Wer dieses Jahr über die Ausstellungshallen der conhIT in Berlin wandelte, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es der Branche insgesamt gut geht: Die jährlich statt findende Fachmesse für Healthcare-IT hatte dieses Mal etwa 4500 Besucher. Die Zahl der Aussteller ist mit 270 um zwölf Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Die Zahlen sprechen für sich, und die Veranstalter mussten nicht zu Tricks wie künstlicher Verkleinerung der Hallen durch Stellwände und Sitzgruppen greifen, wie es auf den kleineren Branchentreffs inzwischen zur Gewohnheit geworden ist. Dennoch waren einige große Player wie IBM oder HP nicht mit eigenen Ständen vertreten.
Dell präsentierte sich zusammen mit drei Partnern nur auf einem Ministand. Seit der Übernahme des Dienstleisters Perot Systems, der sich auf das Gesundheitswesen spezialisiert hatte, drängt Dell verstärkt in den deutschen Healthcare-IT-Markt. Oracle stellte lediglich zusammen mit dem Partner Concat auf dessen Stand einige E-Health-Anwendungen für Krankenhäuser vor.
Identitätskarte mit Single Sign-on
Sie sollen die Ärzte und Pfleger von umständlichen Anmeldeprozeduren an den Computern auf verschiedenen Krankenhausstationen entlasten: Dies geschieht mit einer Identitätskarte (zum Beispiel einer Signaturkarte oder dem künftigen elektronischen Heilberufeausweis, eHBA), mit der man sich nur einmalig im System anmeldet (Single Sign-on).
Man kann dann jederzeit an einem anderen Arbeitsplatz weiter arbeiten, ohne die Session (wie Diagnose oder Dokumentation) vorher speichern oder schließen und wieder öffnen zu müssen. Mit der Signaturkarte kann der Arzt auch die Arztumlaufmappe (MIACS) sowie Arztbriefe, Befunde oder Patientenakten signieren, wobei laut Concat-Spezialist Michael Brockt wichtige Datenschutzanforderungen erfüllt werden. Allerdings müssen die Krankenhäuser für diese Lösung die Thin-Client-Lösung "Sun Ray" installieren, die Oracle mit dem Kauf von Sun Microsystems übernommen hatte – eine nicht gerade billige Installation.
Bring Your Own Device im Krankenhaus
Das Thema Desktop-Virtualisierung oder VDI erhält auch Auftrieb durch neue Datenschutzanforderungen, die letztes Jahr auf einer bundesweiten Konferenz der Datenschützer beschlossen wurden und bereits Rechtsstatus besitzen. Mit der Umsetzung der in der "Orientierungshilfe Krankenhausinformationssysteme" beschriebenen Maßnahmen wird es aber wohl noch etwas dauern. Das liegt zum einen an der Tatsache, dass der Datenschutz in Deutschland Sache der 16 Bundesländer ist und es wohl unterschiedliche Ausführungsbestimmungen geben wird. Zum anderen sind die Software-Lieferanten noch nicht sehr weit mit den Umsetzungsarbeiten bei ihren Systemen.
Wie Helmut Schlegel, Leiter des IT-Verbund Klinikum Nürnberg und Vorstandsmitglied der IT-Leiter-Organisation KH-IT, auf der conhIT erläuterte, mangelt es außerdem an der Unterstützung der Ärzte, die eine zusätzliche Belastung durch neue Anmeldeformalitäten und den Ausbau der Patientenrechte befürchteten. Schlegel verwies darauf, dass sich bisher noch keine der ärztlichen Vertretungsgruppen überhaupt zu einer Stellungnahme zu den beschlossenen neuen Datenschutzregelungen durchringen konnte. Dabei seien gerade die Ärzte am meisten davon betroffen.
Weitere Themen auf dem Berliner Branchentreff, auf dem wie immer informelle Kontakte und Networking eine große Rolle spielten, waren Datenkonsolidierung auf virtualisierten Speichergeräten und in Storage Area Networks (SANs) sowie die IT-Mobility in den Krankenhäusern.
iPads und Smartphones sind Business-tauglich
Wie Stefan Walther, CIO und Dezernent IKT am Universitätsklinikum Düsseldorf, berichtete, sei man schon jetzt damit konfrontiert, dass Ärzte und Pfleger ihre eigenen mobilen Geräte wie Tablets oder Smartphones mit an den Arbeitsplatz brächten. Die Bildqualität von iPads und anderen Tablets sei heute der Darstellung an klassischen PCs deutlich überlegen, was sie geradezu für einen Einsatz bei Röntgen- oder anderen Bildsystemen prädestiniere.
Technisch sei es auch kein Problem, erläuterte Bernhard Thibaut von SAP, solche Geräte für Applikationen im Umfeld von ERP und Datenbanken einzusetzen und für gesicherte Zugangsmodalitäten zu sorgen. Allerdings hapere es noch an der Anpassung der Prozesse und Abläufe in den Krankenhäusern an die neuen technischen Möglichkeiten.
Was wird aus der elektronischen Gesundheitskarte (eGK)?
Für die Krankenhäuser stellt sich auch die Frage, wie viel Geld sie in neue schicke Tablets investieren können, ohne andere Bereiche zu vernachlässigen. BYOD – Bring Your Own Device – wäre ein Ausweg aus dieser Situation, allerdings werden die Mitarbeiter dann Abstriche an ihrer privaten Verfügungshoheit und wohl auch an ihrer Privacy machen müssen.
Für Gesprächsstoff sorgte ferner die neue Phase, in der sich die elektronische Gesundheitskarte (eGK) befindet. Branchenvertreter sehen hier Raum für Investitionen in Krankenhäusern, Krankenkassen und bei niedergelassenen Ärzten, da die Einführung der erforderlichen Telematik-Infrastruktur nicht ohne Lesegeräte oder neue Karten zu machen ist. Wer auf der Herstellerseite einen langen Atem bewiesen hat, kann sich jetzt vielleicht endlich in die Gewinnzone vorarbeiten und bisherige Verluste kompensieren. Auf der Strecke geblieben sind schon Connector-Produzenten wie ICW, der verkauft wurde, oder Siemens, wo man sich von diesem Geschäftsbereich wieder getrennt hat.
Von verschiedenen Seiten wurden in Berlin neue Zweifel an der endgültigen Durchsetzung der bereits abgespeckten eGK geäußert. Manche Beobachter sehen den Zeitplan für die Realisierung der Karte schon jetzt als unrealistisch an. In dieser Richtung äußerte sich zum Beispiel Martin Staemmler, Professor für Angewandte Informatik und für Medizininformatik an der Fachhochschule Stralsund: Die neue Karte enthalte wesentliche Verbesserungen, aber der zeitliche Ablauf stehe etwas in den Sternen.