Da hat sich das Marketing etwas Feines ausgedacht: Dakor heißt das Projekt, mit dem die Hamburger Krankenkasse DAK seine sechseinhalb Millionen Kunden glücklicher machen will - und auch seine Berater in demnächst 46 Regionalzentren. Hinter Dakor verbirgt sich zweierlei: Zum einen ein doppelfunktionelles K, das sowohl für Krankenkasse und als auch für Kundenorientierung steht. Zum anderen hört es sich fast so an wie das französische d'acore. "Einverstanden" sind mit jener neuen technischen Finesse bisher vor allem der Leiter des Bereiches IT-Services der DAK Andreas Strausfeld sowie IT-Vorstand Claus Moldenhauer.
Die Vision: Klingelt demnächst das Telefon im Beraterbüro, speist die IT den Bildschirm mit detaillierten Kundeninformationen, sobald der Telefonhörer in der Hand des DAK-Mitarbeiters liegt. Noch während der Anrufer sein Anliegen schildert, kann er sich fix auf den Stand der Dinge bringen. Welche Beschwerden hatte der Patient bisher und welche Leistungen wurden in Anspruch genommen? Hatte er sich beim letzten Telefonat mit der DAK gezofft oder war es ein angenehmes Gespräch? Falls Vereinbarungen telefonisch getroffen wurden, archiviert das Dokumentenmanagement-System das Gespräch nach Aufforderung per Mausklick. Auf einen Blick sollen bald die Angaben zum DAK-Mitglied, der Leistungsumfang und die Kontakthistorie zu sehen sein.
Der Countdown für die neue Konvergenz der Daten- und der Telefonwelt, aber auch tief verborgenen Host-Systemen bei der DAK läuft. In knapp vier Monaten sollen die entsprechende Integrationsplattform, das IP-Netzwerk und Dokumentenmanagement in ganz Deutschland funktionieren.
Und damit den spröden Charme des 25 Jahre alten selbst gebauten Kernsystems namens Dakidis vergessen machen. An der Leistungsfähigkeit des Integrierten Daten- und Informationssystems zweifelt bei der DAK zwar niemand: "Hoch funktional und leistungsfähig" nennt es IT-Service-Manager Strausfeld.
Und doch sind Dakidis und die weiteren Systeme unpraktisch: "Jeder Mitarbeiter muss bisher verschiedene Werkzeuge starten, um Informationen aus den Beständen zu holen“, erläutert Strausfeld, "und die waren teilweise hinter x Arbeitschritten verborgen“.
Muss ein Berater etwa das Krankengeld für ein DAK-Mitglied prüfen, ist es heute noch nötig, sich durch mehrere in sich abgeschlossene Systeme zu arbeiten, bis der Bescheid versandt ist. Der Projektleiter für Dakor, René Wilms, holt einen Notizzettel aus seiner Schublade und hält ihn hoch: "Das ist die Zwischenablage, und da hat sich jeder dran gewöhnt“, sagt Wilms, der erst die Mitgliedsnummer des Patienten notiert, ehe er sie missmutig in die Datenmasken eintippt, und das für jedes nötige System.
"Diese Zeit sollte doch besser in die Betreuung der Kunden gesteckt werden“, sagt IT-Vorstand Moldenhauer. Nun steigt der DAK-Mitarbeiter ohne Umschweife direkt in die Host-Funktionen ein - ohne noch mal die Mitgliedsnummer eingeben zu müssen. Mit der neuen Landschaft sind zudem neue Wege festgelegt, in denen der Berater für die Bearbeitung des Krankengeldes unterwegs sein sollte. Ganz im Sinne des Projektes zur Prozessoptimierung der DAK, Pro-DAK genannt. Auf der Dakor-Maske sind also für den Fall Kindergeld Trampelpfade vorgeschrieben, die der Berater bei der Bearbeitung zurücklegen sollte. Ein weiterer Zeitgewinn.
Etwa anderthalb Jahre hat Strausfeld für die Suche und die Implementierung der entsprechenden Software für die Plattform benötigt, mit der er Dakidis soweit frisiert hat, dass es mit dem Markt mindestens gut mithalten kann. Der anvisierte neue Kernsystem-Standard ISKV 21c, mit dem sie das Hausgewächs Dakidis einmal ablösen möchte, hängt noch in der Warteschleife. Strausfeld: "Es ist noch nicht für Großkassen getestet und eine Migration würde mehrere Jahre dauern“. Mindestens bis 2012 setzt Strausfeld daher weiter auf Dakidis. Daten nehmen, aufbereiten und darstellen, ohne überflüssige neue Daten zu schaffen war eines der Kriterien für die Modernisierung von Dakidis durch Dakor.
Wichtig war Strausfeld, abgesehen von überschaubaren Kosten, dass die Software zentral aufgesetzt und von der Zentrale in Hamburg aus betreut werden kann. Dass das Kunden-Management unterstützt und sich neue Prozess-Schritte einfach einpflegen lassen, und dass die Software darüber hinaus einen Stamm von über sechs Millionen Kunden bewältigt. Bald startet Strausfeld mit einem Lasttest und hofft, dass die Systeme nicht, wie während des Vorlaufs in der Auswahlphase - im Proof of Concept - die Rechner in die Knie gehen und die Last nicht aushalten.
Die Renovierung der IT-Landschaft bei der DAK geht auf eine Kurskorrektur zurück. Seit Anfang 2004 ist IT-Vorstand Moldenhauer bei der DAK. 2005 wurde Herbert Rebscher zum neuen DAK-Chef, der gleich zu Beginn seiner Cheflaufbahn Zeuge der so genannten "Zukunftswerkstatt“ wurde - der Keimzelle der Neugestaltung bei der DAK. An 13 Orten trafen sich die 14.000 DAK-Mitarbeiter damals, um in Workshops darüber zu diskutieren, was man alles anders und besser machen könnte - davon allein 2.500 in der Dortmunder Westfalenhalle. Der einfache Schluss und Konsens danach lautete nach Angaben von Moldenhauer "Wir brauchen mehr Zeit für unsere Kunden“.
Moldenhauer präsentiert heute eine neue Organisation: "Keine 900 Standorte mehr, die die beiden Bereiche Leistung und Beitrag abdecken, sondern Konzentration auf wenige Fachzentren, in denen ausschließlich diese Themen der Kasse bearbeitet werden, neben den weiterhin vorhandenen Standorten für die Kundenberatung“. Die Schlüsselworte von Moldenhauer heißen Zentralisierung und Spezialisierung. Es ist nicht mehr jeder Berater für alles zuständig. "Die IT hilft uns aus einer Spezialisierung heraus eine gezielte Kundenansprache zu leisten“, meint Moldenhauer. Es wird nach wie vor zentrale Ansprechpartner für die DAK-Mitglieder geben, doch für spezielle Themenbereiche etwa zu den Themen Schlaganfall, Diabetes oder Kieferorthopädie gibt es dann spezialisierte Berater, die direkt vermittelt werden und spezielle Fragen kompetenter und schneller beantworten können.
Die neue Integrationsplattform leistet hier im Zusammenspiel mit dem IP-Netzwerk gute Dienste und fungiert als Drehscheibe für die Kommunikation wie auch als zentraler Informationspool. "Dort hat der Berater auf einen Blick eine Rundumsicht auf die Kunden, ein Auskunftssystem über Kliniken und Informationen über Tarife“, erläutert IT-Manager Strausfeld, der sich allein durch den Einsatz des DaVinci genannten IP-Netzwerks jährliche Synergien von vier Millionen Euro verspricht. "Anrufe werden automatisch vermittelt, gezielter verbunden und die internen Gespräche kosten nichts mehr“, so Strausfeld.
An die neuen Arbeitsabläufe muss sich die Belegschaft erst gewöhnen. "Wir bewegen uns einmal von A nach B“, so Strausfeld. Vorstand Claus Moldenhauer weiß um die Gefahren, die in den Veränderungen stecken. Nach den Sommerferien startete er eine Schulungsserie für die Mitarbeiter, um ihnen die Neuaufstellung und damit auch die technischen Neuerungen nahezubringen. Moldenhauers Wunsch ist, "den Umbau als Erlebnis zu vermitteln, die Mitarbeiter dafür motivieren und neugierig machen“ zu können.
Auf Moldenhauer und Strausfeld lastet ein gewisser Druck. Denn die DAK möchte auch in der geplanten IT-Holding zusammen mit den Bundesverbänden der Betriebs- und Innungskrankenkassen eine Vorreiterrolle einnehmen. Und zumindest von Seiten der DAK gibt es Seit Anfang Juli kein Zurück mehr. Der Aufsichtsrat der Hamburger Kasse hat dem Vorhaben einer IT-Holding zugestimmt.