Immer wenn es darum geht, dass der Staat die Wirtschaft massiv subventionieren soll, muss Airbus als Beispiel herhalten. Nur dank staatlicher Förderung von Frankreich und Deutschland konnte der europäische Flugzeughersteller den Abstand zum einstigen Monopolisten Boeing aufholen. Heute ist Airbus in der Luftfahrt nicht mehr wegzudenken.
Daher überrascht nicht, dass Politiker eine deutsche IT fordern. Bundeskanzlerin Angela Merkel kommentiert die Bespitzelungsaffäre mit dem Satz, dass Europa dort aufholen müsse, wo es "eigene technische Fähigkeiten verloren" habe. Beim Satellitensystem Galileo und eben bei Airbus gibt Europa bereits kontra. Folgt die IT-Branche?
Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Dieter Wiefelspütz sagt: "Wenn Washington die Marktmacht amerikanischer Unternehmen in der Internet-Branche missbraucht, dann müssen wir angemessene Alternativen schaffen." Und der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl meint, die Regierung müsse "dreistellige Millionenbeträge" für IT-Sicherheit "Made in Germany" aufbringen.
Geht es nach solchen Äußerungen, ist jetzt wieder Zeit für Industriepolitik im großen Stil: Die Berichte über die Abhörprogramme des US-Geheimdienstes machen schmerzhaft deutlich, dass die vernetzte Gesellschaft kaum ohne chinesische Chips und amerikanische Software auskommt. Eine IT "Made in Germany" oder "Made in Europe" soll verhindern, dass ausländische Geheimdienste deutsche Staatsgeheimnisse und die Erfindungen des Mittelstandes ausspionieren. Doch es ist höchst fraglich, ob eine Förderung nach dem Prinzip Airbus hilft, das Internet weniger amerikanisch zu machen.
Bislang sind keine handfesten Beweise an die Öffentlichkeit gedrungen, dass fremde Staatsschnüffler deutsche Firmen ausspionieren. Allerdings ist die Zuordnung digitaler Angriffe schwierig. In einer Umfrage des Sicherheitsdienstleisters Corporate Trust unter 600 Unternehmen gaben rund 21 Prozent an, durch Spionage bereits Schäden erlitten zu haben. Immerhin 14 Prozent der Opfer gehen davon aus, dass ausländische Nachrichtendienste die Finger im Spiel hatten.
Die Forderungen nach einer deutschen IT klingen gut, gerade im Wahlkampf, und lenkt davon ab, wie wenig die Politiker derzeit gegen die Bespitzelung tun können oder wollen. Doch so einfach ist das nicht. Dagegen sprechen grundsätzliche Zweifel an der Industriepolitik, deren Erfolgsquote niedrig ist. Für jede erfolgreiche Förderung stehen mehrere misslungene Projekte. Auch in der IT-Branche.
Keine Förderung kommt gegen Google an
In der IT-Branche gibt es bereits ein Beispiel für gescheiterte europäische Industriepolitik: 2005 kündigten Frankreich und Deutschland ein Forschungsprojekt für Suchmaschinen-Technologie namens Quaero an. Deutschland zog sich später zurück und machte unter dem Namen Theseus weiter. Bei aller sinnvollen Grundlagenforschung: "Ein deutsches Google war allerdings nicht dabei", kommentiert das "Wall Street Journal Deutschland" sarkastisch.
Ob Hardware, Software oder Internet-Dienste: Riesen wie Intel, Microsoft und Google investieren riesige Summen in Forschung und Entwicklung, und sie locken die besten Ingenieure und Programmierer an. Ihr Vorsprung ist riesig - mit Steuergeld lässt er sich nicht aufholen.
Auch vom Internet kann sich Deutschland nur schwerlich abkoppeln. "Wenn man die Forderung nach Autonomie ernst meint, müsste man ein deutsches Internet aufbauen", sagt Claudia Eckert, Professorin für IT-Sicherheit an der Technischen Universität München. Auch hier ist der Abstand riesig. Eckert hält es zwar für sinnvoll, für Bundesregierung und Behörden ein Hochsicherheitsnetz einzurichten. Aber eine komplett eigene Vernetzungsinfrastruktur zu fordern, sei "etwas blauäugig".
Trotzdem können deutsche Unternehmen und Behörden ihre IT sicherer machen. Dafür gibt zwei Ansätze. Für den radikalen steht Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Clubs. "Wir brauchen eine Grundlage für sichere IT - das fängt an bei den Prozessoren, geht weiter bei den Chipsätzen, geht weiter bei den Programmiersprachen“, sagte er kürzlich auf einer Handelsblatt-Tagung zu IT-Sicherheit. "Wenn man nicht bald anfängt, dauern die Schmerzen länger." Die Forschung zur IT-Sicherheit sei in Deutschland gut, ebenso die industrielle Basis. Er plädiert für staatliche Förderprogramme, um die Erkenntnisse auf einen größeren Markt zu bringen.
"Kein Facebook 'Made in Europe'"
Einen weniger radikalen Ansatz verfolgt IT-Sicherheitsexpertin Eckert: "Es ist möglich, sichere Bausteine als vertrauenswürdige Anker in bestehende Systeme einzubauen", sagt die Forscherin, die sich auf solche Lösungen spezialisiert hat. "Das ist in vielen Bereichen mit überschaubarem wirtschaftlichem Aufwand zu machen." Deutsche Unternehmen, viele von ihnen Mittelständler, seien bei der Entwicklung solcher Sicherheitschips führend, betont die Forscherin, die auch das Fraunhofer-Institut für angewandte und integrierte Sicherheit (AISEC) leitet.
Eine Förderung hält sie trotzdem für sinnvoll: "Es gibt viele mittelständische Unternehmen, die Unterstützung gebrauchen könnten." Allerdings fordert sie nicht den Airbus-Ansatz - also den Aufbau eines Konzerns. "Es wäre sinnvoll, Referenzprojekte zu machen und solche Technologien zum Beispiel in Kommunen und Behörden einzusetzen." Das würde den Firmen das Investitionsrisiko nehmen. Für mehr IT-Sicherheit könne der Staat auch sorgen, indem er ein Testzentrum finanziere, etwa um IT-Komponenten aus dem Ausland zu überprüfen.
In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Oliver Grün, Unternehmer und Vorsitzender des Bundesverband IT-Mittelstand (BITMi). "Ein Facebook Made in Europe bekommen wir wohl eher nicht hin, aber wir haben große Chancen in Sachen IT-Sicherheit." Mit der richtigen Förderung könne diese ein Exportschlager für die EU und Deutschland werden.
Sein Verband forderte zwar auch einen "Internet-Airbus" - "es geht in beiden Fällen um Hochtechnologie und ein Quasimonopol der USA." Die Gründung eines staatlichen Unternehmens lehnt aber auch Grün ab: "Die Ur-Idee von Airbus war nicht der heutige Konzern, sondern ein Konsortium aus großen, mittleren und kleinen Unternehmen."
(Quelle: Handelsblatt)