Der mächtigste Mann der Welt hat 100 Tage, um sich einzuarbeiten. Danach wird der US-amerikanische Präsident an seinen Errungenschaften gemessen - und meistens in der Luft zerrissen. Auch Entscheider werden an den berühmten "first 90 days" gemessen.
90 Tage sind viel zu wenig, um wirklich effektiv etwas bewegen zu können, meint Professor Joe Peppard von der ESMT European School of Management and Technology in Berlin. Er hat in einer Studie untersucht, wie lang CIOs brauchen, bis sie das Ruder übernehmen. "Zwei bis drei Jahre dauert es schon", sagt Peppard.
3 Phasen der Einarbeitung
Insgesamt hat Peppard drei Phasen identifiziert: In der ersten Phase, die etwa sechs Monate dauert, lernt der CIO die Organisation kennen. Die zweite Phase, die Stabilisierung, beginnt recht bald nach Jobbeginn und dauert etwa ein Jahr. "Die Projekte, die man vom Vorgänger übernommen hat, müssen fertig gestellt werden und der CIO baut sich sein eigenes Team zurecht", erklärt Peppard. In der letzten Phase, der Erneuerung, kann der CIO erst beginnen, mit der IT strategisch etwas beizutragen. Bis er die Hebel bedienen kann, dauert es Monate, sogar Jahre. Doch die Zeit wird ihnen selten gegeben.
Der Druck auf die IT-Entscheider ist groß: "Die Kollegen erwarten, dass die Probleme, wegen der vielleicht der Vorgänger gehen musste, in kurzer Zeit gelöst werden können", sagt Peppard. Diese Erwartungshaltung hänge wiederum damit zusammen, dass auf der Entscheider-Ebene viel Unwissen über technische Zusammenhänge herrsche. Peppard spricht von "Digital illiteracy". Der CEO reduziere oft den CIO auf die Rolle des Technologie-Managers. Das liegt mitunter an den IT-Entscheidern selbst.
Die Rolle des CIO
Neue CIOs müssen sich mit ihrer Rolle zurecht finden. Denn die lange Einarbeitungsphase liege auch darin begründet, dass CIOs oft Probleme mit ihrer Funktion hätten, sagt Peppard. "Viele haben einen Ingenieurs-Hintergrund und sind gewohnt, in festen Strukturen zu handeln. Aber ein CIO ist eine Business-Funktion - da gibt es kein Regelwerk." Viele IT-Entscheider sähen sich in erster Linie als IT-Professionals und weniger als Führungskräfte, die auch für die IT zuständig seien, erklärt der Wissenschaftler. "Als CIO muss man Beziehungen knüpfen und hat auf einmal mit Unternehmenspolitik zu tun. Einige ziehen sich dann auf die Rolle des IT-Leiters zurück", erzählt Peppard über seine Forschungen. "Viele IT-Entscheider sind eher introvertiert und fühlen sich in der Rolle des Anführers nicht sehr wohl." Das solle nicht heißen, dass sie keine guten Führungspersönlichkeiten wären - aber es erklärt, warum CIOs mehrere Monate brauchen, um sich in ihrer neuen Rolle zurecht zu finden.
Dass Einarbeitung nicht nur drei Monate beansprucht, weiß Peter Leukert, früher CIO und jetzt bei der Beratungsfirma Capco, aus eigener Erfahrung. "Wenn ein CIO ins Unternehmen kommt, muss er nicht nur seine eigene Funktion verstehen, sondern im Prinzip auch jeden einzelnen Geschäftsbereich, deren Strategien und die operativen Treiber kennen", zählt er auf. Damit müsse sich ein CIO nicht nur strategisch, sondern auch operativ in das gesamte Unternehmen einarbeiten. "Das ist ja einer der Gründe, die den Job so spannend machen", sagt Leukert, CIO des Jahres 2011. "Aber das dauert eben seine Zeit."
Die drei Monate reichen gerade mal aus, um sich zurecht zu finden: "Viele der befragten CIOs sagten, dass sie etwa drei Monate brauchten, bis es Klick gemacht hat und sie das Gefühl hatten, die Kultur und die Organisation zu kennen", sagt Peppard."Um eine realistische und umsetzbare Strategie zu entwicklen, benötigt ein CIO in der Regel realistischerweise sechs bis neun Monate", schätzt Leukert. Sogar ein ganzes Jahr dauere es, bis man die Organisation bis ins letzte verstanden habe. "Eigentlich muss man einen Zyklus erleben - einen Budgetzyklus, von einer Bilanzpressekonferenz bis zur nächsten -, damit man als CIO weiß, wie die einzelnen Spieler agieren. Dazu gehört auch, dass man als CIO mal eine Krise mitmacht", erklärt Leukert seine Einschätzung. Erst dann könne man überhaupt große Entscheidungen treffen.
Immer mit der Ruhe
Wer schnell aus der Hüfte schieße und alles neu machen wolle, der würde an großen Projekten scheitern, meint Leukert. Dem kann Peppard nur zustimmen: "Mein Rat für neue CIOs: Sie sollten nicht versuchen, Veränderungen zu schnell durchzusetzen. In den ersten Monaten sollte man nur das Unternehmen kennen lernen", rät er. "Man findet selten jemanden, der innerhalb von 90 Tagen die Zielarchitektur neu festlegt und sie dann genauso durchsetzt", stimmt Leukert zu.
Die vermeintliche Trägheit der IT-Entscheider liegt auch an der Komplexität der Systeme. "In den IT-intensiven Branchen, wie etwa im Bankensektor oder der Telekommunikation, gibt es riesige Systeme, die über Jahrzehnte gewachsen sind und hochkomplex sind", erklärt Leukert. "Wenn ein CIO einen Veränderungsvorschlag bringen will, muss er diese Architektur immer im Hinterkopf behalten."
Dilemma
Schnellschüsse sind schlecht, tatenlos darf ein Entscheider in dieser Zeit aber auch nicht wirken. "Als CIO steht man vor einem Dilemma, denn das Umfeld gibt einem oftmals nicht länger Zeit, als eben die typischen 90 Tage. Macht man nichts, denkt der Rest des Unternehmens, dass man ein wenig langsam in der Birne sei", sagt Leukert. Er setze daher auf das, was in der Studie als "low hanging fruit" bezeichnet wird: kleine Lösungen mit großer Wirkung. "Steht das Unternehmen unter Kostendruck, kann ich innerhalb von 90 Tagen sehr gut Kostensenkungsansätze entwickeln", erklärt er. Auch best practice Ansätze aus anderen Stellen seien eine gute Lösung. "Man findet da schnell eine Menge an Themen, die abzuarbeiten sind."
Der Berater und ehemalige CIO weiß, wie man im neuen Job aktiv wird, ohne gleich am großen Ganzen zu feilen. "Als ich bei der Commerzbank anfing, war meine Diagnose, dass bei den Mitarbeitern noch viele Kompetenzen ungenutzt waren. Innerhalb der ersten sechs Monate konnte ich gut einen sehr stark partizipativen Prozess anstoßen und Karrieremodelle entwickelnd, die auch der Fachkarriere viel Raum gaben", erzählt Leukert. Erst im zweiten Schritt habe er architektonische Themen angestoßen. Anders war es beim Börsenbetreiber NYSE Euronext. "Da musste ich erst das Vertrauen zwischen den Aufsichtsbehörden und der IT aufbauen - das hat lange gedauert", sagt Leukert und bestätigt damit Peppards Theorie.
Allerdings warnt Peppard davor, alte Maßnahmen neu aufzusetzen. "Nur, weil es in der Vergangenheit funktioniert hat, heißt es nicht, dass es wieder klappt", meint er. "In der alten Firma mag Outsourcing zwar eine gute Idee gewesen sein. Aber man sollte darauf achten, ob die Maßnahmen auch zur Unternehmenskultur passen." Ein schwieriges Unterfangen, das Fingerspitzengefühl erfordert.
Aufklärung
Dass bei C-Level-Kollegen tatsächlich oft Unverständnis herrscht, wie komplex die IT eigentlich ist - und dass Projekte einfach lang dauern -, ist Kollegen oft schwer zu vermitteln. "Wenn ich das Kernsystem verändern will, dauert das seine Zeit. Aber da verlieren den CEOs manchmal die Geduld, weil man keine schnellen Erfolge vorweisen kann", sagt Leukert. Hinzu komme, meint der Berater: Die Erfolgsrate bei Megaprojekten on time und im Budget zu vollenden, liege bei etwa 30 Prozent. Angesichts dessen sei es wichtig, mit seinem Chef zu besprechen, woran man gemessen werde.
Dazu rät auch Peppard: "Neue CIOs sollten unbedingt abklären, was "Erfolg" tatsächlich bedeutet." Darüber klagt auch Leukert: "In der IT kann man den Erfolg auch schwer messen. Ein Vertriebsleiter ist an der Marge und dem Umsatz messbar - aber wir CIOs können qualitativ nur schwer argumentieren." Da können nur klare Richtlinien Abhilfe schaffen, um Beschwerden der anderen C-Level-Kollegen wegen Untätigkeit abzuwenden.
Tipps für den Anfang
Die erste Zeit verbringt ein neuer IT-Entscheider mit Reden und Zuhören: mit seinen C-Level-Kollegen, um Erwartungen und Realität abzugleichen, und mit den Mitarbeitern: "In den ersten Monaten bei der Commerzbank habe ich extrem viel Zeit damit verbracht, mit den internenKunden, also den Geschäftsbereichen, und den Mitarbeitern zu sprechen", meint Leukert. "Zwar kann man nicht mit allen 2500 Mitarbeiter einzeln sprechen, aber auch in Gruppen ist das sehr wertvoll." IT sei ein "people's Business" und man müsse herausfinden, wie die Kommunikationslage sei.
Die Basisaufgaben darf ein CIO deswegen nicht vergessen: "Disaster Recovery und Backup-Lösungen müssen natürlich funktionieren, man muss die Kosten und das Projektportfolio verstehen. Erst dann kann man seinerRolle als CIO gerecht werden und Projekte anschieben."