Von IT ist bei Gartner immer seltener die Rede. Zwar gehe es immer noch um Information und Technik, aber der Begriff sei zu eng geworden, und er rieche zu sehr nach ERP etc., so die offizielle Begründung für die Einführung eines neuen Buzzword: Digitalization.
Es gehe nicht um Einsen und Nullen, sagte Peter Sondergaard, Vice President und Global Head of Research bei Gartner. Der Begriff stehe vielmehr für die grundlegende Transformation des Business. 2020 werde jedes Business "technisch" durchdrungen und jedes Unternehmen ein "Technikanbieter" sein. Die virtuelle und die reale Welt verschmelzen laut Sondergaard, Grenzen zwischen Branchen verwischen. Die gewohnten Innovations-, Produktions- und Marketing-Zyklen beschleunigen sich demnach rasant - und die IT läuft Gefahr, nicht mitzukommen: "Eine Marketing-Kampagne muss sich innerhalb von Wochen auszahlen. Diese Zeit brauchte die IT früher allein für die Planung."
Neue Techniken wie das "Internet der Dinge", 3D-Drucker und automatisierte Entscheidungsfindung werden den Charakter der IT verändern, prophezeite Sondergaard: "Ein zunehmender Teil des Marktwachstums kommt künftig von dieser nicht-traditionellen IT." Während der herkömmliche IT-Markt nur noch jährliche Wachstumsraten von drei Prozent erzielen werde, sagen die Gartner-Analysten dem Internet der Dinge Umsatzsteigerungen von 30 Prozent per annum voraus.
Für 2020 rechnet Gartner damit, dass die Anbieter von Sensor- und Vernetzungstechnik, wie sie für das "Internet of Things" benötigt werden, pro Jahr einen Gesamtumsatz von 309 Milliarden Dollar erzielen: "Jedes Produkt, das mehr als 100 Dollar kostet, wird einen Sensor haben und vernetzt sein," so Sondergaards gewagte Prognose.
Was sich bis 2017 ändern wird
Damit verändert sich auch die Anbieterlandschaft. Wie Gartner durch Befragung herausgefunden hat, erwarten zwei Drittel der CIOs, dass ihr Hauptlieferant bis 2017 ein anderer sein wird als heute. Unternehmen, die heute noch niemand kennt, könnten schnell große Teile des Markts übernehmen.
Die Infrastrukturen werden sich im Zuge der Digitalisierung ebenfalls ändern.
Data-Center-Kapazität wird immer häufiger aus der Cloud bereitgestellt - 2017 schon zu mehr als einem Drittel, wie die Analysten wahrsagen. Dies führe aber auch zu einer neuen Angreifbarkeit, der die IT-Verantwortlichen zeitig begegnen müssten - am besten durch "Privacy by Design", indem sie also den Sicherheitsaspekt schon im Lösungsentwurf berücksichtigen: "Eine Feuerwehr, die nur reagiert, wird das Feuer nicht mehr löschen können", sagte Sondergaard.
Big-Data-Techniken könnten auch hier gute Dienste leisten, führte der IT-Forscher weiter aus - durch "Rapid Detection and Response". Hierhin sieht Gartner in den nächsten Jahren einen immer größeren Teil der Security-Investitionen wandern.
Der CDO - eine Übergangslösung
Vor allem aber müsse sich das Selbstverständnis der IT ändern, warnt der Gartner-Vice-President. CIOs müssten über die Technik hinausdenken. Ihnen erwachse in den Unternehmen harte Konkurrenz: Jeder Business-Manager entwickele sich mehr oder weniger zu einem IT-Experten. Das gelte vor allem für die Marketing-Bereiche. Sie berufen immer häufiger eigene IT-Verantwortliche, deren Berichtsweg sich nicht mehr mit dem des CIO kreuze.
Daneben etablieren sich in vielen Unternehmen "Chief Digital Officers" (CDOs), die für die neuen und Business-nahen IT-Bereich verantwortlich zeichnen, haben die Gartner-Forscher beobachtet. Sie seien quasi ein Ausdruck der Enttäuschung vieler Unternehmenslenker mit ihrem derzeitigen CIO-Bereich.
Allerdings gibt es diese CDOs bislang lediglich in sechs Prozent der Unternehmen, räumt das Analystenhaus ein. Zudem handele es sich um eine zeitlich begrenzte Erscheinung. "Spätestens 2020 ist der CDO überholt", so Sondergaard, "denn er hat kein Budget, keine Organisation und ist nicht Teil der Unternehmens-Governance". Vielmehr spiele der die Rolle eines Change-Agent.
Aber damit ist keine Entwarnung für die CIOs gegeben. Gegen ihre IT-affine Konkurrenz aus den anderen Unternehmensbereichen können sie nur punkten, wenn sie ihre ursprüngliche Kompetenz mit neuem Denken und Handeln kombinieren. "Es gibt eine IT-Führungskrise in der IT", so das Fazit von Sondergaard: "Wenn der CIO nicht aufpasst, findet er sich als Hüter von Backend-Technik wieder." Wenn es ihm allerdings gelinge, die Digitalisierungswelle zu reiten, könne er bis auf die Vorstandsebene aufsteigen.
Drei Dinge, die der CIO tun kann
Aber was kann der CIO dazu tun? Ein paar Antworten auf diese Frage gab Hung LeHong, Vice President und Gartner Fellow. Der CIO sollte sich ernsthaft mit den Zukunftsthemen "Internet of everything", 3D-Druck und Automatisierte Entscheidungen auseinandersetzen. Diese drei Themen sind aus Gartner-Sicht wohl die Nachfolger des im vergangenen Jahr propagierten "Nexus of Forces" (Mobile, Social, Cloud und Big Data). Konkret sollte der CIO folgende Schritte unternehmen
Business-Prozesse digitalisieren, also Produkte daraufhin untersuchen, wie sie sich mit Hilfe der Technik verändern beziehungsweise in Services umwandeln lassen;
Dabei helfen, Business-Modelle zu ändern (Beispiele sind hier Autoversicherung nach gemessenen Fahrtkilometern, quasi "pay as you drive", oder der 3D-Druck von Ersatzteilen dort, wo es im Prozess am sinnvollsten ist);
"Business-Momente" entdecken und nutzen, sprich: die kurzen Zyklen ausnutzen, Kickstarters unterstützen, Crowd-Funding und Crowd-Sourcing nutzen, spontane Aktionen des Business flexibel abbilden.
Technik nicht länger der Business-Sklave
"Früher war die Technik ein Bürger zweiter Klasse, quasi der Sklave des Business", ergänzte Nick Jones, Vice President und Distinguished Analyst bei Gartner. "Diese Auffassung ändert sich gerade." Wer wirklich gut im Business sein will, muss heute auch wirklich gut in Technik sein.Der 3D-Druck werde sowohl das Design als auch die Produktion umkrempeln, prognostierte Jones. Es werde möglich, kleine Serien "on demand" zu erzeugen, Schuhe wirklich passgenau, nämlich individuell zu produzieren, ganze Häuser aus einem Guss zu fertigen etc.
Nur jeder zweite CIO fühlt sich bereit
Und wie fühlen sich die CIOs angesichts dieser Perspektiven? Machen von ihnen ist etwas mulmig zumute. Nur jeder zweite glaube, er sei für die Digitalisierung des Business vorbereitet, berichtet Vice-President und Gartner Fellow Dave Aron. Das sei umso erstaunlicher, als 90 Prozent die Ansicht äußerten, sie hätten ihre IT voll im Griff. Doch wie aus Produkten Services werden und wie man den Kunden tiefer verstehen könne, sei ihnen häufig noch schleierhaft. Klar sei ihnen hingegen, dass diese Dinge wichtig sind. "Digital ist keine Option, es ist die neue Realität", stellte Aron klar: "Das ist tief verbunden mit allem was wir im Job und privat tun".
"Seien Sie derjenige, der die digitale Geschichte erzählt", ermunterte Aron die rund 2000 anwesenden CIOs. Allerdings verhehlte er nicht, dass der CIO neben seinen neuen Aufgaben auch noch die alten erledigen müsse. "Dazu brauchen wir dann eine IT-Führung mit zwei verschiedenen Tempi: eine schnell drehende für die Digitalization und eine gründlichere für die traditionellen IT-Themen.“
Ein Lösung für alle gibt es allerdings nicht, betonte Aron: "IT-Leadership ist niemals Geschmacksrichtung Vanille." So wenig, wie sich CIOs auf bewährte Technik und langfristige Lieferanten verlassen könnten, so seien sie in der Lage, dem Beispiel anderer zu folgen. Sie müssten ihren eigenen, zum Unternehmen passenden Weg gehen.