Das Thema Cloud Computing hat einen "Hype" ausgelöst. Die Google-News-Suche weist für das Stichwort die unüberschaubare Menge von 11.226 aktuellen Meldungen aus. In einem Interview mit COMPUTERWOCHE.de bezeichnet der selbsternannte Cloud-Evangelist Andreas von Gunten Cloud Computing als ein "fantastisches Mittel". Die Menschen und die Unternehmen könnten sich auf Innovationen durch Technologie konzentrieren und müssten sich nicht mit der Infrastruktur herumschlagen.
Dem Marktforschungsinstitut Experton Group zufolge ist Cloud Computing denn auch die nächste Welle der IT. Die Analysten von TechConsult sagen dem Segment ein Marktwachstum von 37 Prozent bis 2011 voraus. Die Unternehmen horchen auf bei einem Betriebsmodell, das die massenhafte Nutzung von IT-Leistungen und -Services über das Breitband-Internet ermöglicht. Im Extremfall entfallen sämtliche Vorabinvestitionen in Hard- oder Software. Die Abrechung der genutzten Leistungen erfolgt in der Form von so genannten "pay-as-you-go"-Modellen, der bedarfsgerechten Abrechnung, die sich üblicherweise auf den Nutzer pro Monat bezieht.
Nicht nur Kleinbetriebe oder Start-ups ohne eigene IT-Infrastruktur erhalten über die Cloud mit geringen finanziellen Mitteln Zugang zu modernen Technologien. Auch Großunternehmen profitieren beim Bezug von standardisierten IT-Leistungen in Form von Cloud-Computing-Services. Unterm Strich versprechen sich die Unternehmen vom Cloud-Modell sinkende IT-Kosten. Schließlich entfallen Ausgaben für Hard- und Software.
Skepsis gegenüber Cloud in Europa
In den USA haben einer Studie von F5 Networks zufolge bereits mehr als 80 Prozent der Befragten zumindest mit Test-Implementierungen öffentlicher und privater Cloud-Computing-Dienste begonnen. Die deutschen Unternehmen sind hingegen laut einer Studie des Marktforschers IDC trotz rosiger Zukunftsaussichten noch zögerlich: 75 Prozent der befragten deutschen Unternehmen hatten sich überhaupt noch nicht mit dem Thema beschäftigt. Immerhin gehen jedoch 45 Prozent davon aus, dass sich das Modell in den kommenden Jahren etablieren und eine ergänzende Möglichkeit zur Beschaffung von IT-Services darstellen wird.
"Die Skepsis gegenüber Cloud Computing ist in vielen europäischen Unternehmen vorherrschend", sagt Jürgen Müller, Leiter des globalen Cloud-Programms beim IT-Dienstleister Siemens IT Solutions and Services (SIS). Schärfere Compliance-Vorschriften und ein größeres Sicherheitsbedürfnis führen bei den Unternehmen diesseits des Atlantiks zu einer deutlich konservativeren Haltung gegenüber Innovationen jenseits der eigenen Firewall. "Europäische Unternehmen stellen Fragen wie: Wo sind meine Daten gespeichert und wer hat Zugriff darauf? Was geschieht bei Ausfällen oder Konkurs des Anbieters? Sie wollen schlichtweg mehr Sicherheiten haben in Bezug auf die Cloud."
Nicht alle Daten gehören in die Cloud
Durch die Einrichtung geschützter Privatbereiche wirken IT-Service-Anbieter nach Aussage von Müller den Sicherheitsbedenken der Unternehmen bei der Nutzung von Cloud-Computing-Leistungen entgegen. Dennoch sind nicht alle Unternehmensdaten Cloud-geeignet. Datenskandale wie im vergangenen Jahr bei T-Mobile, als aufgrund eines Server-Fehlers beim Dienstleister Danger tausende von Kundendaten verloren gingen, bestärken viele IT-Verantwortliche in ihren Vorbehalten. Doch solche Vorkommnisse hält SIS-Mann Müller für vermeidbar: "Bei Cloud-Modellen mit einem durchdachten Sicherheitskonzept sind die Daten gekapselt über mehrere Rechenzentren flexibel verfügbar."
Nach Erfahrungen von Müller schützt das die Daten vor Server-Ausfällen ebenso wie vor Datenmissbrauch - "häufig sogar wirkungsvoller als bei Systemen, die von Unternehmen selbst gehostet werden." Cloud-Leistungen zu beziehen eignet sich besonders für nicht wettbewerbskritsche Unternehmensprozesse, die einen hohen Standardisierungsgrad aufweisen. So lässt sich etwa mit Standard-E-Mail-Services, Dokumenten-Management oder CRM-Systemen aus einer Public Cloud Geld sparen. Prominentes Beispiel dafür ist der Münchener Elektronikkonzern Siemens, der Oracles Siebel-CRM on demand nutzt, oder die Technikbörse Nasdaq, die täglich 30 bis 60 Gigabyte an Daten in den Amazon-Web-Speicherdienst S3 transferriert.
Anders sieht es aus, wenn es um die Verwaltung und Speicherung sensibler Unternehmensdaten oder sogar geistigen Eigentums geht. "Cloud-Projekte mit höherer Komplexität erfordern natürlich eine strukturierte Herangehensweise, die die technischen, die auf Geschäftsprozesse bezogenen rechtlichen und finanziellen Aspekte mit einbezieht", sagt Müller. "Primär geht es um die Frage, welche Daten und Anwendungen überhaupt Cloud-geeignet sind."
Beispiel E-Mail und Cloud
Ein Beispiel ist die E-Mail-Kommunikation eines Unternehmens. Zunächst gibt es den Typ der Standard-E-Mail, der mit standardisierten E-Mail-Services eines Cloud-Providers verwaltet werden kann. "Hier kann die Nutzung von Public-Cloud-Lösungen unter Umständen eine durchaus sinnvolle Variante darstellen", kommentiert SIS-Mann Müller. Fach- und Führungskräfte, deren digitalen Nachrichten jedoch vertrauliche Informationen enthalten, erfordern ein hohes Maß an Sicherheit, das hoch standardisierte Cloud-E-Mail-Lösungen in der Regel nicht erfüllen.
Compliance-relevante Nachrichten, wie sie beispielsweise im Bereich Controlling und Buchhaltung entstehen, bedürfen der Nachweispflicht eines E-Mail-Managements und müssen den SOX-Richtlinien entsprechen. Dieser E-Mail-Typ würde wohl kaum in einer Public, sondern vielmehr in einer Private Cloud seinen Platz finden - ein besonders abgegrenzter Bereich einer Cloud mit besonderen Sicherheitsstandards. Alle drei E-Mail-Typen können indes von ein und demselben IT-Provider innerhalb einer "aggregated E-Mailbox-Landschaft" angeboten werden.
Die Folgen des Cloud Computing
Cloud Computing hat weitreichende Folgen: Das On-Demand-Modell verwandelt einfaches partielles IT-Outsourcing in ein Prozess-Outsourcing. IT-Dienstleister von morgen stellen nicht mehr nur einzelne IT-Services zur Verfügung - sie betreiben zugleich die dahinter stehenden Geschäftsprozesse. Diese Strukturen werden die Cloud künftig stärker in Form von Community Clouds prägen: Darunter versteht man branchenspezifische Cloud-basierte Plattformen, die es Akteuren aus Unternehmen, Dienstleistern, Freelancern und Kunden ermöglicht, "real time" zusammenzuarbeiten.
Die SIS hat zusammen mit der BBC den Prototypen einer Media Community Cloud entwickelt, mit deren Hilfe die BBC-Mitarbeiter, Journalisten anderer Medienanstalten, freie Journalisten, Medien-Konsumenten sowie Compliance-Akteure etwa aus Behörden über die Plattform zusammenarbeiten können. Die Vorteile aus der Sicht der BBC:
verringerte Time-to-Market durch Beseitigung manueller Engpässe in der Medienproduktion,
einfacher organisationsübergreifender Informationsaustausch (browser-basiert),
Zusammenarbeit in Echtzeit, erhöhte Sicherheit für noch nicht freigegebene Medienhalte,
geringe Einstiegskosten ohne Pre-Invest sowie
eine voll automatisierte, flexible Skalierbarkeit.
Die Plattform verfügt nicht nur über einen Datenspeicher von einer Million Terabyte, sondern erlaubt auch das Sichten, Bearbeiten, Downloaden und Versenden von Film- und Tonmaterial.
Unternehmens-IT nicht gefährdet
In der Euphorie, die aus dem Hype um Cloud Computing erwuchs, sehen viele Experten schon das Ende der Unternehmens-IT gekommen. Diese Entwicklung hält Cloud-Kenner Müller jedoch für wenig wahrscheinlich: "Es wird immer sicherheitskritische Daten geben, die unternehmensintern, und weniger kritische Daten, die Cloud-basiert gehalten werden. Die Hauptanforderung wird daher in Zukunft sein, bestehende IT-Systeme mit Cloud-Diensten zu einer Gesamtkonzeption zu verknüpfen und diese in einer hybriden Umgebung zu betreiben" - also einem Mix aus Cloud- und unternehmenseigenen Lösungen.