100 Jahre ist es her, dass Robert Bosch ein Patent auf eine epochale Erfindung erhielt: die Zündkerze. Doch im Jubiläumsjahr springt der Funke am Hauptsitz in Leinfelden bei Stuttgart nicht mehr über. Umsatzeinbußen, vor allem außerhalb Europas, der weltweit um vier Prozent gesunkene Kfz-Absatz, das schwache Geschäft mit Elektrowerkzeugen, Thermotechnik und Hausgeräten, gesunkene Rendite im vergangenen Jahr - und kaum Aussicht auf Besserung: Das sind die Kenn-zeichen der aktuellen Geschäftslage beim zweitgrößten Automobilzulieferer der Welt.
Noch immer ist die Autoindustrie wichtigstes Standbein des Konzerns. Doch die übrigen Geschäftsbereiche wie der Verkauf von Elektrowerkzeugen und die Thermo-technik legen kräftig zu. Dafür sind nicht zuletzt die E-Business-Aktivitäten verantwortlich. In naher Zukunft, so die Planung bei Bosch, lassen sich unterschiedliche Websites aus einer gemeinsamen Datenbasis entwickeln und mit den Kernsystemen verknüpfen.
Basis: Intershop und eigene Warenwirtschaft
Vorreiter war der Geschäftsbereich Elektrowerkzeuge, der im Oktober 1998 mit einem passwortgeschützten Internet-Angebot online ging. Gut 2000 Fachhändler wickeln inzwischen über das Warenwirtschaftssystem des Geschäftsbereichs Aufträge online ab, holen Lieferauskünfte ein oder nutzen E-Learning-Werkzeuge. Aufgesetzt wurde die Intershop-Lösung auf das selbst entwickelte Warenwirtschaftssystem "Idis".
Das Projekt ist nur eine der vielen E-Initiativen, die dezentral in den Fachabteilungen angeschoben wurden. Die Entwickler experimentierten mit dem Online-Design von Produkten; eine passwortgestützte Wissensdatenbank im Internet ergänzte die CD-Handbuchsammlung "Esitronic", mit der Bosch den Werkstätten Fahrzeug-daten, Diagnosewerte und Schaltpläne zur Verfügung stellt. Zudem hat das Unternehmen mit "Supply On" Deutschlands umsatzstärksten Beschaffungsmarktplatz ins Leben gerufen und so einen Großteil seiner Zulieferer vernetzt. Auch am European Network Exchange (ENX), einem europaweit einheitlichen Branchennetz der Automobilindustrie, ist die Gesellschaft beteiligt.
Mangels zentraler Koordination sahen sich die Schwaben schon im E-Chaos versinken. "Jeder kochte sein eigenes Süppchen", erklärt ein ehemaliger Bosch-Executive. Redundanzen, fehlende Standards und Datensätze, die sich nicht miteinander verknüpfen ließen, drohten die anvisierten Effizienzgewinne zu neutralisieren.
Dass dies dann nicht geschehen ist, ist der Abteilung Electronic Commerce (ECO) innerhalb der Robert Bosch GmbH zu verdanken. ECO entstand vor rund zwei Jahren. Harald Grimsmann, Projektleiter E-Commerce/Handel, hatte damals die Aufgabe, neue Themen wie E-Commerce für die Robert-Bosch-Gruppe aufzugreifen. Als so genannter Change Advocat forderte er, dass E-Business-Projekte zentral koordiniert werden. "Wir müssen von Einzelprojekten in den Geschäftsbereichen wegkommen, hin zu ausrollfähigen Lösungen."
Netz aus Vertriebsprofis
ECO wurde bewusst schlank gehalten; zum Team gehören nur sieben Personen. "Wir haben uns wie ein Start-up in einer Lagerabteilung niedergelassen und ausrangierte Möbel beschafft", erinnert sich Grimsmann; "Die Messeabteilung hat schnell einen Teppich verlegt, und schon nach drei Wochen waren wir up and running."
Zunächst galt es, die Organisation für das Thema E-Commerce zu sensibilisieren und Informationen darüber zu sammeln, wozu die einzelnen Geschäftsbereiche die digitalen Werkzeuge würden nutzen wollen. Auf dieser Grundlage koordiniert ECO jetzt die Entwicklung eines einheitlichen IT-Werkzeugkastens: der "Bosch E-Commerce Application Toolbox", kurz Beat. Beat soll Prozesse optimieren, Medienbrüche vermeiden und die Bosch-Systeme kompatibel, erweiter- und skalierbar halten. Erfahrungen beim Elektrowerkzeugnetz halfen bei der Entwicklung.
Heute ist ECO eine Zentralstelle mit Ordnungsfunktion im E-Business, die Standards vorgibt. Grimsmann hat für die Handelsgeschäftsbereiche ein Netzwerk aus ECO-Koordinatoren gesponnen. Die zehn Entscheider treffen jeden Monat zum Strategieabgleich zusammen. Dazu koordiniert Grimsmann etwa 50 Ansprechpartner in den weltweit verstreuten Bosch-Regionalgesellschaften. Die ECO-Leute, das wird im Gespräch mit Grimsmann klar, verstehen sich weniger als IT-Spezialisten denn als Vertriebsprofis. "Über allem stehen die Promotoren, die das Thema E-Business in der Geschäftsleitung verantworten."
E-Business auf IT-Architektur abgestimmt
Dieses Netzwerk wird Grimsmann brauchen, denn Beat ist bei Bosch im Handel Standard. Die Mehrheit der IT-Projekte läuft bereits auf der Intershop-basierten Plattform, der Rest soll in Kürze folgen, darunter die alten ERP-Systeme, die gerade von SAP R/2 auf R/3 umgestellt werden. "Beat ist auf die künftige IT-Architektur von Bosch abgestimmt", erklärt Grimsmann. "So können wir deren Schichten sauber trennen."
Dem Extranet für Elektrowerkzeuge kommt das bereits zugute. Um doppelte Arbeit bei der Bestellungseingabe zu vermeiden, können die Händler ihre Warenwirtschaftssysteme mit dem Bosch-Extranet koppeln. Und auch im Extranet von Junkers können Großhändler alle Produkte online bestellen; sie erhalten dann sofort Rückmeldung zu Preisen und Verfügbarkeitsdaten. Seit Anfang 2001 sind dort Architekten, Handwerker, Schornsteinfeger, Großhändler und Wohnungsbaugesellschaften angebunden. Sie haben so die Möglichkeit, nach neuen Heizgeräten und Warmwasserbereitern, Zubehör oder Ersatzteilen zu suchen und Serviceanleitungen herunterzuladen.
Dazu werden mithilfe der "Community Engine" der Firma Webfair automatisch Nachrichten und Werbeaktionen für die angeschlossenen Bosch-Partner angeboten. "Wir bleiben im Handel unseren Vertriebswegen treu und wollen keine Handelsstufen überspringen", betont Grimsmann. "Wir unterstützen die existierenden Kunden; und wenn ein Fachhandelskunde im Web aktiv werden will, bieten wir Hilfe an, beispielsweise bei Katalogen und dem Bildmaterial."
Partner in die Lieferkette einbinden
Der Erfolg kann sich sehen lassen: Im Geschäftsbereich Elektrowerkzeuge werden laut A. T. Kearny bereits 30 Prozent der Bestellungen online über das Extranet abgewickelt. Gleiches gilt für die Bosch-Tochter Blaupunkt.
Wichtiger noch als die Umsätze ist allerdings die Standardisierung der internen Datenströme. Bosch kauft jährlich weltweit für rund 16,5 Milliarden Euro Güter und Dienstleistungen ein. Zwar ist das Unternehmen im Bereich elektronische Beschaffung mit dem Supply-On-Marktplatz bei den nicht unternehmenskritischen Gütern schon jetzt gut aufgestellt - zumindest nach eigener Einschätzung. In Zukunft kommt Analysten zufolge auf Bosch jedoch die Aufgabe zu, die Zulieferer auch bei komplexen Produkten an die eigenen, bis zu den Herstellern zurückreichenden Lieferketten anzuschließen. Hintergrund: Die Endabnehmer machen Druck auf die großen Zulieferer - und zwar auch, was die Qualität ihrer Daten und der angeschlossenen Unterzulieferer betrifft.
Collaborative Engineering - die unternehmensübergreifende Steuerung der Entwicklung von Komponenten und Produkten - und Supply Chain Management heißen deshalb die größten Herausforderungen, vor denen Bosch und andere Großzulieferer nun stehen. Ferdinand Dudenhöffer, Professor an der Fachhochschule Gelsenkirchen und Autowirtschaftsexperte, prognostiziert: "Die Unterlieferanten zu vernetzen, damit auch sie Lieferabrufe, Kapazitätsplanungen und Engpässe erkennen, ist die nächste Baustelle." Über Web-basierte Einkaufsvorgänge, so der Wissenschaftler, ließen sich auch die kleinen Zulieferer im vierten oder fünften Glied der Lieferkette an eine einheitliche, digitale Bedarfsplanung anschließen. Die Federführung bei solchen Projekten müsse bei großen Zulieferern wie Bosch liegen, weil nur sie das Know-how und die Finanzkraft hätten, solche Systeme aufzusetzen.
Hier muss Bosch aktiv werden, denn die Entwicklungsverantwortung wird zunehmend von den Herstellern auf die Zulieferer übertragen. "Die Autofirmen gehen verstärkt zum Prinzip der bedarfsorientierten Produktion über", sagt Dudenhöffer. "Erst wenn ein Kunde ein Fahrzeug bestellt, wird es gebaut." Das erfordere unternehmensübergreifende Zusammenarbeit bei der Bedarfsplanung; die Autoindustrie sei aber nicht so weit, das umzusetzen.
Ein System wie Beat ist die Voraussetzung dafür, solche Szenarien überhaupt realistisch durchplanen zu können, meint Branchenexperte Dirk Pfitzer von der Technologieberatungsfirma PA Consulting: "Erst wenn die großen Zulieferer ihre Hausaufgaben gemacht haben, lohnt es sich, über die nächsten Schritte zu reden."