Energiebranche

Bremst der Fachkräftemangel die Energiewende aus?

07.02.2024
Während andere Branchen Tausende Stellen streichen, sucht der Energiesektor händeringend Personal.
Ein Industriearbeiter verbaut Solarpaneele: Ob Anlagenmechaniker, Dachdecker oder Industriekaufleute - die Energie-Unternehmen bedienen sich bei Fachkräften und Nachwuchs aus demselben Pool.
Foto: Aleksandar Malivuk - shutterstock.com

Rosiger könnten die Aussichten für angehende Auszubildende und Jobwechsler kaum sein: In der Energiebranche suchen derzeit zig Unternehmen Personal - vom kleinen Handwerksbetrieb über Stadtwerke bis zum großen Energieversorger. Nur konkurrieren sie quasi alle um dieselben Arbeitskräfte, um dieselben Qualifikationen.

Ohne ausreichende Fachkräfte gerate die Energiewende ins Stocken, warnt die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kerstin Andreae. "Sie kann nur gelingen, wenn genügend Hände mit anpacken." Und dafür müssten alle Register gezogen werden: "Für die Umsetzung der Energiewende brauchen wir den Nachwuchs, die Frauen, ausländische Arbeitskräfte, Quereinsteiger und alle anderen Interessierten und Qualifizierten", erklärt Andreae.

Bedarf an Hunderttausenden Arbeitskräften

Laut einer Studie im Auftrag der Grünen entsteht zur Umsetzung der Investitionen für ein klimaneutrales Deutschland ein Bedarf an bis zu 767.200 Arbeitskräften im Jahr 2035, davon 58 Prozent Fachkräfte. Für die Bertelsmann-Stiftung hatte das Institut der deutschen Wirtschaft vor einigen Monaten die Entwicklung bei Online-Stellenanzeigen in den Branchen Wind und Solar untersucht. Deren Zahl nahm demnach von 2019 bis 2022 um 91 Prozent zu. So seien etwa Dachdecker und Techniker zur Montage von Photovoltaikanlagen heiß begehrt.

Eine Analyse der Unternehmensberatung Deloitte macht deutlich, dass der Fachkräftemangel in der Energiewirtschaft keine Momentaufnahme ist: In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren gingen voraussichtlich etwa 70 Prozent der Mitarbeiter in Energieversorgungsunternehmen in den Ruhestand. Der Energieversorger EnBW bildet längst über Bedarf aus. Konzernweit wollen die Karlsruher 9.600 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis 2026 einstellen. "Ich denke, das kriegt man hin", gibt sich Personalvorständin Colette Rückert-Hennen zuversichtlich.

Doch der Fachkräftemangel erstreckt sich auf alle Bereiche, wie auch Deutschlands größter Energieversorger Eon spürt. "Es gibt nicht mehr die eine Zielgruppe, die wirklich massiv hervorsticht." Längst gehe es nicht mehr um die Suche nach Talenten, erläutert eine Sprecherin in Essen. Es werde um jeden und jede gekämpft.

Buhlen mit Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit

Dabei werben die Branchenvertreter wie BDEW-Chefin Andreae nicht zuletzt damit, am Jahrhundertprojekt Energiewende teilhaben zu können und sinnstiftende Arbeit zu leisten. "Insbesondere die junge Generation hat hier die Chance, die Welt, in der sie lebt, nachhaltig mitzugestalten." Schon heute ein wichtiges Thema bei jungen Menschen.

Auch Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) verweist auf anstehende gesamtgesellschaftliche Großprojekte: die Energie- und Wärmewende in den Stadtwerken oder die Anpassung der Wasserwirtschaft an die Folgen des Klimawandels. "Genauso aber auch der Ausbau der Glasfasernetze für schnelles Internet in Stadt und Land oder auch der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit in der Abfallentsorgung", so Liebing. "Bei all diesen Projekten werden erfahrene Fachleute gebraucht, aber auch junge Berufseinsteiger können hier einen sinnhaften Beitrag leisten!"

Von Arbeitgebern ist Flexibilität gefragt

Das bringt potenzielle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in eine gute Verhandlungsposition. Vergütungssystematik und Benefits müssten umgestellt und gegebenenfalls erweitert werden, sagt EnBW-Managerin Rückert-Hennen. Dabei gehe es nicht mal in erster Linie um mehr Geld, sondern um Fragen nach Urlaub, Sabbaticals und Weiterbildung. "Ich habe nicht den Eindruck, dass da völlig absurde Forderungen kommen."

Arbeitgeber müssten etwa mit Blick auf Arbeitszeiten und hybride Arbeitsmöglichkeiten flexibler werden und sich öffnen, ist sie überzeugt. "Nur so kann man den Pool größer machen." Je nach benötigter Qualifikation und vorhandenen Fähigkeiten nimmt die Vorständin auch bis zu zwei Jahre für Weiterbildungen in Kauf, um fachfremdes Personal zu schulen oder ältere Angestellte mit den nötigen Qualifikationen etwa in Sachen Digitalisierung auszurüsten.

"Hier sollte keine weitere Zeit verloren gehen"

Aus Sicht des BDEW sollte man schon in der Grundschule ansetzen, um Kinder frühzeitig an technische Themen heranzuführen. "Denn wir brauchen sie als Ingenieure, Mechatroniker, Elektriker und Schlosser für die Energiewende", erläutert Andreae. "Hier sollte keine weitere Zeit verloren gehen." Schließlich sei die Energiewende ein gewaltiges Konjunkturpaket. "Allein der Um- und Ausbau der Energieerzeugung, der Netze und der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft können bis 2030 Investitionen in Höhe von insgesamt 600 Milliarden Euro auslösen."

Auch Eon beispielsweise setzt sich unter anderem im Rahmen lokaler Ausbildungsinitiativen dafür ein, Interessierten den Berufseinstieg mithilfe von Schulprojekten, Praktika, Lehrgängen und fachkundiger Begleitung an ihren Ausbildungsplätzen zu erleichtern. "Wir verzeichnen eine sehr hohe Übernahmequote von über 90 Prozent", erläutert die Sprecherin. "Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass die Ausbildung an Stellenwert wieder dazu gewinnen muss, um als gleichwertige Alternative zum Studium angesehen zu werden." (dpa/rs)