufe der nächsten Monate eine Anlaufstelle für alle interessierten (Fach-) Abteilungen und Kollegen.
Auch hier ist Kontinuität der Schlüssel zum Erfolg: ein regelmäßiges Bespielen der Community-Kanäle mit Informationen schaffte die notwendige Relevanz und lies die Community weiter wachsen. Die Ausweitung der Lösung im Unternehmen führte im Laufe der Zeit zur Umstellung auf einen zentral verwalteten Dienst und die Cluster-Verwaltung durch ein eigenes Technologieteam.
Ein weiterer schöner Nebeneffekt: Die Interaktivität auf der gemeinsamen Community-Plattform entlastet gleichzeitig das zentrale Team. Viele Fragen werden direkt von der Community in der Community beantwortet, da niemand mehr das Rad neu erfinden muss. Es war also im Sinne aller, weitere Use Cases zu identifizieren und neue Teams auf die Plattform zu bringen.
Emotionalisierung und Onboarding als Kommunikationskanal
Als 2020 die Pandemie Veranstaltungen vor Ort auf Eis legte, wurde ein Format geschaffen, dass den nächsten Schritt im Kafka-Community-Aufbau bei der BMW Group einläuten sollte: In Ermangelung eines tatsächlichen Oktoberfests wurde kurzerhand die virtuelle "BMW Kafka Wiesn" etabliert - ein Format, dass die Münchner Teams ganz besonders abholte.
Unter dem Slogan "O’gstreamt is" wurden Teams aus der ganzen Welt eingeladen, mehr über die aktuell laufenden Projekte rund um Apache Kafka innerhalb der BMW Group zu erfahren. Die Keynote übernahm das Office of the CTO von Confluent mit dem Titel "The Streaming Transformation and the Rise of Apache Kafka". Das Ziel war es, alle Teilnehmenden von Anfang an abzuholen und auch den Fachabteilungen, wie etwa der Produktion oder dem Kundenservice, eine Vorstellung davon zu geben, wie Daten-Streaming als Technologie auch ihnen einen Mehrwert bringen kann.
Die weiteren Vorträge wurden dann ausschließlich von Mitarbeitenden der BMW Group bestritten. Die Veranstaltung mündete in interaktiven Roundtables, welche von dem Partner und der BMW Group gemeinsam bespielt wurden, mit aktuellen Themen wie einer Roadmap-Vorstellung oder einer offenen Fragerunde zu hybriden Bereitstellungen.
Anwendungsfälle von anderen Unternehmen erweitern das Spektrum von internen Veranstaltungen und lassen "über den Tellerrand schauen". Besonders gut wird es angenommen, wenn der Vortrag direkt vom Anwendungsunternehmen kommt und nicht indirekt vom Anbieter übernommen wird. In unserem Fall wurde zur ersten Kafka Wiesn ein Repräsentant von Bosch eingeladen, in weiteren Jahren gaben sich Siemens oder Michelin die Ehre.
Eine der Veranstaltung nachgeschaltete Umfrage holte direkt die Themen für die kommenden Connect45-Veranstaltungen ab, welche in der Community mit den Mitschnitten der Veranstaltung beworben wurden. Alle Projektteams, die nicht nur als Resultat der BMW Kafka Wiesn auf die mittlerweile komplett verwaltete Daten-Streaming-Plattform der BMW Group umgestiegen sind, werden von Anfang an auch in die Community mit eingebunden und somit auch in die Planung weiterer Veranstaltungen.
Das kontinuierliche Teilen von Erfolgen und Wissen schafft eine innovative Atmosphäre, in der vor allem kein Rad zweimal erfunden werden muss. Denn dafür hat kein Unternehmen Zeit.
Die Kafka-Plattform wird global
Die BMW Group verfügt heute über Dutzende Cluster, Hunderte vernetzte Anwendungen und verarbeitet zwischen einer und 2,5 Milliarden Events pro Tag. Daten der über 30 Produktionsstätten und aus dem globalen Vertriebsnetz werden nach und nach für alle Mitarbeitenden der BMW Group in Echtzeit verfügbar gemacht.
Die Community hat sich innerhalb von 4 Jahren auf über 700 aktive Mitarbeitende in global verteilten Standorten erweitert, darunter Südafrika, Portugal, Österreich, USA, Indien und natürlich Deutschland. Die tatsächliche Anzahl der Nutzer des Daten-Angebots lässt sich nur schwer schätzen, ist aber sicherlich um einiges höher.
Die gemanagte Daten-Streaming-Plattform in der Cloud hilft den Teams der BMW Group dabei, den kontinuierlichen Strom kritischer Geschäftsdaten zu bewältigen und jede Woche mehrere neue Anwendungen und Anwendungsfälle einzuführen. Die Nutzung der Datenverarbeitungsplattform soll weiter ausgeweitet werden. Einige dieser Use Cases wurden auch dieses Jahr bei der BMW Kafka Wiesn vorgestellt. Denn im Oktober 2023 hieß es schon zum vierten Mal "O’gstreamt is" bei der BMW. (jd)