Aus Sicht von Microsoft stellt sich der Markt für Unternehmenssoftware wie eine Festung dar, gegen die man beharrlich, aber nicht wirklich erfolgreich anrennt. Auch mit dem „Dynamics“ genannten bunten ERP-Portfolio ist vom großen Schlag gegen SAP und Oracle nichts zu spüren. Das wundert den Experton-Analysten Rüdiger Spies nicht: „Microsoft ging von der falschen Annahme aus, man müsse nur ein paar ERPHersteller übernehmen und alles modularisiert auf die .NET-Plattform übertragen, den Rest würde der Markt schon richten.“ Während diese Strategie bei kleinen und mittleren Unternehmen durchaus funktioniert, zeigten Großunternehmen bisher wenig Interesse an den Microsoft-Angeboten. Statt weiter alles auf die Dynamics-Karte zu setzen, versuchen es die Redmonder nun mit einer Erweiterung ihrer wohlbekannten Bürosoftware, die voraussichtlich Ende 2006 unter dem Namen „Office System 2007“ Premiere feiern soll.
Tatsächlich hat die Desktop-Cashcow eine umfassende Überarbeitung erfahren: Neben einer neu gestalteten Benutzeroberfläche erweitern Server- und Schnittstellen das einstige Bürowerkzeug zu einer Infrastrukturplattform, mit der Geschäftsanwendungen integriert und neue Branchenlösungen entwickelt werden sollen. In Richtung Backend bildet dabei der erweiterte Sharepoint-Server 2007 die große Klammer – mit den Schwerpunkten Content Management, Workflow- und Prozessmanagement, Business Intelligence und Suche. Am Arbeitsplatz finden die Anwender zwar weiterhin Word, Excel, Outlook und Powerpoint vor, doch stellen diese Anwendungen nun auch einen Baukasten für Programmierer dar.
SAP und Oracle hinken hinterher
In der Kombination aus XML-Datenformaten sowie einer frei programmier- und konfigurierbaren Benutzeroberfläche ermöglicht Office 2007 individuelle Entwicklungen. Als neuen Terminus führt Microsoft dazu „Office Business Applikationen“ (OBA) ein. Als Hauptvorteil gegenüber der Konkurrenz preist Microsoft die vertraute und leicht zu bedienende Oberfläche. Office soll deshalb in Unternehmen auch als neue Benutzeroberfläche für Geschäftsanwendungen zum Einsatz kommen und Front-Ends wie Portale ablösen. Spiess bestätigt diese Stärke Microsofts: „SAP hat deren Ease-of-Use noch nicht erreicht, und Oracle ist weit weg davon.“
Kernstück der Office Business Applikationen ist der Business Data Catalog (BDC), ein Bestandteil des Sharepoint-Servers. Laut Forrester-Analyst John Rymer handelt es sich bei BDC um eine konsequente Fortsetzung des altbekannten EAI-Konzepts (Enterprise Application Integration), die im Kontext Service-orientierter Architekturen (SOA) zu einer weiteren Vereinfachung der Anwendungsintegration führen wird: „Das Problem von EAI ist, dass es mit sehr komplexer Programmierarbeit verbunden ist“, erläutert Rymer. „BDC hingegen bietet die Möglichkeit, Daten in Form allgemeingültiger Geschäftsbegriffe wie Rechnung, Bestellung oder Kunde zu definieren und in einer ERP-Umgebung den Benutzern und Programmierern zu Verfügung zu stellen.“
Während Microsoft den BDC für einfache Office-Integrationsszenarien vorsieht, ist unter der Bezeichnung „Line of Business Interoperability“ (Lobi) ein umfangreiches Entwicklungs-Framework für größere Integrationsprojekte auf Basis des Sharepoint Servers in der Pipeline. Lobi soll unter anderem die Programmlogik von der Benutzerschnittstellen-Programmierung entkoppeln. So bietet sich Lobi beispielsweise für eine Back-End-Anbindung an, deren Programmkomponenten wahlweise in den Oberflächen von Outlook, Word und Excel erscheinen oder aber in Web-Anwendungen auf Sharepoint-Portal-Basis integriert werden. Zu den wichtigsten Vorteilen von Lobi- gegenüber BDC-Anwendungen zählt die transaktionsorientierte Zugriffsmöglichkeit aus Office-Business-Applikationen auf Back-End-Datenquellen.
Das mittlerweile viel beachtete Microsoft-SAP-Integrationsprojekt Duet (ehemals „Mendocino“) stellt die
erste konkrete Lobi-Implementierung dar. Obwohl um Duet viel Marketing-Wirbel gemacht wird, bezweifelt Spies, ob es ein langfristiges strategisches Produkt bleiben kann. Denn beide Unternehmen verfolgen völlig unterschiedliche Ziele und stehen im sehr harten gegenseitigen Wettbewerb: „Microsoft beherrscht mit Office die Welt der unstrukturierten Unternehmensdaten und möchte mit Duet seine Fühler in die Welt der streng strukturierten Daten ausstrecken. SAP hingegen sieht in Duet die Chance, über das Vehikel Office neue Benutzerschichten im Unternehmen für die eigene Software zu gewinnen.“ Für beide gelte deshalb: Sobald das Ziel erreicht ist, gibt es keine Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit.
Nicht bereit für den großen Einsatz
Wie sich Office 2007 letztlich als Enterprise-Plattform schlagen wird, wagen weder Spies noch Rymer zu prognostizieren. Rymer sieht zunächst einmal technische Hürden auf Microsoft zukommen: „Derzeit befindet sich BDC bei Microsoft in der „First-Release-Phase“ und ist noch nicht bereit für den groß angelegten Einsatz. Kunden sollten auch Alternativen anderer Anbieter wie Above All Software für den groß angelegten Business-Data-Service in Betracht ziehen.“ Spies betrachtet es immerhin als Vorteil für Microsoft, auf diesem Gebiet nur gegen SAP und Oracle anrennen zu müssen und IBM nicht als Gegner zu haben. Andererseits gebe es ohnehin wenige alternative Wachstumspfade, und mit der wachsenden Open-Source-Konkurrenz seien die Geschäftschancen eines generischen Office-Produkts am schwinden. Er ist aber überzeugt, dass Microsoft auf diesem Gebiet einen langen Atem zeigen und nicht locker lassen wird.