Diagnose, Therapie, Rezept: Was danach passiert, bleibt häufig im Dunkeln oder hängt vom subjektiven, nicht immer zuverlässigen Verhalten des Patienten ab. In den USA hat die Arzneimittelzulassungsbehörde FDA jetzt die Erlaubnis für die Anwendung eines Mikrochips gegeben, der mit der Pille in den Magen des Patienten wandert und von dort Signale nach außen sendet. Man verspricht sich davon eine effektivere Kontrolle des Einnahmeverhaltens der Patienten.
Hersteller "Proteus Digital Health“ spricht von einer "neuartigen Strategie zur Verbesserung der Compliance“: Wenn Arzneimittel künftig mit einem Mikrochip versehen werden, könne der behandelnde Arzt oder eine andere Person per SMS informiert werden, sobald das Arzneimittel eingenommen wurde. In Europa hat Proteus zusammen mit der britischen Apothekenkette LloydsPharmacy bereits zu Anfang des Jahres erste Anwendungen auf den Markt gebracht. Von der FDA-Anerkennung wird ein positiver Effekt für weitere Märkte erwartet.
Magenflüssigkeit aktiviert den Sensor in der Tablette
Die Funktionsweise der Technologie sieht wie folgt aus: Sobald der in ein Arzneimittel integrierte Sensor im Magen angekommen ist, soll er durch den Kontakt mit der Magenflüssigkeit aktiviert werden und anschließend Signale übermitteln. Diese informieren über die Intensität und den genauen Zeitpunkt der Einnahme. Über das Körpergewebe des Anwenders sollen die Informationen dann an ein auf der Haut angebrachtes Pflaster inklusive Batterie weitergeleitet und von dort an ein Handy übermittelt werden. Das Pflaster muss alle sieben Tage ersetzt werden.
Die im Handy installierte medizinische App sendet die Informationen als SMS weiter an den Arzt, eine Pflegekraft oder eine andere Person. Der Patient muss vorher seine Zustimmung zu diesem Prozess gegeben haben. Laut Proteus Digital Health bekommt das medizinische Personal so eine zusätzliche, datengestützte Hilfestellung. Die Überwachung der Medikamenteneinnahme gilt als Problembereich in der Medizin, da sich viele Patienten nicht an die Vorgaben halten.
Über das Hautpflaster lassen sich weitere physiologische Informationen wie zum Beispiel über Herzfrequenz oder Körpertemperatur erfassen und weiterleiten. Das gesamte System aus Smart Pill, Pflaster und Smartphone wurde in verschiedenen medizinischen Anwendungsfällen getestet, darunter Tuberkulose, Herzversagen und Diabetes. Proteus-Produkte wurden unter dem früheren Namen "Raisin System“ vier Jahre lang von der FDA getestet.
Millionen fließen in die Entwicklung von Smart Pills
Eric Topol, Professor für Genforschung am Scripps Research Institute, einer medizinischen Forschungseinrichtung mit Schwerpunkt Biomedizin, und Autor des Buches "The Creative Destruction of Medicine: How the Digital Revolution Will Create Better Healthcare“, gibt sich zuversichtlich: "Die FDA-Zulassung markiert einen größeren Meilenstein in der digitalen Medizin. Tabletten mit Sensoren könnten sich zusammen mit der bestehenden drahtlosen Infrastruktur zu einem neuen Standard zur Beeinflussung der Arzneimitteleinnahme erweisen, insbesondere bei chronischen Krankheiten.“
"Proteus Digital Health“ ist ein amerikanisches Start-up, in das über mehrere Jahre hinweg viele Millionen Dollars gepumpt wurden. So investierte Novartis 24 Millionen Dollar, und Anfang 2012 kamen von Venture Capitalists weitere 17,5 Millionen. Zu den Investoren gehören außerdem die Carlyle Group, Essex Woodlands, Kaiser Permanente und Medtronic.
Allein in den USA geht man von etwa 50 Prozent falsch verschriebenen Medikamenten aus. Dies könnte ein weiterer Markt für Smart-Pill-Systeme sein. Ungeklärt ist aber bisher, wie persönliche Eigenschaften und Befindlichkeiten der Patienten erfasst werden können. Außerdem ist offen, wie man eventuelle Nebenwirkungen der „Smart Pills“ digital kontrollieren kann.
In dem US-Magazin "Nature“ wird darauf hingewiesen, dass einnehmbare Sensoren eine lange Geschichte haben (siehe den Artikel "Say hello to intelligent pills“). Die Raumfahrtbehörde NASA entwickelte schon in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts Thermometer zum Einnehmen, um die Temperaturwerte von Astronauten zu messen. Später kam dies im Sport zur Anwendung. Ähnlich funktionieren auch verschluckbare kleine Kameras in Tablettenform, die die Verdauungsorgane von innen fotografieren.
Jonathan Cooper, Spezialist für Biomedizin an der Universität Glasgow (Schottland), weist darauf hin, dass sich inzwischen viele Unternehmen auf solche Pillenprojekte gestürzt haben: "Doch wenn man Sensorfunktionen in Tabletten integriert, steigt der Energiebedarf und deshalb fallen sie größer aus.“ Große Pillen sind schwieriger zu verschlucken, was viele Patienten von einer Einnahme abhält. Außerdem kann es zu Verdauungsproblemen kommen.
Externe Sensoren werden womöglich stärker akzeptiert
Cooper hält solche neuen Techniken und Ideen für "potentiell sehr vielversprechend“. Es gäbe allerdings auch konkurrierende Anwendungen für internes Monitoring in der Medizin. Extern am Körper angebrachte Sensoren könnten die gleichen Aufgaben übernehmen. Und sie würden eher von vielen Patienten akzeptiert werden, die "Smart Pills“ nur für unheimliche Science-Fiction-Experimente halten.