Was bedeutet für Sie der Begriff Industrie 4.0?
Eckart Pech: Unter Industrie 4.0 verstehen wir die voranschreitende Vernetzung, die die Fertigungsindustrie nachhaltig verändern wird. In der Vergangenheit hat man Maschinen, Produkte, Services und Technologien einzelner Industrien gesondert betrachtet. Heute kommt es darauf an, die unterschiedlichen Komponenten sinnvoll und intelligent miteinander zu vernetzen, um zusätzliche Effizienzpotenziale zu erschließen.
Lutz Tilker: Fertigungsabläufe müssen künftig transparent sein, um so eine individualisierte Produktion via entsprechender IT-Architekturen und -Plattformen steuern zu können. Der CIO wird noch intensiver die Prozessabläufe des Unternehmens kennen müssen, um diese bestmöglich zu gewährleisten. Ich behaupte, dass künftig IT Teil des Produktes wird, und somit der CIO entscheidend am Produktionsprozess und späteren Produkt beteiligt ist. Kunden werden bereits während der Produktentstehung in den Herstellungsprozess eingreifen, indem sie ihre Vorstellungen via IT-Tools dem Unternehmen übermitteln und sie diese dann in das Produkt integrieren können - so wie das heute bei der Online-Auto-Konfiguration möglich ist.
Mit welchen Herausforderungen müssen Unternehmen und CIOs beim Thema Industrie 4.0 rechnen?
Eckart Pech: Aus der lokalen ist längst eine globale Betrachtung geworden. Stetig steigender internationaler Wettbewerbsdruck und der weltweit zunehmende Grad der Automatisierung zwingen Unternehmen, schneller und flexibler auf immer komplexere Herausforderungen zu reagieren. Gleichzeitig bieten eine enge Vernetzung sowie die schnellere und umfangreichere Informationsverfügbarkeit große Chancen. Wer diese Veränderungen positiv zu nutzen weiß, erschließt sich neue Geschäftsmöglichkeiten.
Lutz Tilker: Die Tragweite dieser Veränderungen zu erkennen ist heute die Aufgabe eines jeden Unternehmensführers - basierend auf einer engen Zusammenarbeit mit einem strategisch denkenden und über breites Geschäftswissen verfügenden CIO.
Wie muss das Profil des CIOs im Zeitalter von Industrie 4.0 aussehen?
Lutz Tilker: Da Industrie 4.0 eine Vernetzung aller Einheiten des Unternehmens bedeutet, wird vom künftigen CIO ein vernetztes Denken über alle Unternehmenseinheiten hinweg erwartet. Folglich muss er genau wie der CEO sämtliche Geschäftsbereiche inklusive ihres Zusammenspiels kennen, deren interne sowie externe Schnittstellen und Abhängigkeiten verstehen und vor allem auch mit seiner IT-Strategie bis in die Fertigungsprozesse hinein dringen.
Zudem wird die IT-Sicherheit immens an Bedeutung gewinnen. Durch die starke Vernetzung von Produktionsanlagen, zentralen Systemen, Kunden- und anderen externen Schnittstellen sind neue Anforderungen an das Sicherheits-Management und damit auch an den CIO gestellt. Diese Balance, die IT-Sicherheit zum einen sowie die Ausnutzung der Möglichkeiten in der Industrie 4.0 - in der zahlreiche "händische" Prozesse künftig IT-getrieben erledigt werden - zum anderen zu gewährleisten, erfordert einen Typus CIO, der situative Risiken abwägen und im Sinne der Geschäftsstrategie entscheiden kann; also optimale Technologie-Ausnutzung bei optimaler Sicherheit und nicht maximaler Technologie-Einsatz mit Sicherheitsrisiken. Technikkompetenz und -Affinität sollten also immer stärker mit strategischem Geschäfts-Know-how gepaart sein.
Eckart Pech: Ging es früher beim Thema Sicherheit vor allem um reine IT-Sicherheit, geht es heute zusätzlich auch um Datensicherheit. Nehmen wir den Telekommunikationsmarkt. Durch die zunehmende Digitalisierung, sich änderndes Kundenverhalten oder den Smartphone-Boom müssen immer mehr Daten sehr schnell an jedem Ort und rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Nur wer transparent und vertrauensvoll mit den Daten seiner Kunden umgeht, wird mit seinen Produkten und Services erfolgreich sein.
Mehr Aufgaben für den CIO der Zukunft
Wie beeinflusst die Digitalisierung die Rolle des CIOs?
Lutz Tilker: Die Digitalisierung sowie das Internet der Dinge bedeuten für den CIO, dass er bei der Entwicklung seiner IT-Strategie und IT-Infrastruktur mehr und mehr die Verknüpfung der realen Welt mit der virtuellen Welt berücksichtigen muss und sich in beiden Welten „heimisch“ fühlen sollte. Nur so ist er in der Lage, seinem Unternehmen zeitgemäße und zukunftsorientierte IT-Strukturen zu geben.
Das heißt im besten Falle, dass er die IT immer auch im gesellschaftlichen Kontext zu sehen hat, denn daraus lässt sich künftiges Kundenverhalten ableiten, was wiederum Einfluss auf eine der wichtigsten externen Schnittstellen hat. Die IT der Zukunft erfordert ein stark erweitertes Profil und Selbstverständnis des CIO und der mittleren Führungskräfte. Aufgrund der geschäftsstrategisch bedeutsamen Rolle der künftigen IT wird um die Führungskräfte und Mitarbeiter aus der Generation Digital Natives ein intensiver Wettbewerb entstehen.
Unternehmen werden nur dann den CIO der Zukunft sowie das dazugehörige Team bei den Digital Natives finden, wenn sie sich bewusst mit den Marktveränderungen auseinander setzen und ein für die Generation Digital Natives attraktives Jobimage aufbauen, sich also als Unternehmen schnellstens auf die Digitalisierung und das Internet der Dinge einstellen.
Eckart Pech: Wir dürfen bei unseren Zukunftsszenarien nicht vergessen, dass die Zyklen der Entwicklungsphasen immer kürzer werden, das zeigt uns die Entwicklung der industriellen Revolution. Von der ersten zur zweiten Revolutionsphase vergingen noch mehr als 100 Jahre. Der Entwicklungsschritt von der dritten zur vierten Revolution benötigte nur noch 20 Jahre. Es ist davon auszugehen, dass sich die Zeiträume weiter verkürzen.
Dr. Eckart Pech ...
... ist seit Mai 2011 Managing Director Service Technology bei Telefónica Germany GmbH & Co. OHG. Zuvor verantwortete er die Bereiche Planning & Transformation sowie Technology Development. Seine Karriere begann er als Unternehmensberater bei der zum Daimler Konzern gehörenden Technologieberatung Diebold und war als Partner für die Bereiche Mobile und Online verantwortlich. Anschließend war Eckart Pech als CEO bei der zum Telekomkonzern gehörenden Beratungstochter Detecon, Inc., in den USA tätig.
Lutz Tilker ...
... ist seit Oktober 2013 Partner beim internationalen Executive-Search-Unternehmen Eric Salmon & Partners mit Sitz in Frankfurt und verantwortet vor allem den Sektor IT, Telekommunikation und Hightech. Darüber hinaus ist er für das alle Branchen übergreifende Thema Führungskräfte für IT- und Digitalisierungsaufgaben verantwortlich. Zuletzt war Lutz Tilker bei Spencer Stuart mehr als 10 Jahre tätig und verfügt insgesamt über 20 Jahre Erfahrung im Executive Search.