Gesetze sollte man kennen. Als Führungskraft über ökonomische Gesetze Bescheid zu wissen, schadet auch nicht – auch wenn diese naturgemäß aus dem Fundus wirtschaftswissenschaftlicher Theorie stammen und deshalb nicht unumstößlich sind. Gartner meint, eine solche Gesetzmäßigkeit entdeckt zu haben: das Gesetz rückläufiger IT-Erträge. Relevant ist dieses nach Einschätzung der Analysten insbesondere für die CIOs großer Banken.
Scheu vor möglicherweise allzu komplizierten oder theoretischen Überlegungen brauchen die IT-Chefs nicht zu haben. Der Kerngedanke der Studienautoren David Furlonger, Peter Redshaw und Michael Litvak ist sogar ziemlich knackig: Großbanken sind – wie wir seit der Finanzkrise wissen – systemimmanent zu wichtig, um pleite zu gehen. Sie sind wegen ihren schieren Größe und operativen Komplexität aber nach Einschätzung von Gartner möglicherweise auch zu groß, um erfolgreich zu sein.
Jedenfalls gelte aus CIO-Perspektive: Die Ausstattung mit effektiver IT und operativem Support mutiert zur Herkulesaufgabe. Gleichzeitig sorgt die wachsende Digitalisierung für einen exponentiell überschießenden Bedarf, der eine kosteneffektive IT unmöglich macht. Zudem würden traditionelle Management-Modelle obsolet, weil sich die IT-Ausgaben immer mehr der Kontrolle des CIO entziehen.
Selbstverständlich belässt es Gartner nicht bei der Schilderung einer ausweglosen Situation. Der zentrale Ratschlag an die IT-Chefs und COOs lautet, für IT-Innovation zu sorgen. Anfänglichen Investitionen in die IT-Effizienz müssten Investitionen in Delivery und Management folgen – so etwa in zusätzliche Automatisierung und in Self-Service-Portale, um der steigenden Nachfrage nach IT-Services gerecht werden zu können.
Das dahinter stehende Gartner’sche Gesetz basiert auf einen ökonomischen Phänomen, das nicht neu ist. Schon im 19. Jahrhundert formulierte der britische Ökonom William Stanley Jevons das nach ihm benannte Paradoxon: Die effizientere Nutzung eines Rohstoffes in Folge technologischen Fortschrittes kann zu einer erhöhten Nutzung des Rohstoffes führen – ein Effekt, der am Ende die ursprüngliche Effizienzsteigerung auffrisst. Jevons machte das seinerzeit an den rapide sinkenden Kohlepreisen fest, die zu einer rasant steigenden Nachfrage nach Kohle und steigenden Ausgaben für diesen Rohstoff führten.
Begrenzte Skalierbarkeit
Diese Beobachtung ist laut Gartner auf die heutige IT-Welt übertragbar, zumindest manchmal. Insbesondere die Fülle der via Internet angebotenen digitalen Dienste lasse den IT-Bedarf so sehr ansteigen, dass der Verbrauch die Effizienzgewinne in der IT-Produktion aufzehre. Das führe dazu, dass selbst marginale Verbesserungen nicht mehr zu einem vernünftigen Preis erhältlich seien. Auch übliche Taktiken zur Kostensenkung wie Outsourcing oder Re-Engineering von Prozessen seien nicht mehr wirksam.
Das liegt unter anderem daran, dass das beschriebene Paradox in bestimmten Fällen die ansonsten zumeist geltenden Regeln der Economies of Scales aushebelt – dass mit steigenden Mengen nicht die Effizienz der Produkt zunimmt. Wie Gartner anhand eigenen Zahlenmaterials herausarbeitet, ist dieser Aspekt in der Industrie mit ihren Legacy-Systemen im Back Office nicht unbedingt relevant. Wohl aber der Welt der Finanzdienstleister.
„Das Phänomen der schnell überschießenden Nachfrage, der begrenzten IT-Skalierbarkeit und der sinkenden Erträge von IT-Investitionen sind besonders in hochdigitalisierten Branchen wie Banken und Versicherungen zu beobachten“, heißt es in der Studie. „Deren Produkte sind im Wesentlichen immateriell, und IT spielt in nahezu jeder operativen Hinsicht eine zentrale Rolle.“
Problematisch sind laut Gartner insbesondere vier Punkte: Erstens seien technologische Innovationen wie Cloud Computing und E-Commerce Beispiele für vermeintliche Effizienzverbesserungen, von denen gerade Großbanken wegen der gewachsenen Nachfrage kaum profitierten. Zudem erschwerten zweitens die hohen regulatorischen Anforderungen, drittens die erhöhten Investitionen ins Risikomanagement und viertens die hohe Komplexität der Banken-IT die Lage der CIOs.
Gartner rät den IT-Chefs, das Gesetz der verschwindenden IT-Erträge in Vorstandsmeetings zur Sprache zu bringen. Zudem sollte die IT so weit es geht vereinfacht werden. „Fokussieren Sie sich auf eine Verbesserung der Prozess-Simplifizierung, Standardisierung, Application Portfolio-Rationalisierung, Datenqualität, Offenheit und Ausgliederung“, empfiehlt das Analysten-Trio.
Vorbilder Amazon und Google
Die Lage wird laut Gartner zwar auch durch die Konsumerisierung der IT – insbesondere Bring-Your-Own-Device (BYOD) – verschärft. Im Vergleich zur wachsenden Zahl der Geräte sei aber das Wachstum an Services die weit größere Herausforderung. „Von der IT wird jetzt erwartet, cloud-basierte Applikationen, die Social Media-Nutzung durch Mitarbeiter, die Konnektivität mit externen Geschäftspartnern und viele andere neue nachfrage-getriebenen IT-Use Cases zu unterstützen“, heißt es in der Studie. „Davon bewegt sich aber vieles jenseits der Kontrolle der Unternehmens-IT und der betrieblichen Organisation.“ Als Beispiele nennt Gartner Einkäufe in den App-Stores von Apple und Google.
Eine Antwort auf diese Gemengelage sollte nach Einschätzung der Analysten darin liegen, Grenzen zu setzen. Es müsse verstanden werden, dass mit den IT-Ressourcen die Support-Spirale nicht ins Unendliche gedreht werden könne. „CIOs müssen in der Lage sein, Projekte mit hoher Priorität und echtem geschäftlichen Nutzen zu identifizieren und den Support für andere Initiativen abzulehnen oder zumindest zu begrenzen“, so Gartner.
Notwendig sei außerdem, die Support-Kosten je Produkt zu kalkulieren und in der Kommunikation mit anderen Vorständen aktiver zu werden. Ferner gibt Gartner eine Reihe von Ratschlägen für Veränderungen bei Governance und Management. Nötig seien unter anderem ein verbessertes Governance-Modell und die Entwicklung einer flexiblen und dynamischen Roadmap für Technologie und Betrieb.
Konkret empfehlen die Autoren, günstige Standard-Services zu nutzen. Da sich die Banken-IT nicht mehr im Back Office bewege, sollte man außerdem versuchen, von Vorbildern wie Google, Amazon und Facebook hinsichtlich des Management-Modells zu lernen.