BSH spart beim SAP-Betrieb 793 Tonnen CO2

CIO fordert "Green-Label" für IT-Produkte

25.06.2009 von Hartmut  Wiehr
BSH-CIO Jürgen Sturm hat sein Rechenzentrum grün ausgerichtet und spart jährlich 793 Tonnen CO2 allein beim Betreiben der SAP-Plattform. Noch einfacher hätte er sparen können, wenn es ein "Green Label" für IT-Produkte gäbe. Das sollten die Hersteller eigentlich hinkriegen, fordert Sturm.
Jürgen Sturm, CIO Bosch und Siemens Hausgeräte: "Wichtig ist mir das klare Signal, dass durch gezielte Investitionen signifikante Verbesserungen auch tatsächlich in Zahlen, Daten, Fakten messbar und erreichbar sind. Es gibt ja durchaus Skeptiker, die zum Thema Nachhaltigkeit im Data Center sagen, dies sei nur ein Hype."

Umweltschutz und grüne Themen sind zumindest in Deutschland etabliert. Schleswig-Holsteiner erzeugen mehr als 30 Prozent ihres Stroms mit Wind, schwäbische Häuslebauer dämmen bis zum Hitzestau, und im Münchener Supermarkt greifen nicht nur Freaks ins Bio-Regal. Öko ist irgendwie im Alltag angekommen. Die dazugehörigen Labels und Qualitätsauszeichnungen sind meistens aussagekräftig.

Nicht so in der Informationstechnologie. "Green IT" ist zu einem Schlagwort verkommen, weil Vergleichsmaßstäbe fehlen. Klar, alle Hersteller rühmen sich mit irgendwelchen Tests, nach denen sie mit ihren Produkten bei Leistung oder Energieverbrauch Spitzenwerte einfahren - im Kleingedruckten steht dann, dass sie selbst zu diesen Testergebnissen gekommen sind. Wer wirklich Bescheid wissen will, muss alles in der täglichen Praxis bei sich selbst austesten.

"Passivität der Hersteller untragbar"

Jürgen Sturm, CIO von Bosch und Siemens Hausgeräte (BSH), spricht sich deshalb für mehr Druck auf die Hersteller aus. Er hat von der Passivität der Hersteller genug: "Es ist untragbar, dass wir in verschiedenen Branchen schon seit Jahren aussagekräftige Energie-Labels haben, aber nicht in der Informations- und Kommunikationsbranche. Dass wir es ausgerechnet in dieser hoch innovativen Industrie nicht hinbekommen, will mir nicht in den Kopf. Wir brauchen hier mehr öffentlichen Druck - von den professionellen IT-Anwendern und den Herstellern, aber auch von den Konsumenten, von der Politik und von der Wissenschaft. Wir sind alle gefordert, hier künftig mehr zu tun."

Sturm insistiert hier so nachdrücklich, weil er die BSH in Sachen "Green" ganze vorne wähnt. Die BSH kann für sich tatsächlich in Anspruch nehmen, in der eigenen Branche der "Weißen Ware" Energie-Standards und -Labels mit geschaffen zu haben. Gab es doch in dieser Frage in dem grün besetzten politischen Klima der 80er- und 90er-Jahre jenen öffentlichen Druck auf die Hersteller, endlich energiesparende Kühlschränke oder Waschmaschinen auf den Markt zu bringen, der bis heute bei der IT nicht angekommen ist.

Deutscher Nachhaltigkeitspreis 2008

Andreas Schleusener, Analyst bei Experton: "Die BSH hat festgeschriebene Werte, die das Handeln bestimmen. Alle Unternehmensbereiche setzen diese Grundwerte um, auch die IT."

BSH fühle sich einem Konzept der Nachhaltigkeit in allen Umweltbelangen verpflichtet, sagt Sturm. Man habe sich schon frühzeitig darauf festgelegt, das Unternehmen auf der Basis von "Wertorientierungen zu führen und diese in konkrete Maßnahmen umzusetzen". So habe man die 44 weltweiten Produktionsstät-ten "nach gleichen Standards aufgebaut, die langfristige Ressourcenökonomie, Energieeffizienz und Klimaschutz umfassen". Es sei ein sehr umfassender Ansatz, der für alle Bereiche gilt. Selbstverständlich auch für die IT. 2008 hat man für diesen Ansatz den ersten "Deutschen Nachhaltigkeitspreis" gewonnen, vor Mitbewerbern wie Volkswagen, Henkel oder Osram.

Wie viele Unternehmen hat die BSH eine Menge Papier damit vollgeschrieben, von welchen Missionen und Zielen ihr Geschäft getrieben sei. Die Hauptmission besteht demnach aus dem "Dreieck Kunde, Qualität, Kosten". Nach Einschätzung von Analysten haben es die Münchener auch geschafft, den blumigen Worten Taten folgen zu lassen. So urteilt Andreas Schleusener von Experton: "Die BSH hat festgeschriebene Werte, die das Handeln bestimmen. Alle Unternehmensbereiche setzen diese Grundwerte um, auch die IT."

2003 - als Sturm nach seiner Zeit bei Grundig seine neue CIO-Stelle antrat - gab es bei BSH einen neuen Anlauf, die Geschäftsprozesse und die IT zu reorganisieren. Mit weBSH.net wurde eine Business Process Plattform geschaffen - als Reaktion auf das vorherige ungezügelte Wachstum mit zahlreichen Akquisitionen und einer äußerst heterogenen Applikationsarchitektur. Heute ist weBSH.net, je nach Prozessgebiet (Vertrieb, Kundendienst, Produktionsprozesse, …) circa 70 bis 80 Prozent des Geschäftsvolumens der BSH, vollständig in eine SAP-Anwendungslandschaft integriert.

Alle SAP-Systeme in einem RZ

Unternehmen: Fakten zu Bosch Siemens Hausgeräte.

Wie CIO Sturm berichtet, gab es vor zehn Jahren noch etwa 40 Rechenzentren in der BSH. Aus Kosten- und Sicherheitsgründen erfolgte dann eine Konsolidierung in ein "kaskadierendes Template-Modell": Das übergeordnete CDC (Corporate Data Center) in München übernimmt dabei die Disaster-Recovery-Funktion für das untergeordnete Data Center RDC (Regional Data Center) und dieses dann für die nächstniedrigere Stufe ADC (Area Data Center). Dieses Konzept war bereits 2005 umgesetzt, inzwischen hat sich lediglich die Gewichtung weiter in Richtung Corporate Data Center verschoben. "Das CDC ist inzwischen mit über 80 Prozent der Rechenleistung bei Weitem das wichtigste und größte Data Center der BSH", erklärt Sturm.

Auf das zentrale Rechenzentrum in München (CDC) sind nun sämtliche SAP-Systeme der Landesgesellschaften verlagert worden. Die Konsolidierung geht so weit, dass selbst Mail-Applikationen auf wenige Host-Standorte verteilt worden sind. Die nächste Stufe bestand in der Konsolidierung der jeweiligen Rechnerlandschaft auf Unix- und x86-Systeme, vornehmlich in Racks und Blades. Die Entwicklung vollzog sich damit in den Schritten, wie sie der Gartner-Analyst Rakesh Kumar schon vor Jahren aufgeschrieben hat: Zentralisierung und Konsolidierung bringen zwar zunächst enorme Kosteneinsparungen, führen aber auch zu dem paradoxen Resultat, dass sich aufgrund der Packungsdichte der Server Stromhunger und Abwärmeprobleme auf einer ganz neuen Stufe entwickeln - bei gleichzeitig steigenden Strompreisen.

Tobias Ortwein, Analyst bei Pierre Audoin Consultants (PAC): "Der Nachweis, dass das Tun in der IT von dieser Mission geleitet wird, kann durch harte Daten und Fakten erbracht werden."

Mittels Virtualisierung (und begleitender Maßnahmen wie Warm-Kalt-Gänge) wurden in einer dritten Stufe die Zahl der physikalischen Server und damit der Energieverbrauch drastisch reduziert. CIO Sturm resümiert: "Was einige Analysten über die Entwicklung der Rechenzentren prognostiziert haben, trifft auf uns zu 100 Prozent zu: Wir haben unsere weltweiten Rechenzentren zusammengelegt, dann im nächsten Schritt die Server- und Storage-Infrastruktur konsolidiert und virtualisiert. Schließlich mussten wir uns angesichts der erhöhten Auslastung im Rechenzentrum um Energieverbrauch, Abwärme und Kühlung kümmern - erfolgskritische Dinge, die anfangs noch nicht so sehr im Mittelpunkt standen, inzwischen aber von zentraler Bedeutung sind."

Als Nebeneffekt und anfänglich nicht so stark im Fokus der IT konnte so im CDC München allein die Server-Performance um 108 Prozent erhöht werden, während der Energieverbrauch gleichzeitig um 59 Prozent sank, bei Intel-Servern sogar um 87 Prozent. Bei den SAP-Systemen ergab sich laut Sturm eine Einsparung von 1,3 Millionen kWh und eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes von jährlich 793 Tonnen.

Anspruch schnell formuliert

Energie: Verbrauch mit und ohne Virtualisierung.

Solche Zahlen überzeugen denn auch Tobias Ortwein von Pierre Audoin Consultants (PAC). Seiner Einschätzung nach ist die BSH-Mission der Orientierung am Kunden, an den Kosten und an der Qualität ("Anspruch der Exzellenz") grundsätzlich nicht neu, und die Formulierung dieses Anspruchs sei auch nicht schwierig. Die große Herausforderung liege in der Umsetzung, und die ist nach seiner Ansicht der IT von BSH außerordentlich gut gelungen. Wenn man die Organisation und Abläufe in der IT von BSH genauer betrachte könne man erkennen, dass sich dieser Anspruch wie ein roter Faden durch die einzelnen Elemente ziehe. Wesentlich ist für Ortwein: "Der Nachweis, dass das Tun in der IT von dieser Mission geleitet wird, kann durch harte Daten und Fakten erbracht werden. Das bedingt ein sehr hohes Maß an Transparenz und Controlling-Mechanismen."

Bei BSH spricht man viel von Exzellenz und meint dabei die hohen Ansprüche an das eigene Unternehmen bei Erreichung der gesteckten Ziele an Produktqualität, Umsatz und Profitabilität. Hier gibt es immer wieder neue Initiativen, und eine "Gremienlandschaft" sorgt für interne Absprachen und Kontrollen sowie einen ständigen Vergleich mit dem Status der Konkurrenten. Alles zusammen spricht für einen Grad an Planung und Überwachung in einem marktwirtschaftlichen Umfeld, den man früher eher von der - untergegangenen - Planwirtschaft östlicher Prägung erwartet hätte.

"Hurra, wir haben ein Problem"

Vom Standpunkt der BSH-IT aus dient diese permanente Selbstbeobachtung und externe Kontrolle nicht dem Einsammeln von Pluspunkten und Belobigungen, sondern dem pragmatischen Auffinden von Fehlern und Versäumnissen - bei sich selbst. Sturm: "Wenn wir unsere IT-Prozesse mit denen anderer Unternehmen vergleichen, geht es uns nicht um einen Beauty Contest, ganz im Gegenteil: Wir versuchen, uns mit den Besten zu vergleichen, um herauszufinden wo wir uns verbessern können. Wenn wir nur feststellen, wo wir gut sind, lernen wir ja nichts. Ganz nach dem Motto "Hurra, wir haben ein Problem" orientieren wir uns an Verbesserungspotenzialen, die wir dann systematisch umsetzen können."

Benchmarking hat sich bei der BSH zu einem Methodenbaukasten entwickelt, der in nahezu allen Geschäftsfunktionen zum Einsatz kommt. Sturm führt aus: "In der IT haben wir 2003 mit Gartner begonnen, IT-Benchmarking durchzuführen. Aber das konkrete Ableiten von Verbesserungsmaßnahmen war für uns mit dem damaligen Vorgehen nur bedingt möglich." Zum Schließen identifizierter Kostenlücken hätten erst Folgeprojekte zur Analyse und Umsetzung aufgesetzt werden müssen.

"Energie-Label: "Schwieriger als bei Kühlschränken".

Um diesen Umweg zu vermeiden, hat sich Sturm für ein anderes Verfahren entschieden: "Wir führen zwar weiterhin auch übergreifende Benchmarking-Analysen durch, indem wir uns zum Beispiel mit anderen Geschäftsbereichen in unseren Stammhäusern im Netzwerk vergleichen. In der Regel fokussieren wir uns aber auf spezifische Aspekte und versuchen dabei, im Vergleich mit anderen Unternehmen möglichst schnell gezielt auf den Best-Practice-Austausch zu gehen. Ich nenne diesen Ansatz immer den gemeinsamen wechselseitigen Blick unter die Motorhaube.

Konkret bedeutet das, dass die IT-Abteilung sowohl ihre IT-Controller als auch insbesondere die IT-Techniker und die IT-Prozess-Spezialisten zusammenbringt. So wurden zum Beispiel in einer umfangreichen Benchmarking-Analyse in einem der Stammhäuser erst durch den intensiven technischen Austausch wechselseitig signifikante Einsparpotenziale im SAP-Basisbetrieb identifiziert.

Sturm ist auch Gründungsmitglied des CIOcolloqiums, in dem mittlerweile die CIOs von 80 Unternehmen einen Gedanken- und Wissensaustausch pflegen. Das Netzwerk bewährt sich laut Sturm beim IT-Benchmarking: Man habe im CIOcolloquium derzeit eine Benchmarking-Gruppe mit circa 20 Teilnehmern, mit der für definierte Leistungspakete der IT ein Konsortial-Benchmarking nach dem Vorgehensmodell "Vom Benchmark zur Best Practice" durchgeführt wird. Die Leistungspakete werden dabei gemeinsam normiert und kostenmäßig objektiv verglichen.

Grün durch IT besser als Grün in der IT

Vielleicht ist dies auch die Art, wie ein "Green-IT-Label" entstehen sollte. "Grün" misst sich nicht allein darn, wie umweltschonend und ressourcenverträglich die IT selbst ist, sondern an ihrer Fähigkeit, die Kernprodukte des Unternehmens umweltverträglicher und energieschonender zu machen. Nur zur Erinnerung: Der weltweite Anteil der IT am CO2-Ausstoß beträgt zwei Prozent, das Gros wird noch immer durch Verkehr, Heizung und Ähnliches erzeugt. Sturm ist der Ansicht, dass die potenziellen, durch intelligente IT-Systeme erzielbaren Energieeinsparungen und damit der Hebel in anderen Lebensbereichen wie Verkehr, Telematik, Prozesssteuerungen etc. viel größer ist, als allgemein geglaubt wird. Die Position von Sturm in diesem Kontext ist eindeutig: "Green durch IT ist viel wichtiger als Green in der IT."