In der Fernsehwerbung geht alles ganz einfach. Das gibt es zum Beispiel diese einen Tick zu gewollt auf gewitzt getrimmte Faultier-Kreatur, die sich mit dem Laptop in der Hängematte fläzt. Die Botschaft des altklugen Kerlchens: Ein paar Klicks, und schon ist man zum billigsten Stromanbieter gewechselt und hat noch viele andere Sparmöglichkeiten mitgenommen.
In der Wolke müsste es eigentlich genauso simpel sein wie in der TV-Reklame. Denn eigentlich ist die Einfachheit des flexiblen, skalierbaren und günstigen Abrechnens der schlagende Wettbewerbsvorteil des Cloud Computings schlechthin. Die Wahrheit sieht leider anders aus, wie die Analysten von 451 Research zeigen.
Dass ihre Studie „The Cloud Pricing Codex – 2013" satte 46 Seiten umfasst und vom eigenen Anspruch her nur ein erster Schlag ins Dickicht der vielfältigen Preismodelle in der Cloud ist, sagt schon eine Menge aus.
Realität spiegelt Ideal nicht wider
„Cloud Computing versprach einst einfaches, nutzungsbasiertes Abrechnen für Ressourcen – ähnlich wie bei Versorgungsleistungen wie Elektrizität", heißt es in der Studie. „Die derzeitige Realität ist von diesem Ideal weit entfernt." Im Feld Infrastructure-as-a-Service (IaaS), das 451 Research vornehmlich unter die Lupe nimmt, existiert demnach eine unüberschaubare Fülle an Preismodellen. Standards gibt es momentan nicht, und Transparenz ebenso wenig.
Der Umstand, dass lediglich 64 Prozent der IaaS-Provider ihre Preise überhaupt veröffentlichen, mache das Ausloten der besten Cloud-Option zu einer kniffligen Herausforderung für die Anwender, meint 451 Research. Denn das bedeute, dass man mit einem Drittel der Provider Kontakt aufnehmen und verhandeln muss, um überhaupt einen kompletten Marktüberblick zu erhalten.
Playbook erstellen wie beim Football
So bequem wie für das werbende Faultier läuft es deshalb für die Anwender nicht. Um eine Strategie für die digitale Infrastruktur planen zu können, müssen sie sowohl Kosten als auch Risiken auswerten. Verschiedenen Preismodellen wohnen laut 451 Research unterschiedliche Risiken inne. „Um Kosten und Risiken umfassend zu verstehen, können die Anwender ein sogenanntes Digital Infrastructure-Playbook implementieren", raten die Analysten.
In Playbooks werden etwa beim American Football die unzähligen Varianten an Spielzügen festgehalten. 451 Research meint mit der Metapher folgendes: „Einen Plan für die Zukunft der Cloud-Dienstleistungen in der Firma, der berücksichtigt, wie die Fülle an Services aus der Wolke alle geschäftlichen Aspekte beeinflusst."
In der Studie gelingt es immerhin, die vielfältige Preisgestaltung in ein Schema von acht Typen einzuordnen. Die momentan üblichen Pricing-Methoden unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich der Zahlungsbedingungen. Abgerechnet wird entweder im Voraus, nach Verbrauch oder in einer Mischvariante. Gezahlt wird zumeist in Cash, mittlerweile existieren aber auch Kreditvarianten.
Darüber hinaus gibt es Modelle mit wiederkehrenden Zahlungen. Der Ressourcen-Verbrauch wird zwar in der Regel sichtbar gemessen, manchmal aber auch nicht. Bekanntlich wird in der Regel mit fixen Stückpreisen gerechnet – wobei sich allerdings unterscheidet, welche Einheiten genau als Basis benutzt werden. Beim so genannten Spot Pricing wird aber – zeitabhängig und völlig variabel – mit den aktuellen Marktpreisen operiert.
Kompliziertes Bundling von Virtual Machines
Verkompliziert wird die Lage durch das Bundling von Virtual Machines (VM), das von den Anbietern auf unterschiedliche Weise praktiziert wird. Manche Provider bieten laut Studie eine Palette an, aus der sich die Kunden die passende VM herauspicken. Andere rechnen auf Basis der VM-Größe ab. In der ersten Variante können CPU, Memory und Storage zusammengeschnürt. Das geht einher mit der Kombinierbarkeit diverser Komponenten, was Optionen für die Anwender schafft, den Marktüberblick aber weiter erschwert.
Überzeugend arbeitet 451 Research heraus, dass der derzeitige Wildwuchs in einer strukturell gegensätzlichen Interessenlage von Anwendern und Providern wurzelt. Die Anwender wollen im Kern möglichst nutzungsabhängig, ohne Bindung an den Provider, mit nachvollziehbaren Messungen und zu festen Preisen bezahlen. Kurzum: Sie wollen sämtliche Risiken möglichst hin zu den Anbietern schieben. Diese wollen nachvollziehbarerweise das Gegenteil.
On-Demand definiert jeder Provider anders
Das führt verknappt zu einem logischen Szenario. 90 Prozent der Cloud-Provider bieten On-Demand-Pricing an, das Cloud Computing in der Theorie so simpel macht und die genannten Anwenderwünsche durchweg erfüllt. Weil dieses Modell aber für die Provider schwer zu kalkulieren ist und den Cash Flow heikel gestaltet, wird auf Angebotsseite an diversen Schrauben gedreht. Für die Anwender sind die Abweichungen eigentlich immer schwer zu verdauende Kröten; damit sie geschluckt werden, ködern die Provider sie mit Preisnachlässen.
„On-Demand-Pricing ermöglicht das Experimentieren", fasst 451 Research zusammen. „Alternative Preismodelle ermöglichen eine kosten-effektive Implementierung." Selbst mit dem einfachen Einstieg in die Cloud ist es aber so eine Sache: „Unglücklicherweise unterscheiden sich die Provider darin, was genau ‚on-demand‘ meint", so die Analysten. „Welche Verbrauchseinheit wird exakt gemessen, und wie wird gemessen? Welche Ressourcen sind inbegriffen und welche nicht?"
„Die Studie listet die tatsächlichen Preise von Cloud Computing-Ressourcen nicht im Detail auf", bemerkt Brandon Butler von NetworkWorld. „Wahrscheinlich liegt das daran, dass sie sich so häufig ändern – was manche als Preiskrieg zwischen den IaaS-Providern deuten." Um die 60 IaaS-Anbieter hat 451 Research immerhin durchleuchtet. Ein Ergebnis: Amazon Web Services bietet On-Demand, Spot Pricing und Reversed Instance Pricing an, Google und Rackspace sind weniger komplett aufgestellt.
Jede Menge Futter liefert die Studie für die vielen Cloud-Skeptiker unter deutschen CIOs, die zum Beispiel argwöhnen, dass ihnen im Wolken-Schlauch der vertraute Outsourcing-Wein serviert werden soll. In der Tat führt das nach Einschätzung von 451 Research von Provider-Seite unsichere Tasten nach für sie berechenbareren Preismodellen dazu, dass auf diverse aus dem klassischen IT-Outsourcing vertraute Muster zurückgegriffen wird.
Vergleich mir einem Autokauf
Um den Unterschied herauszuarbeiten, vergleichen die Analysten Äpfel und Autos. Man stelle sich einen Autohändler vor, der klar und verständlich den Preis neben dem zum Verkauf stehenden Wagen platziert; ein anderer sendet überhaupt kein Preissignal aus, ein Dritter liefert einen ungefähren Preis, der den Kunden eine Schar versteckter Kosten vermuten lässt. Was macht man da? Nun, weil ein Autokauf mit persönlich hohen Ausgaben verbunden und nicht alltäglich ist, recherchiert man vermutlich die exakten Kosten aus, um wirklich vergleichen zu können. Macht man das aber auch, wenn ein Händler einem einen Apfel feilbietet? Eher nein.
Der Autokauf ist im Urteil der Analysten das Pendant zum klassischen IT-Outsourcing, das ja per se mit hohen Investitionen und einer auf Dauer angelegten Partnerschaft einherging. In der Cloud geht der Einstieg schnell, flexibel und günstig. Daher wagen sich die Anwender sorglos ins Abenteuer, um allmählich festzustellen, dass nicht jeder Apfel schmeckt und bekömmlich ist. Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass sie ganz auf dieses Obst verzichten. Daran haben die Provider auf Sicht selbstverständlich kein Interesse, weshalb 451 Research davon ausgeht, dass sich früher oder später Standards für Cloud-Preismodelle entwickeln werden.
Und sonst? „Es ist unwahrscheinlich, dass der IaaS hin zu einer einzigen Pricing-Methode konvergieren wird", vermuten die Analysten. Die aktuelle Lage biete derweil beste Chancen für Cloud-Dealer, die Cloud-Ressourcen bunkern und für Gewinn weiterverkaufen, und für Cloud-Broker, die Verträge zwischen Providern und ihren Kunden vermitteln. Die derzeit nicht vorhandene Transparenz werde aber von den Anwendern auf Dauer nicht hingenommen werden.