"Vergessen Sie im Grunde alles, was bisher war." Mit diesem Satz beginnt der Inhouse-Berater Jürgen Mehring gerne seine Erläuterungen zum neuen Sprachportal der auf das Privatkundengeschäft spezialisierten Sparda-Bank in Hamburg. Sämtliche Anrufe in der hanseatischen Zentrale sollen nämlich ab Januar 2004 von einer "Charming Voice" entgegengenommen werden. Michaela Mey, deren Name von EC-Musterkarten stammt, bekommt erstmals eine Stimme. Sie sagt Kunden schon heute den Weg zum nächstgelegenen Geldautomaten oder den aktuellen Kontostand und erledigt seit Mai 2003 auch Überweisungen. Ab Januar 2004 soll sie Anrufer zum zuständigen Gesprächspartner der Bank durchstellen und sogar, wenn der Telefonanschluss dort besetzt ist, zu dessen Vertreter weiterleiten. "Ist zum Beispiel Herr Mehring nicht da, weiß Frau Mey das durch unsere vernetzten Kalender und schaltet gleich zu einem meiner Kollegen", sagt Berater Mehring.
Verstehen ohne Schlüsselworte und Menü
Etwa 500 000 Euro koste ein solches System im Markt, so Mehring. Ein Drittel fällt für die Hard- und Software an, zwei Drittel für Beratungs- und Entwicklungsarbeit. Es ist für bis zu 50 000 Anrufer pro Monat ausgelegt und kann 30 Anrufer gleichzeitig bedienen. Seit November 2002 ist die Plattform "Semantic Voice" der Berliner Firma Semantic Edge bei der Sparda-Bank Hamburg für 16 Filialen im Einsatz. "Die Software greift auf eine Synonyme-Datenbank zu und kann deshalb sogar Dialoge führen", sagt Mehring, der die alten Voice-Systeme noch nicht vergessen hat. "Die hatten die Stimme der damaligen Lottofee Karin Tietze-Ludwig, waren aber menügesteuert und verstanden Sprache nur dann, wenn bestimmte, vorher eingegebene Schlüsselworte fielen." Die Anrufer mussten sich umständlich durch die Menüs kämpfen, die über die Tastatur gesteuert wurden. Gerade einmal 1500 Mehrmalnutzer registrierte die Sparda-Datenbank damals. Dagegen nutzten in nur elf Monaten schon 3500 Kunden die neue Plattform mehrfach.
Auf der Cebit 2002 sichtete Mehring Systeme, von denen die Anbieter versprachen, dass sie Sprache verstehen können. "Dazu gehörten unter anderem Siemens, IBM und Clarity ", sagt der Banker. Nach einem Proof of Concept blieben nur Clarity und Semantic Edge übrig. Für die Auswahl hatte Mehring den IT-Dienstleister T-Systems engagiert hatte. "Sie haben für uns Kriterien wie Flexibilität, Intelligenz und Kundenwert geprüft."
Entwicklung dauerte länger als geplant
Bei einem erneuten Anruf soll Frau Mey ab Mitte 2004 den Anrufer sogar mittels "Voice-Print" erkennen. "Das ist eine Art Stimm-DNA des Anrufers", sagt Mehring. Die Sprechfrequenzen jedes Menschen sind unverwechselbar. Das macht es "Frau Mey" einfacher: Sie soll den einmal registrierten Anrufer schon nach Bruchteilen von Sekunden erkennen, ohne dass er sich vorgestellt hat.
Wesentlicher Vorteil des neuen Sprachsystems: "Von der Annahme ausgehend, dass bei 300 Angestellten und 2500 Anrufen pro Tag ohne Sprachcomputer etwa 30 Angestellte ans Telefon gebunden sind, könnten hier allein im Personalbereich theoretisch 900000 Euro eingespart werden", schreibt Mehring im kürzlich gemeinsam mit dem Sparda-Vorstandsvorsitzenden und Ideengeber Heinz Wings in "gi-Geldinstitute veröffentlichen Fachtext "Telefon-Banking in der dritten Dimension".
Die Call-Center-Agents müssen laut Sparda-Bank nicht um ihre Arbeit bangen: Sparda-Frau Mey übernimmt einfache Services, die diese zuvor erledigt haben. "Das heißt, dass sich die Aufgaben der Agents verändern werden", sagt Sparda-Beraterin Carolin Schulte. "Schon jetzt ist nur noch ein Call-Center für den First-Level-Support im Einsatz. Die Call-Center sollen mehr beraten und werden die Kunden künftig öfter selbst anrufen."
Übrigens: Flirt-Versuche bei "Charming Voice" Mey blockt der Sprachdienst mit nüchternen und maschinell gestellten Fragen sofort ab. Denn je mehr der Kunde in bankfremde Bereiche vordringt, umso weniger kann Michaela Mey damit anfangen.