Indien out, Ostdeutschland in als Standort für Rechenzentren? Nun, ganz so weit ist es sicherlich noch nicht. Aber die Berater von McKinsey sehen beste Voraussetzungen für Regionen ein wenig abseits der Metropolen mit ihren Firmensitzen, sich als attraktive Standorte für Rechenzentren in Europa und den USA zu profilieren. Die Autoren Ian Finnemore, Greta Kim und Aditya Pande beschreiben im Online-Journal McKinsey Quarterly einen klaren Trend, dass sich keineswegs alle Data-Center-Ressourcen in Offshore-Regionen verabschieden.
Sicherlich werden seit 15 Jahren massiv IT-Services in Länder wie Indien oder Russland ausgelagert – eine von führenden Managementberatungen propagierte Strategie. Vorbei sind aber offenbar die Zeiten, in denen die Marschrichtung ausschließlich diese fernen Länder mit ihren für wenig Geld arbeitenden IT-Spezialisten war.
Alleine aus regulatorischen Gründen müssen laut McKinsey 15 Prozent der Jobs im Rechenzentrum in heimischen Gefilden bleiben. Damit gemeint sind beispielsweise Vorschriften für den Finanzmarkt, die den Transfer von Bankdaten ins Ausland untersagen, und ähnliche Regelwerke für Gesundheitsdaten oder Informationen von sicherheitspolitischer Relevanz. Aber selbst jenseits dieser geregelten Bereiche dürfte ein Viertel der IT-Service-Aufgaben in den Heimatmärkten der Unternehmen oder zumindest in ihrer Nähe verbleiben, so McKinsey. Der Grund: Die Firmen benötigen für diese Tasks eine Schar spezialisierter Mitarbeiter, die außerhalb Europas und der USA so einfach nicht zu finden ist.
Bangalore ist für diese Anforderung offenbar nicht der geeignete Platz, aber auch New York, Los Angeles, London oder Frankfurt am Main kommen dafür nicht in Frage. Die Errichtung von Onshore-Facilities in unmittelbarer Nähe des Firmensitzes erweist sich zunehmend als Eigentor – ganz einfach deshalb, weil die Personalkosten in diesen Metropolen ausufern.
Die Alternative sind laut McKinsey deshalb mittelgroße Städte im Umland – ein weiter gefasster Speckgürtel also. Ideal geeignet sind Städte mit Hochschulen, die eine Kombination aus gut ausgebildeten Fachkräften in ausreichender Zahl und einem vergleichsweise niedrigem Lohnniveau bieten.
Kommunen werben um Ansiedlungen
Nach Einschätzung von McKinsey ist längst ein Buhlen um die Zuschläge großer Konzerne im Gange. Die Firmen können sich häufig zu Nutze machen, dass Kommunen mit angepassten Steuersätzen und Universitäten mit maßgeschneiderten Studiengängen um ihre Gunst wetteifern. Allerdings gilt es auch auf die Aktivitäten anderer Unternehmen aufzupassen. Die als Standorte prädestinierten Städte könnten in der Regel nur ein Rechenzentrum eines Konzerns beherbergen, warnt McKinsey. Für mehr reichten die personellen Ressourcen nicht aus.
„Unserer Forschungen zeigen beständige Einkommensunterschiede von 30 Prozent und mehr zwischen den zentralsten urbanen IT-Arbeitsmärkten und den abschüssigeren“, fasst McKinsey die Ergebnisse einer Untersuchung in Europa und Nordamerika zusammen. Es lassen auch konkrete Regionen benennen, in denen die Suche nach einem Standort besonders aussichtsreich erscheint. In den USA sind das nach Einschätzung der Berater kleine Städte in den Großen Ebenen östlich der Rocky Mountains, im Süden und in den Appalachen, in Europa Nordfrankreich und eben Ostdeutschland.
McKinsey berichtet vom einem globalen IT-Service-Provider aus Deutschland, der eigentlich gen Osteuropa expandieren wollte. Weil an den möglichen Standorten dort das Arbeitskräftepotenzial aber nicht ausgereicht habe, habe sich das Unternehmen dann für eine Ansiedlung in Ostdeutschland entschieden. Auch dort habe man fast 30 Prozent an Kosten eingespart und könne auf die Fertigkeiten von Absolventen von mehr als 60 Hochschulen zurückgreifen, so die Berater.
Viele Unternehmen befinden sich derzeit laut McKinsey in akuten Zugzwang, im „Close-Shore“-Bereich zu investieren. Dies gelte insbesondere für Unternehmen, die die Diversifizierung ihrer IT-Service-Standorte versäumten und deshalb völlig dem Inflationsdruck, den Währungsschwankungen und den operationellen Risiken in Offshore-Regionen wie Indien ausgeliefert seien.
Für die Suche nach geeigneten Close-Shore-Standorten empfehlen die Berater, erst einmal die eigenen IT-Anforderungen weltweit genau zu analysieren. Dabei sollte das IT-Personal in breite Fachgebiete (etwa das Managen von Mainframes), Fertigkeitsstufen (etwa verschiedene Support-Levels) und Erfahrungsniveaus eingeteilt werden.
Der Mix aus Off- und Close-Shoring macht's
Eine US-amerikanische Firma ging im Anschluss erfolgreich so vor: Die Chefs mehrerer Abteilungen bildeten eine Task Force zur Entscheidung über die künftige IT-Strategie. Der CIO kalkulierte und prognostizierte Anforderungen und Kosten für die kommenden fünf Jahre. Die Task Force entschied sich vor diesem Hintergrund fürs Close-Shoring, wählte 50 in Frage kommende mögliche Standorte aus und verhandelte mit den regionalen Entscheidungsträgern. Laut McKinsey wurde letztlich im Mittleren Westen eines neues IT-Zentrum mit mehr als 1000 Mitarbeitern hochgezogen. Die Personalkosten schrumpften um 35 Prozent, zudem konnten 50 Millionen US-Dollar an Subventionen und Steuernachlässen ausgehandelt werden.
Ist Offshoring also out und Close-Shoring das Allheilmittel? Keineswegs, so McKinsey. Unternehmen sollten weiterhin so weit wie möglich die Vorzüge der etablierten Offshoring-Zentren nutzen. Wenn bestimmte Fertigkeiten benötigt werden oder anspruchsvolle Kundenanforderungen erfüllt werden müssen, stelle Close-Shoring die optimale Ergänzung dazu dar. „Unsere Erfahrungen weltweit zeigen, dass erfolgreiche Unternehmen beginnen, auf einen gemischten Ansatz zu setzen“, so McKinsey.