Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen stehen schon länger auf der Agenda vieler Unternehmen. Doch Pandemien, eine durch internationale Konflikte ausgelöste Energieknappheit und ein größeres Verständnis für die Auswirkungen des Klimawandels haben in jüngster Zeit für einen Schub gesorgt. Laut einer internationalen Studie der Capital Group aus dem Jahr 2022 ist das Interesse an ökologischen, sozialen und Governance-Themen stark gestiegen. Einst als "nice to have" betrachtet, setzen heute rund 90 Prozent der Unternehmen ESG-Lösungen ein (Environmental, Social, Governance).
"Nachhaltigkeit war schon immer wichtig", sagt Brian Kirkland, CIO bei Choice Hotels International. "Was sich in letzter Zeit geändert hat, ist der Grad des Bewusstseins für Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen." Im Mittelpunkt entsprechender Bemühungen stehen Technologien, mit denen sich große Mengen an Informationen analysieren lassen. Unternehmen wollen die Auswirkungen ihres Tuns besser verstehen, kontrollieren und steuern. Dabei entwickeln sich insbesondere CIOs zu Schlüsselfiguren in Nachhaltigkeits- und ESG-Initiativen.
"Wirkungsvolle ESG-Programme erfordern eine Zusammenarbeit zwischen der IT-Abteilung und den Fachabteilungen, ähnlich wie jede andere erfolgreiche Lösung", sagt Andrew Santacroce, Vice President und stellvertretender CIO bei Tokio Marine North America Services. "Wenn wir uns die ESG-Optiponen ansehen, sind die Technologieführer am besten positioniert, um entsprechende Lösungen zu liefern".
Auffällig ist, dass die IT-Chefs nicht darauf warten, von ihren Chefs oder Vorständen zu Nachhaltigkeitsprojekten gedrängt zu werden. Sie ergreifen immer öfter selbst die Initiative oder schließen sich mit anderen Führungskräften zusammen, um neue Wege zur Förderung der Nachhaltigkeit in der IT und im gesamten Unternehmen zu finden.
CIOs wollen den Wandel vorantreiben
"Wir sind der Meinung, dass Nachhaltigkeit zu lange das Problem anderer war und es an der Zeit ist, dass IT-Führungskräfte zusammenstehen und den Wandel vorantreiben", sagt Kirkland. Anfang dieses Jahres haben sich etliche prominente CIOs der neugegründeten gemeinnützigen Organisation SustainableIT.org angeschlossen. Sie möchten gemeinsam Best Practices und Metriken definieren, um die Transparenz und den Fortschritt von Nachhaltigkeitsprogrammen zu erhöhen. "Wir wollen den Standard und den Nordstern für IT-Führungskräfte setzen, an dem sie sich bei ihren ESG-Bemühungen orientieren können", sagt Kirkland, ein Gründungsmitglied der Organisation.
IT-Führungskräfte wollen aber weniger über Nachhaltigkeitsprobleme sprechen, sondern über die Chancen, die sie für ihre IT-Abteilung, ihr Unternehmen und ihr Umfeld sehen. "Wenn ich anderen IT-Managern von unseren Aktivitäten erzähle, bekomme ich erstaunlich viel positives Feedback", berichtet Bryan Muehlberger, CIO bei Vuori Clothing, der auch im Vorstand von SustainableIT.org sitzt. "Es gibt ein gesteigertes Informationsbedürfnis zum Thema Nachhaltigkeit. CIOs sehen darin eine Chance, den Wandel voranzutreiben".
Sustainability: Ein breites Spektrum an Möglichkeiten
ESG ist beispielsweise schon seit mehr als zehn Jahren eine strategische Priorität bei Morgan Stanley. Als eine der ersten Wall Street-Banken hat das Unternehmen 2009 eine globale Einheit für nachhaltige Finanzen gegründet. In den letzten Jahren habe die Dringlichkeit des Themas jedoch zugenommen, sagt Katherine Wetmur, die als CIO auch Themen wie Technology Risk, Resilience und Cybersecurity verantwortet. "Wir merken das vor allem an den weltweiten Wetterereignissen, die uns die erschreckenden Auswirkungen des Klimawandels vor Augen führen."
Es gibt immer Schlüsselvariablen, die die IT-Abteilung berücksichtigen muss, sei es bei der Bewertung von Modernisierungsmaßnahmen oder bei der Bereitstellung einer neuen Applikation oder auch nur einer neuen Funktion. Zu diesen Variablen gehört jetzt auch Nachhaltigkeit ."Wir sehen mehr und mehr, wie wir als CIOs diese Variable berücksichtigen können, indem wir alle Unternehmensteile mit entsprechenden Daten und Informationen versorgen, die sie für ihre Pläne benötigen", so Wetmur.
Die Möglichkeiten für CIOs, die Nachhaltigkeit in der IT und im gesamten Unternehmen zu verbessern, sind breitgefächert. "Das liegt vor allem daran, dass der CIO so viel Kontrolle über die Technologie hat, die die Nachhaltigkeit beeinflusst", sagt Muehlberger von Vuori. Die IT könne etwa die Nachhaltigkeit durch die Art und Weise verbessern, wie Entwickler den Code für eine E-Commerce-Plattform schreiben oder wie die IT-Abteilung Daten effizienter erfasst, anstatt sie zu duplizieren. Sie spiele auch bei unternehmensweiten Sustainability-Initiativen eine wichtige Rolle, von der Beschaffung von Rohstoffen bis zur Auslieferung auf der letzten Meile.
Kirkland von Choice Hotel spricht wahrscheinlich für die meisten CIOs, wenn er sagt, dass die größte Herausforderung in Sachen Nachhaltigkeit die Zeit ist. "Der Tag hat nicht genug Stunden, um alles zu tun, was wir tun wollen. Und wenn man den Daten über die ESG-Aktivitäten in Unternehmen auf der ganzen Welt Glauben schenkt, läuft uns die Zeit davon, um unseren CO2-Fußabdruck zu verändern."
Nachhaltigkeit beginnt in der IT
Ein Bereich, in dem CIOs zuerst ansetzen sollten, ist natürlich die IT selbst. Choice Hotels etwa war das erste Hotelunternehmen, das vollständig auf die Public Cloud setzte und über einen Zeitraum von drei Jahren mehr als 1.000 Anwendungen in die Amazon-Cloud verlagerte. "Die Entscheidung, ganz auf die Cloud zu setzen, fiel uns aus vielen Gründen leicht", sagt CIO Kirkland. "Alles, was wir im Bereich der Technologie tun, muss mit dem geschäftlichen Nutzen verbunden sein; deshalb existieren wir. Diese Entscheidung hat sich gleichzeitig positiv auf die Geschäftsergebnisse und die Nachhaltigkeit ausgewirkt."
Der IT-Betrieb in der Cloud führt zu einer höheren Serverauslastung. Das bedeutet, dass Choice die damit verbundenen Kohlendioxidemissionen drastisch verringern kann, so Kirkland. "Und es geht nicht nur um Kostenvermeidung und Effizienz", fügt er hinzu. "Der Betrieb in der Cloud hat dem Unternehmen zahlreiche Vorteile gebracht, insbesondere während der Pandemie, bei der die Reaktionsgeschwindigkeit und die Fähigkeit, schnell umzuschalten, so wichtig waren."
Vuori Clothing, ein Unternehmen, das etwa 75 Jahre jünger ist als Choice Hotels, arbeitet zu 100 Prozent Cloud-basiert, sagt Muehlberger. "Während wir APIs und Konnektivitäts-Schichten aufbauen, bewegen wir uns auf eine serverlose Umgebung zu, damit wir keine CPU-Power oder andere Ressourcen verschwenden."
Cloud-Migration verringert den CO2-Fußabdruck
In den meisten IT-Funktionen ist die Cloud-Migration das erste Gebot in Sachen Nachhaltigkeit. Aber die Infrastruktur ist nur ein Teil der Gleichung, wenn es um die Berechnung des CO2-Fußabdrucks geht. "Die Frage 'Was noch?' ist der Punkt, an dem es komplizierter wird", sagt Kirkland, der plant, das letzte Rechenzentrum des Unternehmens 2023 zu schließen. Der Schwerpunkt verlagert sich dann auf die Rationalisierung von Testdatenumgebungen und die Maximierung der technischen Effizienz bei gleichzeitiger Minimierung der Infrastrukturkosten. Das ist auch ein wichtiger Aspekt für die in der SustainableIT.org zusammengeschlossenen CIOs.
Eine der größten Herausforderungen für Wetmur ist die Senkung der Kosten bei gleichzeitiger Bereitstellung neuer Lösungen für das Business und die Kunden von Morgan Stanley. Die Fähigkeit, nachhaltige Software-Entwicklung in die IT-Kultur zu integrieren, sei dabei entscheidend. "Das wird uns dabei helfen, den CO2-Fußabdruck unserer Anwendungen als Teil des Softwareentwicklungslebenszyklus zu berücksichtigen" berichtet Wetmur. "Zudem können wir die Messbarkeit und Transparenz verbessern, unnötige Zyklen reduzieren und unsere Hardware besser nutzen. Wir sind ständig auf der Suche nach neuen Lösungen und lernen, wie wir diese Anwendungen nachhaltiger verwalten können."
Für Nachhaltigkeit braucht es viel mehr Daten
Parallel zu ihren internen Bemühungen arbeiten CIOs auch an übergreifenden Initiativen, um die Nachhaltigkeitsziele ihrer Unternehmen zu unterstützen. Investoren, Aufsichtsbehörden, Kunden und Partner in der Lieferkette fordern mehr Transparenz bei der Klima- und Nachhaltigkeitsberichterstattung. Das gilt auch für das Topmanagement.
Bei Choice Hotels arbeitet die IT-Organisation nun mit einem neuen Vice President of ESG zusammen. Seine Aufgabe ist es, die Bemühungen intern und mit den Franchisenehmern zu koordinieren, um ESG-Aktivitäten von mehr als 7.000 Hotels auf der ganzen Welt zu steuern. "Wir haben mit dem Sammeln und Messen von Daten begonnen", berichtet Kirkland.
Bei Morgan Stanley kooperiert die IT-Organisation von Wetmur mit der ESG-Funktion des Unternehmens. Die IT-Abteilung arbeitet zudem mit der globalen Gruppe für nachhaltige Finanzen zusammen. Diese ist auch mit dem Sustainable Insights Lab von Morgan Stanley verbunden, das zentralisierte ESG-Daten und quantitative Analysen bereitstellt.
Sustainability kann das Wachstum fördern
Eine der größten Herausforderungen im Bereich Nachhaltigkeit bestehe darin, "den Wert dieser Arbeit zu definieren", sagt Lesley Salmon, Senior Vice President und Global CIO bei Kellogg. "Es ist wichtig, dass wir unseren Aktionären zeigen, wie diese Investitionen das Wachstum vorantreiben und nicht nur die Risiken mindern."
Daten spielen bei den Bemühungen des internationalen Lebensmittelherstellers eine zentrale Rolle. "Datenmanagement, Automatisierung und Analytik sind entscheidend für die Überprüfung unserer Fortschritte im Bereich ESG", sagt Salmon. Die Nutzung von Daten und das Management von Nachhaltigkeit in der Lieferkette seien aber auch herausfordernd. "Wir haben eine komplexe Lieferkette, und viele Landwirte, insbesondere kleinere, haben keinen Zugang zu den nötigen Technologien."
Eine Nachhaltigkeitsplattform für die Zukunft
Der Weg in die Zukunft führt auch über eine stärkere Automatisierung von ESG-Berichten und ihrer Bereitstellung. "Unternehmen werden damit beginnen, APIs zu erstellen und Informationen über ihre Arbeit offenzulegen, damit andere sie nutzen, analysieren und weitergeben können", prognostiziert Muehlberger von Vuori Clothing. Zu den Aufgaben von SustainableIT.org gehöre es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die definieren, welche Daten erfasst werden sollten, wie sie erfasst werden und welche Standards für die Veröffentlichung und den Austausch gelten. Muehlberger: "Wir wollen einen Standard und ein Regelwerk schaffen, damit CIOs das Rad nicht neu erfinden müssen."
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation cio.com