15 bis 20 Jahre Praxis seien einfach vonnöten, erklärt Janssen, derCIO des Jahres 2008. Der promovierte Mathematiker kann deshalb wenig mit den Versuchen der Universitäten anfangen, Praxisnähe zu suggerieren. In seiner Antwort auf die Titelgeschichte des Juni-Heftes fordert er viel mehr von Studenten: dass sie schon mal "ein dickes Brett gebohrt haben" - egal in welchem Fach:
"Man muss mal selber ein reales Projekt gemacht haben, ein Projekt geleitet haben, vielleicht auch mal eines, dass schiefgegangen ist. Man muss Erfahrung in der Personalführung wie im Verhandeln mit Kunden und Lieferanten gewonnen haben, aber auch die politischen Strömungen und Machtinteressen in großen Firmenorganisationen lesen können und so weiter Kurz und gut: alles Dinge, die man im wirklichen Leben lernt und keinesfalls von Menschen, die all diese Probleme nie am eigenen Leib erlebt und getan haben. Abgesehen davon ist die Idee sowieso absurd, dass ein Studium auf eine Aufgabe vorbereitet, die man erst in 15 bis 20 Jahren wahrnimmt und die dann sicher ganz anders aussieht als heute.
über den Autor | Rainer Janßen (57) |
Position | Leiter Zentralbereich Informatik und |
Firma | |
Besondere Auszeichnung |
Wichtig: trainierter Hirnmuskel
Generell halte ich es für eine spezifisch deutsche Fehleinschätzung, das Studium mit einer Berufsausbildung zu verwechseln. Ein Studium muss vor allem eine dauerhafte Basis legen. Dabei ist nicht das spezifisch erworbene Fachwissen wichtig, sondern dass man wenigstens einmal den Hirnmuskel so weit trainiert hat, dass man ein wirklich komplexes Problem in allen Aspekten im Kopf behalten, modellieren und analysieren und idealerweise schließlich lösen kann. Dabei ist der Kontext, in dem dies gelernt wird, eigentlich relativ egal.
Der an Krebs erkrankte amerikanische Informatikprofessor Randy Pausch erzählt in seiner bewegenden ,Last Lecture‘ von der Erfahrung seines ersten Football-Trainings. Der Trainer schickte ihn und seine Kameraden ohne Ball aufs Feld. Er sagte dazu: Beim Spiel sind immer 21 Spieler ohne Ball. Lernt erst einmal, was die 21 ohne Ball tun! Lernt erst einmal die Grundlagen! Diese Grundlagen sollte man auch im Studium trainieren, nicht kurzfristig veraltendes Fachwissen anhäufen.
Ein bisschen BWL bringt nix
An der Uni kann man sicher nicht lernen, wie man bei Munich Re oder anderen Unternehmen Software entwickelt, denn wir haben alle unterschiedliche Methoden, Prozesse und Probleme. Aber in einem guten Universitätsstudium kann man die Grundprinzipien des Software-Engineering so lernen, dass man langfristig für sein Berufsleben davon profitiert.
Übrigens nicht nur in der Informatik, sondern auch in der Hochenergiephysik, die der Treiber der Entwicklung von Hochgeschwindigkeitsnetzen, Supercomputern und dem Internet war, oder der Computer-Algebra, die schon lange vor der Objektorientierung von Klassen und Vererbung wusste. Mir ist wichtiger, dass künftige Mitarbeiter einer IT-Organisation einmal ein wirklich dickes Brett gebohrt haben und ihr Hirn wirklich anstrengen mussten, als dass sie ein bischen BWL hier, ein bisschen Einführung ins Projekt-Management da lernen.
Die neuen Studiengänge sind allerdings kaum geeignet, derartige Grundlagenkompetenzen auszubilden. Wenn ich früher jemanden brauchte, der schnell ein Buch auswendig lernen und wieder vergessen konnte, habe ich einen Mediziner eingestellt, heute kann ich jeden Bachelor dafür nehmen! Die armen Studenten hetzen im neuen System nur noch von Klausur zu Klausur. Da hat das Streben nach grundsätzlichem Verstehen ja kaum Platz. Mit diesen Studiengängen müssen wir uns weniger fragen, ob sie zum CIO befähigen, sondern ob sie zum Mitarbeiter in einer IT-Organisation befähigen!"
cio.de - Auf CIO studieren |
Janßen bezieht sich auf die Titelgeschichte im Juniheft mit Michael Neff (CIO des Jahres 2005) und seinem Sohn Alexander. Online nachzulesen unter: "Junge, was lernst du hier?" |