Die wöchentliche CIO-Kolumne

Comdefect

08.09.2003 von Johannes Klostermeier
Peinlich, peinlich: Nach dem Relaunch der Comdirect-Website, mit nach eigenen Angaben 130 Millionen Seitenabrufen allein im Mai 2003 eines der erfolgreichsten Online-Finanzangebote in Europa, ging zunächst kaum noch etwas. Nutzer hatten Schwierigkeiten, sich einzuloggen, Daten in den Musterdepots waren falsch, und die zuvor viel gelobte Übersichtlichkeit war perdü. Die Kritik in verschiedenen Finanzforen kochte über, Dutzende von Kunden drohten mit Kündigung.

Sonnabend, 26. Juli 2003. Der Relaunch der Comdirect-Seiten, der Online-Bank der Commerzbank, sollte für die dafür Verantwortlichen ein großer Tag zum Feiern werden, doch es wurde ein Fiasko, das bis heute andauert.

"Von Desaster kann überhaupt keine Rede sein; es sind schon viel schlimmere Dinge bei der Einführung neuer Software passiert", sagt zwar Stefan Kunze, Comdirect-Projektleiter beim Hamburger Internet-Dienstleister Sinnerschrader und Träger des Titels Managing Consultant Solution Center Financial Services.

Doch die Meinung in den Online-Foren auf den Comdirect-Seiten selbst und bei Finanzportalen wie Ariva.de und Wallstreet Online lassen es an Eindeutigkeit nicht fehlen: "Neues Design unausgereift und mit schwerwiegenden Pannen", schreibt etwa " Bernhard " und fordert weiter: "Neues Design sollte übersichtlicher und einfacher zu bedienen sein, stattdessen braucht man für jede Seite doppelt so viele Clicks, verglichen zu der alten Seite."

Die Übernahme bestehender Musterdepots und Watchlisten sowie vieler Nutzer-Daten funktionierte nicht mehr. Wer sein Passwort auf seinem Rechner gespeichert hatte, musste es neu eingeben, viele erinnerten sich aber nicht mehr. Dazu kam eine weitere unangekündigte Umstellung: Bestimmte Kombinationen aus Benutzername und Passwort lehnte die neue Website ab. Das Forum konnte wegen technischer Schwierigkeiten erst mit Verzögerung online gestellt werden.

Die FAQs zur neuen Website sind vier Seiten lang, darunter zahlreiche Systemvoraussetzungen, die sicherheitsbewussten Nutzern unangenehm sind, wie: Sie müssen fortan Cookies akzeptieren und Java Script aktivieren. Netscape-Nutzer mit den alten Versionen 4.7 oder 4.8 haben fortan das Nachsehen, genauso wie Apple-Kunden, die mit dem neuen Safari-Browser das Homebanking nicht nutzen können. Begründung: Es habe sich zur Planungszeit noch im Beta-Stadium befunden.

Offen drohten Dutzende Comdirect-Kunden mit ihrer Kündigung: "Der Kunde hat das kräftigste Werkzeug in der Hand - er kündigt und geht dorthin, wo seine Wünsche und Bedürfnisse beachtet werden", schreibt etwa " Zero ".

Dabei waren die Site-Entwickler von Sinnerschrader so stolz auf ihr neues Werk, an dem rund 20 Leute ein halbes Jahr lang intensiv gearbeitet hatten, dass sie am 30. Juli eine eigene Pressemitteilung herausbrachten. "Die Neukonzeption der Comdirect-Website wurde in persönlichen Interviews, einer Online-Erhebung und mehreren Usability-Tests auf intuitive Bedienbarkeit und Nutzerfreundlichkeit überprüft", hieß es dort.

Das Ergebnis der Zusammenarbeit mit den "Experten des Alltags", wie sie sich für Sinnerschrader darstellte: "An jeder Stelle der Comdirect-Website stehen nur noch die für die nächste Interaktion benötigten Informationen im Blickfeld. Die Website wirkt dadurch aufgeräumt und transparent, obwohl das Informationsangebot umfangreicher als bisher ist."

Der Relaunch der Comdirect-Website war eines der größten Projekte für Sinnerschrader; die Agentur ist aber nur für einen Teil der Umgestaltung verantwortlich. Sie bestand aus drei Systemen von drei verschiedenen Zulieferern: die Hamburger betreuten das System für Produktinformationen, Mitgliederdaten und Community. Das System für Transaktionen behielt die Comdirect selbst in der Hand. Dazu kamen die eingespielten Marktinformationen, die von der IS Innovative Software AG in Frankfurt am Main geliefert werden.

Trotz zahlreicher Tests vor dem Relaunch fielen zu Beginn der Umstellung reihenweise die Server aus. Projektleiter Kunze wiegelt freilich ab: "Es gab gewisse Instabilitäten. Wir konnten das so nicht simulieren. Realer Traffic ist eben immer anders", sagt er. Die bemängelten Fehler nennt er blumig einen "bunten Reigen von Themen, der nur zum kleinen Teil durch technische Probleme verursacht ist".

Wer schuld am Desaster ist, will keiner der Befragten öffentlich erklären. Comdirect-Sprecher Stephan Maaß sagt: "Alle versuchen, eine gute Site zu machen; es gibt keine Anschuldigungen."

Er verspricht auch Besserung nach einer Umgewöhnungsphase. Denn "wir bei Comdirect wollen die Kunden ja nicht umerziehen, sondern ihnen die Nutzerführung erleichtern im Sinne von Klickreduzierung." Konkret: In der nächsten Woche soll die "Informer"-Startseite persönlich individualisierbar sein. "Nageln Sie mich aber auf den Termin nicht fest", bittet er schon mal. Weitere Verbesserungen sollen folgen. "Technisch ist das Projekt abgeschlossen", sagt Kunze, und es klingt wie die Hoffnung, das Thema möge jetzt, endlich, ad acta gelegt werden.

Warum die vor den Veränderungen so erfolgreiche Site überhaupt umgestaltet wurde? Maaß: "Die alte war schon sechs Jahre alt, deswegen brauchten wir eine Neue. Zudem wollen wir das Directbanking sowie die Privat- und Vermögensberatung ausbauen."

Kunden habe die Comdirect durch die Online-Blamage nicht verloren, heißt es am Banksitz in Quickborn. Es habe ein normaler Austausch von Kunden stattgefunden, die Kundengewinnung sei jedoch stabil geblieben, versichert Comdirect-Sprecher Maaß.

Eine Konsequenz wollen die Web-Banker jedoch ziehen: Beim nächsten Relaunch wolle man die Kunden besser informieren und "genauer hinhören". "Die technischen und systembedingten Pannen haben den Relaunch bei vielen Nutzern teilweise so überschattet, dass die nachweisbaren Erfolge und Verbesserungen durch den Neustart manchmal überdeckt wurden", räumt Maaß immerhin ein. "Man hätte haarklein für den Allerletzten sagen müssen, was bei der Umstellung passiert." Denn "unzufriedene Nutzer sind auch nicht schön", hat man bei Comdirect gelernt.