Virtuelle Teams galten als billige und schnelle Lösung, um international effizient und schnell ein Projekt zu schaffen. Mittlerweile haben viele Chefs erkannt, dass virtuelle Teams nicht die Wunderlösung sind. Derzeit scheitern zu viele virtuelle Projekte: "Die Zusammenarbeit in einem Großteil der virtuellen Teams funktioniert nicht", sagt Frank Döring, Partner bei der Beraterfirma Rochus Mummert. "Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sogar sagen, dass viele nur leidlich funktionieren und einige sogar katastrophal sind." Döring glaubt, dass sogar noch mehr als 75 Prozent der Teams nicht erfolgreich zusammenarbeiten. Diese Zahl hat eine Studie der Deutschen Telekom ergeben.
Virtuelle Teams müssen sein
Also lieber gleich lassen und wieder mit konventionellen Teams arbeiten? Für Michael Kollig, CIO von Danone, lautet die Antwort Nein: "Im Prinzip haben wir gute Erfahrungen mit virtuellen Teams gemacht und angesichts der fortschreitenden Globalisierung sind sie auch unumgänglich." Das sieht auch sein Kollege Gerald Höhne, CIO bei SMA Solar Technologies, so: "Wenn wir neue Wechselrichtersysteme einführen, müssen wir schon mal mit virtuellen Teams arbeiten. Teilweise auch international."Es geht nicht anders. Nur sollten Führungskräfte einiges beachten, wollen sie erfolgreich virtuelle Teams leiten.
Viele virtuelle Teams scheitern daran, dass die Kommunikation nicht auf das virtuelle Vorgehen abgestimmt wird. "Oft erschöpft sich die Unterstützung in der Implementierung von technischen "Enablern" ", sagt CIO Kollig. Er warnt davor, sich ausschließlich mit den technischen Voraussetzungen aufzuhalten. "Themen wie Führungskultur, Teamdynamik oder Kommunikation und Kollaboration fallen mehr oder weniger unter den Tisch", so Kollig weiter. Dabei sind das die Knackpunkte: Kommunizieren die Teammitglieder - und der Chef - nicht gut miteinander, wird das Team scheitern.
Damit die Zusammenarbeit funktioniert, muss der Teamchef simple Parameter abklären. Sprechen alle Teammitglieder Englisch? "Beherrscht einer die Projektsprache nicht gut, ist das schon ein K.O.-Kriterium", sagt Management-Beraterin Sonja App, die jüngst einen Praxisratgeber über virtuelle Teams veröffentlicht hat. Zur Not müssten Crashkurse abgehalten werden, um ein Basisverständnis jenseits der Fachsprache zu erlangen. Ohne gemeinsame Kommunikationsbasis funktionierten virtuelle Teams nicht. Verweigere sich dem ein Mitglied, sollte erwogen werden, es wieder aus dem Team zu entfernen: Die Reibungsverluste könnten zu groß sein.
Daneben sollten auch die Arbeitsmittel gleich sein, eine weitere Selbstverständlichkeit, die sich zum Stolperstein auswachsen kann, ist Beraterin App überzeugt: "Haben Teilnehmer unterschiedliche Versionen eines Tools, verzögert das ein Projekt. Alle im Team müssen mit den Tools vertraut sein und umgehen können." Im Zweifel gilt es die Teilnehmer im Umgang mit den Tools vor Projektstart zu schulen. Um die Akzeptanz des Teams für die Arbeitswerkzeuge zu erhöhen, kann der Projektleiter die Auswahl der Software zur Diskussion stellen. Selbst wenn alle über die gleiche Version verfügen, sollte die Führungskraft sicherstellen, dass alle die gleichen Berechtigungen haben. Kann ein Mitglied nicht auf alles zugreifen, führt das auch zu erheblichen Zeitverzögerungen.
Knackpunkt interkulturelle Kompetenzen
Vor allem in international zusammengestellten Teams kommt es oft zu Problemen. Das liegt nicht nur an der Zeitverschiebung, die Telefonkonferenzen auf enge Zeitfenster begrenzt oder unmöglich macht. "Natürlich gibt es kulturelle Differenzen, und manche Mitarbeiter haben eine regelrechte Aversion, in virtuellen Teams zu arbeiten", berichtet CIO Höhne über seine Erfahrungen mit virtuellen Teams. "Auch im kulturellen und religiösen Bereich prallen oft Welten aufeinander", sagt Beraterin App. Sogar zwischen Großbritannien und Deutschland sind die Unterschiede in der Arbeitskultur riesig, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Das sollte allen bewusst sein. Ein Feiertag in einem anderen Land kann einen straffen Zeitplan durcheinander werfen: Keiner darf davon ausgehen, dass die anderen alles automatisch wissen. Nichts darf selbstverständlich sein.
In der interkulturellen Kommunikation können aber klare Ansagen und bestimmte Vorstellungen, wann welcher Projektschritt wie zu erledigen ist, beim Gegenüber auf großes Unverständnis stoßen - und umgekehrt. "Eine Führungskraft muss die Unterschiede thematisieren", sagt App. Das allein reicht nicht aus: Je nachdem, wie die Teams zusammengesetzt seien, rät CIO Höhne zu einem interkulturellen Trainer. "Jedes Land hat ja unterschiedliche Arbeitsmodelle. Mit einem Training lässt sich ein Schiffbruch des Projektes vermeiden", sagt Höhne.
Dabei müssen die Teams nicht einmal aus unterschiedlichen Ländern stammen: Oft scheitern Projekte an den sozialen Kompetenzen. "In der IT zählt oft in erster Linie die Fachkompetenz. Sozialen Fähigkeiten wird manchmal eine niedrigere Priorität eingeräumt", sagt App. Da in virtuellen Teams der persönlioche Kontakt fehlt, ist von allen Mitgliedern noch mehr Feingefühl im Umgang miteinander gefordert. Muss ein Projektleiter sein Team unter extremen Zeitdruck zusammenstellen, kann er auch nicht alle Kriterien der Personalauswahl berücksichtigen, weiß Beraterin App. Bringen Teammitglieder nicht die passenden Voraussetzungen mit, müssen sie nachgeschult werden. App schlägt Lessons-Learned-Workshops vor, die nach Erreichen von Teilzielen abgehalten werden. Aber auch das bringt nichts, wenn der wichtigste Punkt nicht beachtet wird.
Der Ausgangspunkt einer erfolgreichen Zusammenarbeit ist Vertrauen: "Das ist der Kitt, um gemeinsam schwierige Probleme zu lösen. Es ist die Basis für Leistungswillen und Motivation", sagt Berater Döring. Aber virtuelle Teams, die sich noch nie gesehen haben, können nur schwer Vertrauen aufbauen. Zwar gibt es das so genannte Swift Trust Phänomen: "Man vertraut sich erst einmal ganz unbegründet", erklärt Döring. "Dieses Vertrauen ist aber hochsensibel - und kann sehr schnell zerstört werden." Das erklärt, warum etwa schon eine zu spät beantwortete Email eine ganze Gruppe aus dem Rhythmus bringen kann: Die Mitglieder vermuten böse Absicht dahinter - eine Katastrophe für die Zusammenarbeit.
Kick-off: Ein persönliches Treffen muss sein
Doch Vertrauen entsteht nicht von selbst. Die Führungskraft sollte dafür sorgen, dass sich die Mitglieder besser kennen lernen. Für Teams, die bereits große Erfahrung mit der virtuellen Projektarbeit gemacht haben, gibt es eine virtuelle Lösung: "Um Vertrauen aufzubauen, kann der Teamleiter etwa anregen, eine virtuelle Galerie anzulegen, wo alle ihre Erfahrungen und Interessen eintragen", schlägt App vor. Aber auch das kann nicht die einzige Maßnahme sein: "Es gibt keine virtuelle Plattform, in der sich dieses Vertrauen aufbauen lässt", sagt Berater Döring.
Teamleiter, da sind sich auch alle CIOs einig, müssen in den sauren Apfel beißen. Um ein persönliches Treffen kommt man nicht herum. "Trotz aller Kosten - ohne physischen Kontakt beim Kick-Off geht es nicht", sagt CIO Höhne. Ein Treffen, zu dem alle Teammitglieder notfalls eingeflogen werden, ist für den Erfolg des Projekts also unabdingbar. "Nur dann können sie Vertrauen zueinander aufbauen und Verständnis füreinander. Meiner Erfahrung nach laufen die Teams dann sehr gut", sagt Höhne. Es mache einen Riesenunterschied, ob man sich vorher gesehen hat. Über den persönlichen Kontakt wird viel mehr vermittelt. Das Treffen sollte aber nicht nur dem Projekt dienen, sondern kann auch mit einer Tool-Schulung oder einem interkulturellen Training verbunden werden. Natürlich, es gibt Ausnahmen: "Sind alle schon sehr erfahren in der virtuellen Zusammenarbeit und kennen sich bereits persönlich, kann das sehr gut auch ohne persönliche Treffen laufen", sagt App. Aber diese Erfahrung dürften momentan die wenigsten Teammitglieder mitbringen.
Für den Projektanfang geht CIO Kollig einen Schritt weiter und rät, Schritt für Schritt vorzugehen: "Am Anfang sollte man sehr regelmäßig Präsenzmeetings abhalten." Dabei sollte der Fokus klar darauf liegen, wie genau das Team miteinander arbeitet. "Das kann kein Thema nebenher sein, sondern muss am Anfang bei der Implementierung eines virtuellen Teams im Vordergrund stehen", sagt Kollig. Sonst passiert das, was jedes Team ins Wanken bringt: Alle reden miteinander, aber kommunizieren nicht.
Videokonferenzen helfen - mehr nicht
Natürlich geht es nicht ohne Videokonferenzen. Sie können einen positiven Effekt auf die gesamte Mannschaft haben: "Man spricht dann auch über Themen, die nichts mit dem Projekt zu tun haben", sagt Sanone-Manager Kollig. Das ersetze zwar keinen persönlichen Kontakt. "Aber es ist gut, wenn man auch über private Dinge plaudert. Zwischen den Zeilen wird da sehr viel mehr mitgegeben", sagt Höhne. Daher seien Videokonferenzen in virtuellen Teams sinnvoller, als nur per E-Mail zu kommunizieren. Nur muss sich der Chef darüber im Klaren sein, dass Videokonferenzen nur Hilfsmittel sind. "Die weitaus größere Herausforderung ist es, Arbeitsweisen und Kommunikationsverhalten der Virtualität anzupassen", sagt Kollig. Virtuelle Teams erfordern auch von den Chefs ganz neue Fähigkeiten.
Der Chef muss delegieren
Teamleiter sollten sich bewusst sein, dass klassische Hierarchien in virtuellen Teams nicht mehr funktionieren. "Der Chef ist eher Moderator und sollte partizipativ führen", sagt App. Kann er nicht delegieren, wird das Projekt schnell zur Katastrophe. "Delegation bedeutet in dem Kontext Aufgabenstellung, Herangehensweise und Arbeitseinteilung primär dem Mitarbeiter zu überlassen", sagt Kollig. Dafür muss ein CIO auch bereit sein. Er muss sich, so Kollig, die Frage stellen: "Bin ich als Führungskraft willens und in der Lage, Aufgaben weitestgehend zu delegieren und Erfolg fast ausschließlich am Ergebnis zu messen?"
In virtuellen Teams brauchen Mitarbeiter Freiräume. "Die Führungskraft muss eine Art Coach sein", sagt auch Berater Döring. Er muss immer Ansprechpartner sein und die einzelnen Teilnehmer in die richtige Richtung schubsen. "Von einer Führungskraft werden in einem virtuellen Team andere Fähigkeiten verlangt als in Präsenzteams", sagt App. Zum Beispiel muss der Chef als Social Media Manager darum kümmern, dass die Activity Streams oder die Dokumentation richtig läuft.
Sind die Teams oder der Chef unerfahren, kann man sich auch jederzeit Hilfe von außen holen. "Ein Coach, der das virtuelle Projekt begleitet, kann dem Team zur Seite stehen", sagt App. Ein Coach kann etwa alle zwei Wochen bei Videokonferenzen dabei sein und früh daraufhin weisen, wenn sich ein Mitarbeiter nicht genug einbringt. Wem das zu teuer erscheint: Die Kosten für ein gescheitertes Projekt sind oft viel höher als die Kosten für einen Coach. Zudem fällt ein externer Trainer nur einmal an - lernt der Chef nicht aus seinen Fehlern, passieren die gleichen Fehler immer und immer wieder.
CIOs empfehlen Zweiergespräche
Um alle Mitglieder motiviert und informiert zu halten, sind Zweiergespräche sinnvoll: Auch SMA-CIO Gerald Höhne führt in virtuellen Teams immer wieder Zweiergespräche, um Problemen vorzubeugen und seine Teammitglieder besser kennen zu lernen. Der Chef sollte daher möglichst sensibel sein: "Eine Führungskraft muss kleinste Dinge sofort erkennen und ansprechen", sagt Berater Döring. Hier können kleinere Verhaltensweise schnell in einer Katastrophe münden. "Es ist wichtig, dass der Teamchef die Erwartungen so klar wie möglich kommuniziert. Wenn alle über das Gleiche reden, aber jeder etwas anderes meint, dann kann es nur schiefgehen", rät Höhne anderen Führungskräften. Eines müssen sich Leiter von virtuellen Teams bewusst sein: "Der Transformationsprozess passiert nicht automatisch", sagt Danone-CIO Michael Kollig. Einfach ein Präsenzteam in ein virtuelles Team umformen: Das kann nicht klappen.