Während der britische Premierminister Rishi Sunak auf dem Parteitag spricht, wirkt manches wie ein US-amerikanischer Wahlkampf. Der 43-Jährige, ohnehin nicht gerade groß von Wuchs, steht auf einer kleinen Bühne, wirkt neben den blauen Leuchtflächen fast klein. Seine Frau Akshata Murthy hat bei einem Überraschungsauftritt kurz vorher eine gefühlige Lobrede gehalten. Und im Saal warten Parteimitglieder mit Marketingplakaten. Es müsse endlich langfristige Politik gemacht werden, fordert Sunak in Manchester.
Tatsächlich sind es aber seine Konservativen, die Großbritannien seit 13 Jahren regieren. Und in Umfragen stehen die Tories derzeit schlecht da. Würden die Briten demnächst wählen - Sunak wäre seinen Job los. "Die Geier kreisen schon über Sunak", kommentiert die linksliberale Zeitung "The Guardian".
Eine Stunde und vier Minuten dauert Sunaks Rede. Darin verkündet er, dass künftigen Generationen das Rauchen verboten werden soll. Die Schulabschlüsse sollen reformiert werden. Und auch bei einem anderen Projekt schafft er nach tagelangen Spekulationen Klarheit: Sunak will eine geplante Schnellbahntrasse in den Norden Englands verkürzen, weil das Milliardenprojekt deutlich teurer geworden ist als geplant. Stattdessen will er Hunderte kleinere Verkehrsprojekte fördern. Dass er die Entscheidung ausgerechnet in Manchester verkündet - der Stadt nämlich, die nun abgeschnitten wird von dem Bahnprojekt -, sorgt bereits seit Tagen für Kritik. Der konservative Bürgermeister der Region West Midlands, Andy Street, drohte sogar mit Rücktritt.
Liz Truss' kleines Comeback
Andere werten den Schritt dagegen als Zugeständnis an diejenigen, die sich vehement für weniger staatliche Ausgaben einsetzen. Dass Sunaks Kurzzeit-Vorgängerin Liz Truss auf dem Parteitag eine eigene Wirtschaftsagenda vorstellte, machte Schlagzeilen. Schon eine Stunde vorher standen Menschen vor dem Hotelsaal an. "Für wen ist die Schlange denn? Nicht für Liz, oder?", fragte ein Mann im Vorbeigehen, der lieber an die Bar ging.
Truss war vor knapp einem Jahr wegen einer fatalen Wirtschaftspolitik nach 49 Tagen als Premierministerin zurückgetreten. Nun setzte sie zwischen hellblauen Wänden und Kameras auf den Slogan "Make Britain Grow Again", der Erinnerungen an Donald Trump weckt. Sie plädierte für Steuersenkungen - ohne zu erklären, wie die finanziert würden.
Tories werden Lügen vorgeworfen
Kommentatoren werfen den Konservativen vor, skrupellos zu lügen und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Für Aufsehen sorgt ein BBC-Interview mit Wissenschaftsministerin Michelle Donelan, in dem Moderatorin Victoria Derbyshire mehrere Unwahrheiten von Spitzenpolitikern aufzeigte. Donelan beharrte: "Wir sind die Partei der Fakten." Die Ministerin für Energiesicherheit, Claire Coutinho, behauptete, die Labour-Partei wolle Fleisch besteuern. Als Sky-News-Moderatorin Sophy Ridge betonte, dass dies nicht stimme, versuchte die Politikerin verzweifelt, das Thema zu wechseln.
"Die Partei ist alles andere als geeint"
Nach Meinung von Politikwissenschaftler Mark Garnett steht die Conservative Party vor mehreren Streitfragen. "Eine beträchtliche Zahl von Tory-Abgeordneten findet, dass ihre Partei die Steuern zu weit nach oben getrieben hat", sagt Garnett von der Lancaster University. Viele seien zufrieden mit Sunaks Ankündigung, dass Neuwagen mit Verbrennermotor doch länger verkauft werden dürfen, bis 2035. "Andere sind entsetzt darüber, dass Großbritannien von seinem Ziel, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, offenbar abzurücken scheint."
Auch der Umgang mit Asylsuchenden sorge für Diskussionen. Garnett betont: "Die Partei ist alles anderes als geeint, aber das bedeutet nicht, dass Sunaks Position gefährdet ist." Einige hätten zwar Kampagnen begonnen, um seine Nachfolge anzutreten, aber niemand wolle vor der Wahl übernehmen, die wahrscheinlich verloren werde. Es gebe aber einen Kampf darum, welche Richtung die Partei bis zur Wahl einschlage. "Und Sunak ist offensichtlich bereit, sich ein Stück nach rechts zu bewegen bei einigen Themen."
Mögliche Nachfolgerinnen stehen weiter rechts
Wenn es um eine mögliche Nachfolge Sunaks geht, werden etwa Innenministerin Suella Braverman zugeschrieben. Die Hardlinerin will alle irregulären Migranten ins ostafrikanische Ruanda abschieben, unabhängig von persönlichen Umständen oder Herkunftsland. In ihrer Parteitagsrede kritisierte sie den britischen "Human Rights Act", der Menschenrechte festschreibt, als "Criminal Rights Act". Sie warnte, ein "Hurrikan" von "Millionen" Migranten werde bald über das Land hinwegfegen. Gehandelt werden auch Wirtschaftsministerin Kemi Badenoch sowie Kabinettsmitglied Penny Mordaunt. Sie wurde international bekannt wurde, als sie bei der Krönung von König Charles III. eine Stunde lang ein Schwert trug.
Politikforscher Simon Usherwood von der Open University hält es für wahrscheinlich, dass sich die Partei weiter nach rechts bewegt, wenn die nächste Wahl verlorengeht. Während der Brexit-Jahre seien viele moderate Kandidaten verdrängt worden. Der Politikwissenschaftler Anand Menon vom King's College London hingegen betonte, die künftige Richtung hänge auch daran, welche Abgeordnete es ins Parlament schaffen. Das Wählerpotenzial weiter rechts sei begrenzt.
Die Briten wählen voraussichtlich 2024 ein neues Parlament - die oppositionelle Labour-Partei liegt derzeit in Umfragen etwa 20 Prozentpunkte vorne. Wie sich die Partei inhaltlich aufstellen will, dürfte auch von Sonntag an verhandelt werden. Dann beginnt die Parteikonferenz von Labour in Liverpool. Der Parteichef heißt Keir Starmer. Dessen Namen kann man sich schon mal merken. (dpa/rs)