Mit dem Bau einer eigenen Raumstation beginnt China das bisher größte Vorhaben seines ehrgeizigen Weltraumprogramms. In den nächsten Wochen sind dafür drei Raumflüge vorgesehen. Zuerst soll das Kernmodul "Tianhe" (Himmlische Harmonie) an Bord einer Rakete vom Typ "Langer Marsch 5B" vom Raumfahrtbahnhof Wenchang auf der Insel Hainan in Südchina ins Weltall gebracht werden. US-Experten rechnen am nächsten Donnerstag mit dem Start, doch ist der Termin offiziell noch unbestätigt. "Um 2022 herum" soll die Raumstation fertig sein.
Wenn die veraltete internationale Raumstation ISS in den kommenden Jahren ihren Dienst einstellen wird, wäre China danach die einzige Nation, die einen Außenposten im All betreibt. "Tianhe" ist 16,6 Meter lang mit einen Durchmesser von 4,2 Metern. Das Kernmodul sorgt für Strom und Antrieb, bietet Unterkünfte für drei Astronauten, die bis zu sechs Monate an Bord bleiben können. Zwei weitere Teile für wissenschaftliche Experimente werden t-förmig angebaut.
Unterschied zur ISS ist, dass sonst keiner mitmacht
"Der wesentliche Unterschied zur ISS ist, dass sonst keiner mitmacht", sagte der frühere deutsche Astronaut Reinhold Ewald, heute Professor an der Universität Stuttgart. Weder beim Bau noch beim Betrieb sind andere Länder dabei. Zumindest bei den geplanten wissenschaftlichen Experimenten ist eines Tages eine internationale Kooperation unter anderen mit Deutschland vorgesehen - mit dem Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching.
Mit rund 90 Tonnen wird Chinas Raumstation, die nach der Fertigstellung Tiangong (Himmelspalast) heißen soll, deutlich kleiner als die 240 Tonnen schwere ISS. Zwar wurde die ISS schon als zu groß kritisiert, doch bietet Größe auch Sicherheit in Notfällen, wie Ewald schildert. Er war 1997 an Bord der russischen Station Mir und hat später federführend die Flüge europäischer Kollegen zur ISS vom Boden aus unterstützt.
"Auf der ISS wird es nicht gleich bedrohlich, sondern man kann einen Teil abtrennen und in Ruhe schauen, wie man Herr der Lage wird" sagte Ewald. "Das System ist stabiler durch die Größe. Es gibt mehr Redundanz, mehr Systeme, die füreinander eintreten können." Auch gebe es mehr Raum und Möglichkeiten für komplexe Forschungsvorhaben und die Unterbringung von weiteren Astronauten.
Elf Flüge geplant
Kurz nach dem Start des chinesischen Kernmoduls könnte im Mai das Cargo-Raumschiff "Tianzhou 2" mit Treibstoff und Versorgungsgütern folgen. Auch bereiten sich drei Astronauten vor, an Bord von "Shenzhou 12" möglicherweise im Juni zu "Tianhe" zu fliegen. Die Bauphase erfordert einen dichten Flugplan: Insgesamt sind elf Flüge geplant - drei Flüge mit Modulen, vier Frachtmissionen und vier bemannte Raumflüge, wie das chinesische Raumfahrtprogramm mitteilte.
Mit seinen beiden vorherigen Raumlaboren Tiangong 1 und Tiangong 2 hat sich die junge Raumfahrtnation an das komplexe Vorhaben herangearbeitet. Es wurden Rendezvous und Auftankmanöver sowie Weltraumspaziergänge geübt. Eigentlich sollte der Bau der Raumstation schon früher starten, aber Probleme mit der nötigen neuen Trägerrakete sorgten für Verzögerungen. Die Bauphase wurde dafür jetzt verdichtet, um wie ursprünglich geplant 2022 fertig zu werden.
"Wir werden an mehreren Fronten gleichzeitig kämpfen", sagte Zhou Jianping, Chefdesigner des bemannten Raumfahrtprogramms (CMS) laut Staatsfernsehen. Drei Raketenprojekte werden an zwei Raumfahrtbahnhöfen gleichzeitig verfolgt. "Wir werden echt beschäftigt sein - und was noch wichtiger ist: Wir müssen Erfolg, Qualität, Sicherheit und Verlässlichkeit wahren."
Es werde eine große Herausforderung, so der australische Experte Morris Jones. "Eine Raumstation muss in der Lage sein, menschliches Leben über längere Zeit zu unterstützen. Das erfordert hoch verlässliche Systeme." Auf Betreiben der USA war China von dem Gemeinschaftsprojekt der ISS mit den Russen und Europäern ausgeschlossen worden. "Wenn sie Zugang zu einer Raumstation haben wollen, müssen sie schon selber eine bauen", sagte Jones.
Grundlage für weitere Raumfahrtmissionen
Bei einer Station gehe es nicht nur um Forschung in Schwerelosigkeit, unter Strahlung oder im Vakuum, sondern auch um Erkenntnisse mit Systemen, die für weitere Raumfahrtmissionen wie etwa zum Mond oder Mars wichtig sind. "Wir verstehen besser, wie sich das Weltall auf die Menschen auswirkt und wie die Technik zu entwickeln ist, um sie dort zu halten", sagte Jones. Es gibt auch politische Motive: "Chinas Raumfahrtprogramm ist eine Quelle für Nationalstolz, aber es hilft auch, international Softpower zu projizieren."
Während Russland und die USA diskutieren, was mit der ISS geschehen soll, denken beide an eigene, neue Außenposten im All. Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos hätte gerne 2030 eine eigene Station in einer Erdumlaufbahn, während die Nasa den Mond im Blick hat. Die Gateway (Tor) genannte US-Station soll den Erdtrabanten umrunden und Unterstützung für eine "langfristige Rückkehr von Menschen auf die Oberfläche des Mondes" sowie eine Basis für die Erkundung des tieferen Weltraums bieten. Frühestens 2024 könnten erste Komponenten ins All gebracht werden, heißt es von der Nasa. (dpa/ad)