Die Süddeutsche Krankenversicherung (SDK) will sich modernisieren. IT-Vorstand Ralf Oestereich setzt dazu eine groß angelegte Strategie um, die Technik und Kultur gleichermaßen wandeln soll.
Bevor Ralf Oestreich zur Süddeutschen Krankenversicherung (SDK) kam, wurde die IT hauptsächlich als Kostenfaktor wahrgenommen. "Man hat sich am IT-Kostenbenchmark der Branche orientiert, lagen die eigenen Ausgaben unter dem Durchschnitt, war das gut," sagt der IT-Vorstand.
Die Anwendungen waren zu einem Großteil selbst entwickelt. Systeme arbeiteten mainframebasiert und waren in COBOL, Java oder Visual Basic programmiert. Die Datenhaltung lief teilweise noch auf VSAM. Über Jahrzehnte wurde darauf aufgebaut und optimiert. "Dadurch lief die Applikationslandschaft sehr stabil und war günstig im Betrieb, aber auch sehr komplex," so Oestereich. Das erschwere die Digitalisierung. Schnittstellen ließen sich nur umständlich anbinden. Systeme nach außen zu öffnen, etwa für Kundenportale oder mobile Apps, war ein Kraftakt. Zudem fehlten junge Fachkräfte für COBOL und Co.
Standardisierung mit Partnern
Abhilfe schaffen soll eine 2019 entwickelte IT-Strategie. Kernsysteme will das Team um Oestereich durch Standardsoftware ersetzen: "Wo keine Differenzierung zum Wettbewerb stattfindet, ist Standardsoftware die bessere Wahl." Für geschäftskritische Systeme wie die Tariflogik oder Risikoberechnung sollen auch Standardlösungen zum Einsatz kommen, allerdings stärker modifiziert. Da es hierzu wenig internes Know-how gab, holte sich die SDK Adesso als Partner mit an Bord.
Die Top-CIOs der Gesundheitsbranche
Holger Witzemann, AOK Systems Holger Witzemann ist seit Mai 2016 Geschäftsführer der AOK Systems. Der Diplom-Ingenieur für Technische Informatik war vorher Geschäftsführer im Bitmarck-Konzern in Essen, einem IT-Anbieter für Betriebs-, Innungs- und Ersatzkassen sowie die DAK-Gesundheit und weitere Ersatzkassen. Witzemann verantwortet nun die Softwareentwicklung für die gesamte AOK-Gemeinschaft, die BARMER, die BKK Mobil Oil, die VIACTIV Krankenasse und die Hanseatische Krankenkasse.
Stefan Henkel, Siemens Healthineers Stefan Henkel ist CIO von Siemens Healthineers. Stefan Henkel absolvierte sein Studium in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bamberg, wo er ebenfalls seine Promotion abschloss. Nach Stationen als Lehrbeauftragter und selbstständiger IT-Berater, startete er im Jahr 1996 seine berufliche Laufbahn bei Siemens Management Consulting in München. Bereits 1997 übernahm er die Leitung der Supply Chain Beratung im Bereich Corporate Procurement and Logistics. Nach weiteren leitenden Positionen in verschiedenen Abteilungen wechselte er 2006 in den Bereich Customer Services der Healthcare-Sparte. Dort verantwortete er weltweit "Product Support" und den "Siemens Remote Service". Nachdem er ein unternehmensweites Transformationsprojekt erfolgreich leitete, übernahm Stefan Henkel 2011 die Position des Leiters für Customer Relationship Management Operations. Daraufhin übernahm er die Verantwortung als Leiter der IT und seit 2018 besetzt Stefan Henkel die Position des CIO von Siemens Healthineers.
Hans-Ulrich Prokosch, Uniklinikum Erlangen Hans-Ulrich Prokosch ist CIO am Uniklinikum Erlangen und Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Informatik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Bis 2003 war er Professor für Medizinische Informatik an der Universität Münster. Prokosch hat Mathematik studiert, dann einen Doktor in Humanbiologie gemacht und sich anschließend im Fach Medizinische Informatik habilitiert.
Markus Balser, Rhön Klinikum AG Markus Balser ist seit Februar 2018 Konzernbereichsleiter IT/Konzern-EDV an der Rhön-Klinikum AG. Zuvor war er seit 2008 bei der Accenture GmbH als Managing Director im Bereich Technology Strategy verantwortlich für Enterprise Architecture & Application Strategy im deutschsprachigen Raum.
Andreas Strausfeld, Bitmarck Holding Im Juli 2014 ist Andreas Strausfeld zum Geschäftsführer der Bitmarck Holding GmbH aufgestiegen. Damit steht er dem IT-Dienstleister für Krankenkassen vor. Andreas Strausfeld ist seit 2008 als Geschäftsführer bei der Bitmarck Holding GmbH und seit 2010 bei der Bitmarck Vertriebs- und Projekt GmbH aktiv. In gleicher Funktion war er in Personalunion auch von 2012 bis 2013 bei der Bitmarck Software GmbH tätig. 2018 wurde sein Vertrag bei Bitmarck vorzeitig um vier Jahre bis 2024 verlängert.
Stefan Domsch, Synlab Im Juli 2024 wechselte Stefan Domsch die Branche und stieg als IT-Chef bei Synlab ein. Bisher war er Group CIO vom TÜV Süd.
Ingo Elfering, Fresenius Seit Juli 2020 besetzt Ingo Elfering den neu geschaffenen CIO-Posten bei der Fresenius Gruppe. Der gelernte Wirtschaftsinformatiker soll die globalen IT-Aktivitäten des Konzerns koordinieren und weiterentwickeln. Zudem übernimmt er die Leitung der IT-Dienstleistungs-Tochter Fresenius Netcare, die mittlerweile in Fresenius Digital Technology umbenannt wurde. Elfering berichtet an den Finanzvorstand.
Jens Schulze, Universitätsklinikum Frankfurt am Main Jens Schulze ist seit September 2019 CIO und Leiter des Dezernats für Informations- und Kommunikationstechnologie (DICT) im Universitätsklinikum Frankfurt. Sein Vorgänger Martin Overath ist jetzt Geschäftsleiter Medizinischer Arbeitsplatz beim Softwarehersteller Knowledgepark. In seiner Rolle verantwortet Schultz alle Bereiche der administrativen und klinischen IT inklusive der Telekommunikation. Er berichtet an den kaufmännischen Direktor als Mitglied des Vorstands. Für seine Leistungen als CIO der Uniklinik Leverkusen (2013-2019) wurde Jens Schulze beim CIO des Jahres 2019 in der Kategorie Public Sektor ausgezeichnet.
Michael Kraus, Universitätsklinikum Freiburg Michael Kraus ist seit August 2014 für die IT am Universitätsklinikum Freiburg verantwortlich. Bereits seit 2009 war er stellvertretender Leiter des Klinikrechenzentrums. Nach seinem Physik-Studium und einer Promotion im Bereich der Systembiologie war Kraus wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg. 1996 wechselte er als IT-Leiter in die Universitätsverwaltung und verantwortete dort ab 1999 als Dezernatsleiter neben der IT für das Campus Management die Bereiche Controlling, Organisation und Neue Medien.
Rudolf Dück, UKSH IT-Chef am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) ist seit Januar 2019 Rudolf Dück. Er übernahm die Leitung der Stabsstelle Informationstechnologie. Zugleich ist er Geschäftsführer der UKSH Gesellschaft für IT Services mbH (ITSG) sowie der Gesellschaft für Informationstechnologie (GfIT). Davor war Dück als Leiter des Bielefelder IT-Servicezentrums (BITS) an der Universität Bielefeld tätig.
Manfred Criegee-Rieck, Klinikum Nürnberg Manfred Criegee-Rieck leitet seit Juni 2017 die IT des Klinikums Nürnberg. Der neue IT-Leiter ist Nachfolger des langjährigen CIOs Helmut Schlegel. Er kommt von den Franziskanerbrüdern vom Heiligen Kreuz, wo er Gesamtleiter IT war.
Heiko Reinhard, Ottobock Heiko Reinhard ist seit Mai 2018 neuer CIO beim Duderstädter Medizintechnik-Hersteller Ottobock. Er war bislang als CEO des IT-Dienstleisters Sycor, der IT-Tochter von Ottobock, in Amerika und als IT Director North America für Ottobock tätig.
Patrick Wenz, Universitätsmedizin Mainz Patrick Wenz leitet die IT der Universitätsmedizin Mainz bis Ende 2023 im Interim.
Jan Vitt, Universitätsmedizin Mainz Ab Januar 2024 soll Jan Vitt die IT der Universitätsmedizin Mainz leiten.
Aude Vik, Techniker Krankenkasse Seit Anfang 2024 ist Aude Vik Geschäftsbereichsleiterin Informationstechnologie bei der Techniker Krankenkasse.
Gunther Nolte, Vivantes-Klinik Gunther Nolte ist schon seit 2001 IT- und TK-Direktor beim Gesundheitsnetzwerk Vivantes. Der Diplom-Informatiker arbeitete nach seinem Studium zunächst als Softwareentwickler in einem Systemhaus. Zwischen 1986 und 2001 war er unter anderem als Projektleiter für den Aufbau eines Tumorregisters am onkologischen Schwerpunkt Klinikum Kassel verantwortlich.
Dirk Herzberger, Helios Kliniken Seit 1998 leitet Dirk Herzberger die IT der Klinikkette Helios, die seit 2005 zu Fresenius gehört. Mit seiner Abteilung "Zentraler Dienst IT" stellt er dem gesamten Unternehmen die PC-gestützte Infrastruktur zur Verfügung - das reicht von medizinischen Dokumentationssystemen über die IT für Abrechnungen bis zu Telemedizin-Lösungen. Diplom-Ingenieur Herzberger war zuvor sechs Jahre Leiter EDV der Asklepios Neurologischen Klinik Bad Salzhausen und ab 1993 am Aufbau der Zentrale Dienste EDV der Asklepios Gruppe beteiligt. Zwischen 1988 und 1992 arbeitete Herzberger als Entwicklungsingenieur in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung sowie in der Abteilung Technische EDV der Firma Weiss Umwelttechnik.
Franz-Helmut Gerhards, DAK Franz-Helmut Gerhards ist seit Oktober 2016 CDO und Mitglied der Geschäftsleitung der DAK-Gesundheit in Hamburg. Er ist für die unternehmensweite digitale Transformation der Krankenkasse verantwortlich. Dazu gehört neben der strategischen Ausrichtung der DAK den Aufbau eines digitalen Ökosystems sowie die digitale Transformation aller relevanten Kundenprozesse mit dem Fokus auf die Kundenorientierung. Zudem verantwortet Gerhards den mit der Digitalisierung verbundenen kulturellen Wandel und leitet die Digitale Fabrik, die als interner Inkubator die digitale Transformation der Kasse operativ gestaltet.
Henning Schneider, Asklepios Konzern Henning Schneider hat im Oktober 2016 die Leitung des Konzernbereichs IT im Asklepios Konzern übernommen. Er folgt auf Martin Stein, der das Unternehmen verlassen hat, um als Kaufmännischer Geschäftsführer des Gemeinschaftsklinikums Mittelrhein tätig zu sein. Schneider wechselte vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zu Asklepios. Am UKE leitete er seit 2012 als CIO den Geschäftsbereich Informationstechnologie. Bereits seit 2008 trug er dort Verantwortung für die medizinischen IT-Systeme und die Umsetzung der elektronischen Patientenakte.
Martin Peuker, Charité Martin Peuker ist CIO der Berliner Charité. Große Hoffnungen setzt Peuker in die europäische Cloud-Initiative Gaia-X, die allmählich Formen annimmt: "Von Gaia-X könnte der gesamte Health-Sektor profitieren", ist er überzeugt. Die Charité unterstütze die Initiative schon jetzt aktiv. Bisher kommen Cloud-Ressourcen ausschließlich im Verwaltungsbereich der Charité zum Einsatz.
Kurt Kruber, Klinikum der Universität München Seit Dezember 2012 verantwortet Kurt Kruber am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität Medizintechnik und Informationstechnik. Beide Ressorts sollen unter der Führung des 49-Jährigen näher zusammenrücken, wie sich auch an der Agenda des IT-Chefs zeigt: Eines seiner Projekte ist das Zusammenführen der Mitarbeiter aus diesen Bereichen.
Bernd Christoph Meisheit, Sana Kliniken Bernd Christoph Meisheit ist seit August 2009 Geschäftsführer bei der IT-Tochter der Sana Kliniken. Meisheit stieß damals zu Gerald Götz, der die Sana IT Services bereits zwölf Jahre lang leitete, und formte mit ihm eine Doppelspitze. Seit Götz Sana im Herbst 2010 verlassen hat, leitet Meisheit die IT des Klinikbetreibers allein. Meisheit war zuvor IT-Verantwortlicher des Klinikverbandes St. Antonius und Geschäftsführer der Gesellschaft für Information und Technologie im Gesundheitswesen in Wuppertal. In den Jahren 2000 bis 2008 war er CIO der MTG Malteser Trägergesellschaft und Mitglied des Kooperationsrates der Deutsche Malteser GmbH. In dieser Funktion wurde er 2007 von unserer Schwesterpublikation Computerwoche für ein Rechenzentrumsprojekt zum Anwender des Jahres in der Kategorie IT-Performance gekürt. Von 1992 bis 1997 war er Leiter der Abteilung IT und Organisation und ab 1998 stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Finanzen, Unternehmensrechnung und Informationssysteme der Flughafen Köln/Bonn GmbH. Meisheit hat in Köln die Fächer Nachrichtentechnik und Informationsverarbeitung studiert.
Für die Standardsoftware-Komponenten spielt weiterhin der Kostenfaktor eine Rolle. Bei den Individualentwicklungen investiert der CIO aber in den nächsten fünf Jahren stark in Personal und Technologie. Das alte eigene Rechenzentrum lagerte Oestereich an einen professionellen Datacenter-Betreiber aus. Es wird von einem regionalen Mittelständler als Managed Service betreut.
Die Mitarbeiter werden mit neuen Notebooks und modernen Monitoren für mobiles Arbeiten und Homeoffice ausgestattet. Das habe laut dem IT-Vorstand die Produktivität gesteigert und mache die SDK als Arbeitgeber attraktiver für junge Talente.
Im Bereich der Anwendungen musste die Unternehmens-IT priorisieren. Vertrieb, Versicherungsbetrieb und Querschnittssysteme wie Archiv und Workflows galt es gegeneinander abzuwägen. "Zuerst kamen die Partnersysteme an die Reihe, weil alle anderen sie nutzen und alle Systeme hineinintegrieren. Danach modernisieren wir alles weitere nach und nach" so Oestereich.
Im Vertrieb setzt die SDK für Anwendungen außerhalb der Kernsysteme auf Individualentwicklungen. Dort stehen Apps im Mittelpunkt, um Versicherungen online abzuschließen. Zudem gilt es, Makler und Versicherungsportale einfacher anzubinden. Um das zu stemmen nutzt das IT-Team moderne Technologien wie Java-Entwicklungen, die auf Microservices basieren, sowie Komponenten externer Partner.
RPA und Hybrid Cloud
Bis die Altsysteme abgelöst werden, behilft sich die IT-Abteilung mit Robotics. Nach dem Motto "Automation anywhere" will Oestereich Legacy-IT moderner machen, solange sie noch da ist. Hierzu hat der CIO ein Kompetenzzentrum im Unternehmen gegründet, das überprüft, wo Robotic Process Automation den größten Mehrwert bietet. Beispielsweise der Prozess für Adressänderungen sei dafür ein guter Kandidat.
Beim Megatrend Cloud ist der Manager eher zurückhaltend. Der Versicherer fährt einen Hybrid-Cloud-Ansatz, bei dem laut Oestereich IT-Sicherheit und Datenschutz oberste Priorität haben: "Wir evaluieren bei jeder Anforderung, die kommt, welches Servicemodell das beste ist." Videokonferenzen laufen beispielsweise auf einer SaaS-Plattform. Für Kundenschnittstellen und mobile Apps brauche es die Geschwindigkeit und Skalierbarkeit der Cloud. Das Bestandssystem, für das sich eine Migration nicht rechnet, bleibt aber weiterhin im Rechenzentrum.
Organisatorische Schulden
Neben technischen Schulden hatte der Versicherer auch organisatorische Altlasten. "Laptops sind einfach ausgetauscht und neue Softwarelizenzen schnell besorgt, aber die Unternehmenskultur zu ändern, ist wesentlich schwieriger," so der CIO. Weiterbildung zu neuen Technologien und Methoden seien lange vernachlässigt worden. Der fachliche Austausch mit anderen Unternehmen fand nur sporadisch statt. Parallel zum technischen musste also auch ein kultureller Change stattfinden.
Die Zeit drängte. Zwar sind einige Bereiche der IT durch Aufsichtsbehörden wie die BaFin reguliert, aber in anderen Teilen stieg der Handlungsdruck. "Die Mitarbeiter wollen mobil arbeiten, Kunden wünschen sich eine digitale Krankenversicherung mit derselben Experience wie beim Online Shoppen oder Banking," sagt Oestereich. Zudem kämen immer mehr Innovationen, die man nicht ignorieren könne, etwa die elektronische Patientenakte oder der digitale Impfnachweis. "Wir konnten also nicht fünf Jahre unsere IT modernisieren und uns dann erst um die Kunden kümmern," sagt der CIO.
Kultureller Balanceakt
Um das zu stemmen, erarbeitete der Vorstand 2019 die Strategie "SDK 100". Sie ist bis 2026 angelegt, wenn die Versicherung ihr hundertjähriges Jubiläum feiert. Darin sind die wesentlichen geschäftsstrategischen Handlungsfelder wie Gesundheit oder Kapitalanlage und die damit verbunden IT-Ziele definiert. "Strategie allein funktioniert aber nicht. Culture eats everything. Darum haben wir die Unternehmenskultur an den Anfang unseres Change-Prozesses gesetzt," so Oestereich.
Das Team um den Manager definierte sieben kulturelle Facetten im Unternehmen:
Mut und Kampfgeist
Erfolg und Wettbewerb
Neugierde und Exploration
Sicherheit und Erfahrung
Ordnung und Regeln
Harmonie
Weitblick und Sinn (Purpose)
Das alles sollte laut Oestereich in der Balance sein: "Extreme sind nachteilig. Zu viel Harmonie hemmt den Diskurs, in einer reinen Powerplay-Kultur geht der Zusammenhalt verloren."
Um Ungleichgewichte ausfindig zu machen, fanden über vier Monate Workshops und Umfragen auf allen Ebenen des Unternehmens statt. Die Mitarbeitenden sollten bewerten, wie ausgeprägt die sieben Facetten im Unternehmen sind. Dabei stellte sich heraus, dass Strukturen, Prozesse und Regeln von der gesamten Belegschaft als sehr ausgeprägt wahrgenommen wurden. Auch Harmonie, Ordnung und Sicherheit wurden stark betont. Dagegen waren Purpose, Neugierde und Mut unterrepräsentiert. Dort musste also angepackt werden.
Bei all dem war es Oestereich wichtig, den Fokus immer auf das Positive zu setzen: "Die SDK-Kultur war bisher erfolgreich, aber die Umstände haben sich geändert, so dass sie sich auch weiterentwickeln muss. Es geht nicht darum, die Kultur auszuwechseln, sondern sie so zu modifizieren, dass alte Stärken erhalten bleiben, während neue hinzukommen."
Vier Change-Komponenten
Um die drei ausbaufähigen Kulturfacetten zu stärken, startete das Team um Oestereich 2020 ein Programm aus mehreren Komponenten. Unter dem Namen "Leadership 100" wurden Führungskräfte im Unternehmen versammelt, die den Change verantworten sollen. Dazu zählen nicht nur Abteilungs- und Gruppen-, sondern auch Projektleiter.
In einem zweitägigen Programm lernten sie Instrumente der Kulturentwicklung kennen. Darunter Führungsmethoden, um Eigenverantwortung und Change zu forcieren, aber gleichzeitig den Mitarbeitern Sicherheit zu bieten. Gibt es Schwierigkeiten oder Unklarheiten in der Belegschaft springen diese Change-Experten ein und klären die Probleme in kleinen Gruppen mit den Kollegen. "Ein positiver Nebeneffekt von 'Leadership 100' ist, dass sich die Führungskräfte auch besser miteinander vernetzen," sagt Oestereich. Dadurch würden automatisch Hierarchieeben abgebaut und Prozesse vereinfacht.
Als Zweites kamen die Einstellungsprozesse auf den Prüfstand. Neue Kollegen sollen ausgeprägte Stärken in den Bereichen Purpose, Mut und Neugierde besitzen. Damit will der CIO ein Gleichgeweicht zu den "alten" Werten erreichen.
In einem dritten Schritt führte der Vorstand ein internes Zielsystem für Führungskräfte ein. Neben Objectives und Key Results (OKR) vereinbaren sie quartalsweise ambitionierte Ziele. Die sind aber nicht an einen Bonus gekoppelt: "Wenn man will, dass Kollegen sich mutig auch mal aus dem Fenster lehnen, dürfen sie keine Angst vor Repressalien haben. Wir wollen, dass Neues ausprobiert wird, was unter Umständen nicht zu hundert Prozent erreicht werden kann." Zudem haben immer mehrere Abteilungen ein solches Ziel gemeinsam. Das fördere die cross-funktionale Zusammenarbeit.
Als vierte Maßnahme hat der Vorstand das Konzept "Working out loud" (WOL) eingeführt und viele WOL-Circle mit je fünf Teilnehmern gegründet. Darin können Mitarbeiter voneinander lernen und sich gegenseitig neue Impulse geben. Zudem werden Hierarchiegrenzen abgebaut und Neugierde gefördert. Zusätzlich fanden Kulturtage zu den drei Kulturfacetten statt, die gestärkt werden sollen, für die jeweils ein Vorstand Pate stand. Dort vertieften die Mitarbeiter in Vorträgen und Arbeitsgruppen das neue Mindset.
Diese Programme laufen 2021 weiter mit neuen Inhalten. In Fuck-up-Nights erzählen Führungskräfte, Vorstände und Mitarbeitende über ihre größten Fehler der letzten zwölf Monate und die Lessons Learned daraus. Die SDK hat Brown-Bag-Sessions, Open Spaces und Teamwerkstätten für mehr Streitkultur eingeführt. Zudem finden regelmäßig Ask-me-anything-Veranstaltungen für mehr Kommunikation mit dem Vorstand statt.
Eine Zwischenbilanz
Die Anstrengungen haben sich laut Oestereich gelohnt. "Ehemalige Mitarbeiter kommen zurück ins Unternehmen, weil sie merken, dass sich die Kultur und die Technik gewandelt haben," resümiert der CIO.
Moderne Geräteausstattung und das offenere Arbeitsumfeld hätten die Kollegen produktiver und zufriedener gemacht. Homeoffice und mobiles Arbeiten kämen gut an.
Das neue Rechenzentrum habe sofort bessere Performance geliefert. Die automatisierten Prozesse würden zu mehr Abschlüssen, höherer Durchlaufzeit und damit zu zufriedeneren Kunden führen. Durch die einfacherer Vertriebsanbindung an Vergleichsportale hätte das Online-Geschäft Aufwind bekommen.
"Wir haben zwar noch viele Baustellen sowohl bei der IT als auch der Kultur, aber die ersten Erfolge sind spürbar und das gibt uns Schwung für den Rest unserer Transformation," zieht Oestereich Bilanz.