Die Wirtschaftszeitung „Handelsblatt" wurde sehr deutlich: „Milliarden-IT Projekt ‚Herkules’ wird zum Debakel", schrieb sie. „Herkules kostet eine weitere Milliarde Euro" und „Desaster mangels Kontrolle". Schon seit dem Start von Herkules - und eigentlich auch bereits davor - begleiteten solche und ähnliche Schlagzeilen das Milliarden-IT-Projekt von Bundeswehr (49 Prozent), Siemens und IBM (zusammen 51 Prozent).
Die BWI Informationstechnik GmbH in Meckenheim, kurz BWI IT, ist seit 2006 die gemeinsame Gesellschaft die die völlig veraltete Informations- und Kommunikationstechnik der Bundeswehr endlich modernisieren soll. Das heißt: viele neue Glasfaserkabel, viele neue Telefone und viele neue Computer. Dazu kommt zusätzlich noch das SASPF-Projekt, mit dem betriebswirtschaftliche Software bei der Bundeswehr eingeführt wird.
Ursprünglich war Herkules bis Ende 2010 geplant, anfangs für eine Summe von 5,9 Milliarden Euro. Doch, wie das nun mal so ist und was jeder, der ein Haus baut, weiß: Die Kosten werden mit der Zeit höher, die Ansprüche steigen, manches muss neu bedacht werden, und an jeder Ecke lauern neue Überraschungen. Es kann aber natürlich auch sein, dass die Bauarbeiter schlampig oder überteuert arbeiten oder Architekt und Bauträger versuchen, einen übers Ohr zu hauen. Am Ende ist nichts richtig fertig, aber man ist viel Geld los, Lehrgeld.
Im aktuellen Fall bei Herkules ist es folgendermaßen: Das Projekt verzögert sich um voraussichtlich zwei Jahre und kostet mindestens 918 Millionen Euro mehr. Den zuständigen Ausschüssen des Bundestags liegt dazu aktuell der „Bericht an das Bundesministerium der Verteidigung nach § 88 Abs. 2 BHO über die Zielerreichung und Wirtschaftlichkeit im Projekt Herkules" des Bundesrechnungshofes vor. Darin geht es auch um die Ergebnisse des „zweiten Berichts des Bundesverteidigungsministeriums über die begleitende Evaluierung der Zielerreichung und Wirtschaftlichkeit des Kooperationsprojekts Herkules (Begleitende Erfolgskontrolle)".
Soziologen befragen Nutzer und Anwender von Herkules
Der Bericht listet den Fortschritt in den jeweiligen Projekten auf und fasst außerdem die Ergebnisse der ersten, repräsentativen und anonymen Nutzerbefragung von September/Oktober 2009 zusammen. Drei Gruppen wurden dabei vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr (SOWI) im Auftrag der Bundeswehrführung befragt. Zum einen die Endnutzer (rund 30.000 Antworten). Zum anderen die Dienststellenleiter (rund 300 Antworten) sowie die „Bevollmächtigen Vertreter Herkules", die die Ansprechpartner für das IT-Amt der Bundeswehr und der BWI IT für Herkules-Belange in den Teilstreitkräften sind (neun Antworten).
In seiner Zusammenfassung kommt das Verteidigungsministerium zu dem Schluss, die Befragungsergebnisse seien „uneinheitlich". Die Mehrheit der Befragten kann demnach ihren Auftrag mit der vorhandenen IT-Ausstattung (alt und neu) erfüllen und ist mit der IT-Infrastruktur grundsätzlich zufrieden. Aber: „Der zu erwartende positive Effekt mit der Neuausstattung trat nur teilweise ein." Bei der Service-Qualität in Bezug auf Hotlines und Telefondienste sowie der Störungsbeseitigung durch die BW IT wird „umfänglicher Optimierungsbedarf" gesehen. Auch die fachliche Kompetenz wird bemängelt.
So lautet in dem Bericht das Fazit zu den Beurteilungen der Nutzer und Projektleiter, die das neue System bedienen: „Keiner der Befragten ist der Meinung, dass sich die strategische Partnerschaft der Bundeswehr mit der (Kooperationsgesellschaft) BW IT bewährt habe". Und: „Niemand hält die BW IT für einen guten industriellen Partner, der der Aufgabe gewachsen ist und flexibel genug, um auf die Besonderheiten seines Organisationsbereichs einzugehen."
Nur jede zwanzigste betroffene Dienststelle glaubt an die Managementkompetenz der BW IT, weniger als die Hälfte der Benutzer glaubt sogar noch an das Gelingen der angestrebten Modernisierung. Die Nutzer beschweren sich über Ausfälle des IT-Netzwerks, geringe Geschwindigkeiten im Netzwerk sowie Pannen und Fehlfunktionen von Druckern und Laptops. 94 Prozent der Dienstellenleitungen meinen, die Bundeswehr hätte die Leistungen genauso gut oder besser erbringen können wie das PPP-Projekt.
Jochen Reinhardt, Sprecher der BWI Informationstechnik GmbH, meint dazu: „Im ‚Handelsblatt’ wurden vor allem Aussagen der letzten Gruppe, also die der ‚Bevollmächtigen Vertreter Herkules‘ zitiert. Er will Zweifel am Fortschritt des Projekts mit den bisher erreichten Erfolgen kontern. Mit einem Statusbericht zu den wichtigsten Teilprojekten und einer Auflistung über die bereits erledigten Modernisierungsschritte und dem Nutzen, den die Bundeswehr trotz noch nicht abgeschlossener Modernisierung bereits daraus ziehen könne.
Mehrbedarf kostet auch mehr Geld
Hier einige Details:
-
Vertraglich vereinbart wurde der Abschluss des Rollouts von 140.000 Arbeitsplatzcomputern bis zum Ende der Integrationsphase. Zum Stichtag Ende 2009 waren rund 19.400 PCs und Laptops ausgerollt, aktuell wurde gerade der 50.000ste PC ausgeliefert und installiert. Durch die Abhängigkeit vom Ausbau der Leitungsnetze kam es hier zu Verzögerungen.
-
Dem Mehrbedarf beim Ausbau der Leitungsnetze (LAN) wurde begegnet.
-
Zur Reduzierung von Ausfällen hat die BWI IT 10.000 PCs ohne zusätzliche Rechnung zur Verfügung gestellt.
-
Zum Stichtag hat die BW IT den Ist-Betrieb der Rechenzentren sichergestellt und ein Betriebskompetenzzentrum eingerichtet, das die Überführung in den Zielbetrieb vorbereitet.
-
Aus dem neuen eingerichteten Monitor- und Control-Center der BW IT können erstmals die zentralen Anwendungen und Dienste in den Rechenzentren bundesweit zentral überwacht und gesteuert werden.
-
Die BWI IT kommt bei der Sicherstellung der Kernführungsfähigkeit der Bundeswehr laut Bericht ihrer vertraglichen Pflicht vollständig nach. Die Einbindung und Besetzung der Dienstposten durch die Bundeswehr erfolgt problemlos und planmäßig.
Warum das Projekt mehr Geld benötigt, begründet das BW IT unter anderem wie folgt:
-
Mehrbedarf für Mobilfunk (im Vertrag sind 15.000 Mobiltelefone vorgesehen) entstehe trotz neuer Verträge mit Providern beim Mobilfunk durch die Nutzung kostenpflichtiger Dienste (wie etwa UMTS).
-
Herkules-Grundlage sind 265 Server, tatsächlich wurden fast 100 Server mehr vorgefunden.
-
Herkules-Grundlage sind 200 LoNo-Applikationen, tatsächlich wurden zehnmal mehr Applikationen vorgefunden.
-
Liegenschaftsverkabelung (Verrechnung erfolgt gemäß Vertrag nach Aufwand). Hier habe eine neue wirtschaftlichere Vorgehensweise bereits zu einer Senkung der ersten Grobschätzung geführt.
-
Diverse Mehrleistungen bei SASPF
-
Mehrbedarf in der Betreuung und Betrieb von Altverfahren (die „Systeme in Nutzung", SinN)
-
Es müssen mehr Arbeitsplätze ausgestattet und betrieben werden
-
zusätzliche und höhere Sicherheitsanforderungen als im Vertrag vereinbart (etwa Notfallkonzept, PC-Schnittstellen).
Rechnungshof wird weiter begleitend prüfen
Gleichzeitig kann man in der Zusammenfassung des BW IT nachlesen, welche Schritte laut Konsortium noch zu tun sind, damit die Bundeswehr ihr Ziel, eine standardisierte und zentralisierte ITK-Infrastruktur zu erhalten, auch tatsächlich erreicht.
Der Bundesrechnungshof hat jetzt in seinem Anschreiben an den Haushaltsausschuss angeregt, das Bundesverteidigungsministerium aufzufordern, dazulegen, welche Möglichkeiten bestehen, Leistungen im Wettbewerb zu vergeben statt wie bisher über Änderungsverträge mit der IT-Gesellschaft. Des Weiteren mitzuteilen, ob es gelungen sei, einen festen Preis statt eines Budgets für den weiteren Ausbau der IT-Leitungsnetze zu vereinbaren, und zu erklären, welcher finanzieller Mehrbedarf bis zum Ende der Vertragslaufzeit zu erwarten ist, wenn alle erkennbaren Risiken eintreten (worst case).
Der letzte Satz des Schreibens lautet: „Der Bundesrechnungshof wird das Projekt Herkules weiter begleitend prüfen." Dies dürfte zu tiefergehenden Erkenntnissen führen als die Nutzerbefragung. Wer Dienstellenleiter der Bundeswehr nach ihrem Erstkontakt mit der freien IT-Wirtschaft befragt, nähert sich der Wahrheit eben nur von einer Seite an.