Legacy-Modernisierung versus Lift-and-Shift

Cloud-Migration – darauf müssen CIOs achten

13.06.2017 von Wolfgang Herrmann
Wer Anwendungen in die Cloud verlagern will, sollte nicht nur auf Kostenvorteile schielen, sondern auch eine Modernisierung der Altsysteme prüfen. Lesen Sie, worauf IT-Verantwortliche bei der Cloud-Migration achten müssen und welche Dienstleister dabei helfen können.

Für viele Unternehmen bedeutet Digitalisierung auch, Anwendungen in die Cloud zu migrieren. Der Leuchtmittelhersteller Osram etwa hat die meisten seiner Business-Applikationen in die IBM-Cloud verlagert und verzichtet künftig auf eigene globale Data Center. Weil IT-Verantwortliche im Rahmen von Cloud-Migrationsstrategien häufig auch ihre teuren Rechenzentren loswerden wollen, versuchen sie, möglichst schnell vorzugehen. Doch das ist nicht immer die beste Option, warnt beispielsweise Forrester. Unternehmen sollten auch die Potenziale bewerten, die eine Modernisierung der Anwendungslandschaft bringen kann, bevor sie Systeme in die Cloud hieven.

Die massenhafte Migration von Anwendungen in die Cloud hat gerade erst begonnen. Nicht wenige Unternehmen trennen sich dabei auch von eigenen Rechenzentren.
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Die massenhafte Migration von Anwendungen in die Cloud hat gerade erst begonnen, beobachtet Forrester-Analyst Bill Martorelli. Die Verfügbarkeit einschlägiger Tools und Services erleichtere vor allem "Lift and Shift"-Projekte, in denen Anwendungen mehr oder weniger unverändert migriert werden. Nach seiner Einschätzung ist eine regelrechte "Migrationsindustrie" entstanden, zu der Cloud-Service-Provider ebenso gehörten wie Berater, Systemintegratoren und Anbieter einschlägiger Software-Tools.

Anwendungsmodernisierung und Cloud-Migration verschmelzen

Die großen Systemintegratoren vom Schlage Accenture, Deloitte oder Infosys offerieren aber auch Services für die Modernisierung von Applikationen. Mit den zunehmenden Cloud-Projekten erleben derlei Dienste einen Aufschwung. Projekte zur Cloud-Migration und Anwendungsmodernisierung verschmelzen in der Praxis zusehends.

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Doch wer Anwendungen im großen Stil in die Cloud verlagern will, braucht eine dedizierte Strategie, rät Martorelli: Welche Kandidaten eignen sich überhaupt für eine Migration? Lassen sie sich modernisieren, und wenn ja, auf welche Weise? Erst wenn solche Fragen geklärt sind, sollten IT-Verantwortliche den Schritt in die Cloud wagen.

Doch schon an diesem Punkt beginnen häufig die Probleme. In vielen Unternehmen gibt es unterschiedliche Herangehensweisen in Sachen Cloud-Migration, die sich oft auch in verschiedenen Abteilungen oder "Lagern" widerspiegeln. Die einen möchten in erster Linie Kosten senken, die anderen im Zuge der digitalen Transformation neue Produkte und Services entwickeln. Sie denken an moderne und flexible Anwendungen, die die Potenziale der großen Cloud-Plattformen voll nutzen können. Reine "Lift and shift"-Migrationen rechnen sich in der Regel schnell und schlagen sich positiv in den finanziellen Ergebnissen nieder. Im Fall einer Anwendungsmodernisierung ist die Sache komplizierter: Projektverantwortliche müssen mit budgetären Einschränkungen zurechtkommen; das Management fordert von ihnen den Nachweis, dass sich die oft hohen Investitionen auch rentieren.

Cloud-Provider promoten eine möglichst schnelle Migration

Große Cloud-Provider wie Amazon Web Services (AWS) fördern eine möglichst rasche Anwendungs-Migration ihrer Kunden und bieten dafür einschlägige Dienste an. Erst kürzlich erweiterte AWS sein Migration Acceleration Program um neue Angebote wie AWS Application Discovery Service, AWS Server Migration Service und den AWS Database Migration Service.

Amazon Web Services unterstützt Migrationsprojekte mit seinem Migration Acceleration Program.
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Den richtigen Dienstleister zu finden, ist vor diesem Hintergrund keine leichte Aufgabe, gibt Forrester zu bedenken. Spezialisten für die Cloud-Migration seien nicht notwendigerweise auch kompetent in Sachen Legacy-Modernisierung und umgekehrt. IT-Verantwortliche sollten berücksichtigen, dass jeder Anbieter andere Schwerpunkte setzt. Unterschiede gibt es nach Einschätzung der Analysten vor allem in folgenden Bereichen:

Portfolio-Bewertung

Von Systemintegratoren und Beratungshäusern erwarten Unternehmen insbesondere die Fähigkeit, das Anwendungsportfolio mit Blick auf eine Cloud-Migration schnell zu evaluieren. Diese Leistung gehört heute fast schon zum Standard-Repertoire. Mittlerweile offerieren aber auch Hosting-Anbieter wie Rackspace oder SingleHop solche Dienste. Obwohl sich die Angebote in der Tiefe teilweise erheblich unterscheiden, zeichnet sich eine Entwicklung deutlich ab: Der Schwerpunkt liegt immer öfter auf einer automatisierten Bewertung des Portfolios, um eine Migration möglichst rasch voranzubringen.

Kompetenzen im Migrationsprozess

Geht es um den eigentlichen Migrationsprozess, wird das Feld potenzieller Dienstleister immer breiter. Das liegt auch an der Verfügbarkeit von Migrations-Tools. Selbst klassische Hosting-Provider, die historisch kaum mit Anwendungsmodernisierung in Berührung kamen, verbreitern ihre Angebotspalette und positionieren sich in diesem Segment. AWS arbeitet in Sachen Migration Services mit einer Reihe spezialisierter Dienstleistungspartner zusammen.

Projektgeschäft versus wiederkehrende Cloud-Einnahmen

Auch in der Art der geschlossenen Verträge unterscheiden sich die Dienstleister im Migrationsgeschäft. Zwar handelt es sich dabei in den meisten Fällen um Projektgeschäft, wie Forrester berichtet. Doch gerade die großen Anbieter versuchen verstärkt, den Migrationsprozess mit länger laufenden Managed-Cloud-Services zu verbinden. Zu dieser Gruppe gehört beispielsweise der IT-Konzern IBM, der Applikationen in einfach konsumierbare Einheiten zerlegt und in ähnlicher Form wie Cloud-Infrastrukturdienste offeriert. Auch 2nd Watch ist ein Anbieter, der seine Migrationsdienste eng mit dem Management von Cloud-basierten Workloads verknüpft.

Vier Vorgehensmodelle für die Cloud-Migration

Einen Königsweg für die Cloud-Migration gibt es nicht, urteilen die Forrester-Experten. Dafür seien die individuellen Anforderungen zu unterschiedlich. IT-Verantwortliche sollten besonders strukturiert an derartige Projekte herangehen, denn sie bergen erhebliche Risiken. Dazu gehören negative Kundenerfahrungen ebenso wie Ausfallzeiten, Lizenzverletzungen und Sicherheitslücken. Auch zu hohe Kosten und eine schwache Performance der ausgelagerten IT-Dienste können sich gravierend auswirken.

Einen Königsweg in die Cloud gibt es nicht. Viele Unternehmen kombinieren ihre Migrationsvorhaben mit einer Modernisierung der Anwendungslandschaft.
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Forrester unterscheidet grundsätzlich vier Vorgehensmodelle, die in der Praxis häufig kombiniert werden:

Direkte Migration ("Lift-and-shift")

Aktuell verfügbare Migrations-Tools machen es Unternehmen relativ einfach, Infrastruktur automatisiert von einem lokalen Hypervisor in eine Public-Cloud zu transferieren. Dabei werden naturgemäß nur sehr wenige oder gar keine Änderungen an den Applikationen vorgenommen. Die Befürworter dieses Ansatzes argumentieren, die Public Cloud sei der ideale Ort, um anschließend Optimierungen in Angriff zu nehmen. Warum also nicht gleich alle Workloads in die Wolke hieven?

Die Praxis sieht derzeit noch anders aus, wie eine Studie des auf Cloud-Projekte spezialisierten Softwareanbieters CloudEndure ergab. Demnach schieben Kunden rund die Hälfte ihrer Anwendungen in einem "Lift-and-Shift"-Verfahren in die Cloud. Die andere Hälfte erfährt vorab zumindest einige Modernisierungsmaßnahmen.

Lift-and-extend

Beim Lift-and-extend-Ansatz werden Anwendungen für den PaaS-Layer des Cloud-Anbieters angepasst (Platform-as-a-Service). Auf dieser Plattform können Unternehmen ihre Anwendungen kontinuierlichen erweitern und bei Bedarf grundlegend verändern. Dieses Vorgehen eignet sich sowohl für eigenentwickelte als auch für Standardsoftware. Die großen Systemintegratoren und diverse Cloud-Spezialisten sind aus Sicht von Forrester auf solche Projekte gut vorbereitet. Neben diversen PaaS-Funktionen geht es dabei häufig auch darum, Applikationen auf eine Microservices-Architektur umzustellen.

Ein weiterer neuer Aspekt ist die Interoperabilität zwischen verschiedenen Anbieter-Clouds, die Unternehmen mit größeren Migrationsplänen zunehmend anstreben. In diesem Kontext dürften Container-Techniken eine wachsende Rolle spielen.

Hybrid Extension: Anwendungen in die Cloud verlängern

Statt Anwendungen physisch in die Cloud zu transferieren, können Unternehmen sie auch in die Cloud "verlängern". Dabei bauen sie neue Funktionen in der Public Cloud, während der Großteil der bestehenden Funktionen an einem anderen Ort verbleibt, beispielsweise on-premise, in einer Hosted Private Cloud oder einer Colocation-Einrichtung.

Problematisch bei diesem Vorgehen können Latenzzeiten sein, die von der Entfernung zwischen den Standorten abhängen. Die großen Systemintegratoren und Consulting-Anbieter sind nach Einschätzung von Forrester für Hybrid-Extension-Vorhaben recht gut aufgestellt.

Full Rebuild: Anwendungen neu schreiben

Sofern es einen Business Case gibt, können Unternehmen auch hohe Investitionen in die Neuentwicklung einer Applikation rechtfertigen. Weil dieser Ansatz zeit- und kostenintensiv ist, sollte er auf eine kleine Zahl ausgewählter Systeme beschränkt bleiben, rät Forrester. Eigenentwickelte Anwendungen mit einem hohen Wert für die Organisation ließen sich auf diesem Weg "cloud-ready" machen. Konkret bedeutet das etwa, dass sie skalierbar und in Komponenten zerlegt werden. Das führe am Ende zu Performance-Gewinnen. Profitieren könnten solche Anwendungen aber auch von modernen Programmiersprachen und der globalen Präsenz der Public Cloud. Am besten positioniert für derartige Projekte sind aus Sicht von Forrester die großen Systemintegratoren, darunter Accenture, Cognizant, TCS und Wipro.

Cloud-Migration: Welcher Partner ist der richtige?

Wie finden Unternehmen den richtigen Partner für "ihre" Cloud-Migration? Forrester empfiehlt IT-Verantwortlichen, sich gründlich mit den Kompetenzen und typischen Herangehensweisen der Anbieter zu beschäftigen:

Klassische Beratungsfirmen wie Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PwC werben im Rahmen von Cloud-Projekten meist mit ihren umfassenden Analysekompetenzen in Sachen Geschäftsprozesse und Anwendungsportfolio. Obwohl sie in der Regel auch eigene Ressourcen für die Softwareentwicklung besitzen, sind ihre Fähigkeiten im eigentlichen Migrationsprozess im Vergleich zu den großen Systemintegratoren eher begrenzt, urteilt Forrester. Insofern könnten sie gegebenenfalls ergänzend zu einem Systemintegrator eingesetzt werden.

Vor allem die großen Systemintegratoren offerieren im Rahmen von Cloud-Projekten auch Services für die Anwendungsmodernisierung.
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Die großen Systemintegratoren punkten vor allem mit ihrem Know-how in puncto Legacy-Modernisierung. Sie unterhalten mächtige "Software Factories" und haben mittlerweile auch viel Erfahrung mit Cloud-Projekten gesammelt. Forrester zählt zu dieser Gruppe etwa Accenture, Atos, Capgemini, CSC, EPAM, Fujitsu, Hewlett-Packard Enterprise (HPE) Enterprise Services, IBM, NTT Data und Unisys. Ähnlich gut aufgestellt seien indisch geprägte Dienstleister wie HCL, Cognizant, Infosys, L&T Infotech, TCS, VirtusaPolari und Wipro. Geht es um breit angelegte Modernisierungs- und Transformationsvorhaben einschließlich Neuentwicklungen, sind diese Anbieter in ihrem Metier und Kandidaten für die Shortlist.

Eine Reihe junger Dienstleister hat sich mittlerweile auf Cloud-Migrationsprojekte spezialisiert. Dabei geht es vorwiegend um AWS-Umgebungen, doch Microsoft Azure gewinnt an Bedeutung. Diese Anbieter, darunter 2nd Watch, Cloudreach und Cloud Technology Partners, haben meist die Public Cloud als Zielumgebung im Blick; sie arbeiten eng mit den großen Public-Cloud-Providern zusammen. Diese bauen aber auch selbst Know-how auf. So gehören die Themen Migration und Automation fest zum Portfolio von Amazons AWS Professional Services.

Hosting-Provider wie Connectria, Datapipe, iLand und Rackspace adressieren in der Regel mittelgroße Kunden. Die Komplexität in solchen Projekten ist eher gering, es geht meist um eine schnelle Umsetzung von Migrationsprojekten. Lift-and-Shift ist deshalb das präferierte Vorgehen. Dennoch versuchen Anbieter dieser Gruppe, ihr Know-how in Sachen Cloud-Migration und Anwendungsmodernisierung zu verbreitern. Data Pipe etwa übernahm 2015 die auf AWS-Migrationen spezialisierte Firma DualSpark und 2016 den AWS-Experten Adapt. Rackspace wiederum kooperiert unter anderem mit Cloud Technology Partners sowie mit Wipro.

Kompetenzen für Cloud-Migrationen lassen sich ferner auch über direkte Produktpartnerschaften aufbauen. Amazons Kooperation mit VMware ermöglicht es beispielsweise, komplette VMware-Workloads direkt in die AWS-Cloud zu transferieren. Der Anbieter Cast Software nutzt seine Systeme für die Code-Analyse inzwischen auch zum Identifizieren von Anwendungen, die für eine Cloud-Migration in Frage kommen. Seit kurzem kooperiert Cast mit Microsoft, um Kunden bei der Migration in die Azure-Cloud zu unterstützen.