Im Jahr 1880 war die digitale Transformation und die vierte industrielle Revolution, die sie begleiten würde, kaum vorstellbar. Die Zeitgenossen steckten gerade in der zweiten großen Welle der Industrialisierung und den Anfängen der Arbeiterbewegung. Als das Unternehmen Carl Stahl Hebetechnik 1880 als kleine Seilerei mit Spezialisierung auf Landwirtschaftsbedarf im schwäbischen Süßen gegründet wurde, meldete Thomas Edison seine Glühbirne in den USA zum Patent an.
Dass das besagte Familienunternehmen, das inzwischen an 70 Standorten auf vier Kontinenten über 1.800 Mitarbeiter:innen beschäftigt, bis heute erfolgreich ist, zeugt von großer Anpassungsfähigkeit hinsichtlich sich schnell ändernder wirtschaftlicher Anforderungen. Um auch im digitalen Zeitalter auf Veränderungen vorbereitet zu sein, hat Carl Stahl Hebetechnik bereits 2013 damit begonnen, die Produktprüfung zu digtialisieren und diese ersten Maßnahmen 2016 um eine digitale Plattformstrategie ergänzt. Mit seiner digitalen "Integrated-Supply-Chain-Services"-Plattform ist das Unternehmen nicht nur Bewerber des DIGITAL LEADER AWARD 2020, sondern auch unter den Finalisten des Wettbewerbs in der Kategorie "PROJECT".
Von Stift und Zettel zu Apps und Services
Als Hersteller von Kranen, Hebezeugen und Lastaufnahmemitteln versteht sich Carl Stahl für seine Industriekunden rund um den Globus auch als Know-how-Träger für den Einsatz seiner Produkte und der begleitenden Betriebssicherheit. So bedient das Unternehmen beispielsweise nicht nur den One-Stop-Shop eines Kranes, sondern liefert seinen Kund:innen zugleich auch Schulung, Betriebsmittelprüfung und Reparaturen aus einer Hand. Alle diese Komponenten und Prozesse vereint Carl Stahl auf seiner 2016 gestarteten und iterativ weiterentwickelten digitalen Plattform.
Im fünfköpfigen Projektteam und mit Support der Geschäftsleitung gestarteten Plattform-Projekt legte das Familienunternehmen den Grundstein für künftiges Geschäft und vollzog auch eine steile Lernkurve. Da zu Beginn der Plattform-Aktivitäten noch kaum eigenes Developer-Know-how vorhanden war, wurden externe Partner an Bord geholt. Als sich abzeichnete, dass dieses Szenario weder monetär noch technologisch zum Ziel führen werde, entschied man sich für einen anderen Weg. Carl Stahl beteiligte sich am Startup "juicecommerce", das seither ein Microservices-Framework als technologische Basis der Plattform entwickelt und so auch die gängigen Services der bekannten Hyperscaler integrierbar macht.
Neue Potentiale heben
Die Learnings aus diesem Projekt und dessen Ergebnisse zahlen auch auf die vielleicht größte Herausforderung eines global wie dezentral aufgestellten Familienunternehmens ein: den begleitenden kulturellen Wandel in einer tradierten Organisation und das Entzünden eines digitalen Mindset bei den Mitarbeiter:innen. Dafür schuf das Unternehmen parallel zu seiner Plattform-Strategie eine "Ideenwerkstatt", die als Begegnungsraum den Mitarbeiter:innen die digitale Strategie näher bringen sollte. Alle Maßnehmen wurden mit intensiver interner Kommunikation begleitet.
Die neue digitale Supply-Chain-Services-Plattform, die der Hebetechnik-Spezialist Carl Stahl an den Start gebracht hat, markiert damit nicht nur den Beginn eines digitalen und kulturellen Wandels beim schwäbischen Mittelständler, sondern eröffnete zugleich vollkommen neue, digitale Geschäftsmodelle.
Durch die Integration der Plattform in die Prozesse der Kunden bei der Betriebsmittelprüfung stellt sich Carl Stahl einerseits kundenzentrisch auf und bietet andererseits praktische Mehrwerte: War das Unternehmen zuvor primär Prüfunternehmen, können Kunden über die Plattform und die integrierte Prüffunktionalität nun direkt in die Nachbeschaffung einsteigen. Die begleitende Prozessautomatisierung in der Nachbeschaffung sorgt auf Seiten Carl Stahls für automatisierte Auftragserstellung im ERP und Zeitersparnisse durch wegfallende manuelle Eingaben.
Zudem erreicht Carl Stahl hier Produktverkäufe, die zuvor möglicherweise bei Wettbewerbern aufgelaufen wären. Und weil in Zeiten des digitalen Wandels auch Mitbewerber potentielle Kunden und Erlösquellen sein können, wird die Plattform künftig neben den eigenen Kunden auch nach dem "Pay-per-use"-Modell dem Wettbewerb angeboten. In Corona-Zeiten erwies die Plattform einen weiteren, großen Vorteil: die Prüfung von Betriebsmitteln musste nicht durch externe Techniker erfolgen. Damit hebt das Unternehmen mit seinen Kränen nicht nur die Produktionsmittel seiner Kunden, sondern auch die Umsatz- und Kundenpotentiale von morgen.