Schampus wird sprudeln, und zwar nicht nur eine Flasche, wenn Commerzbank und Dresdner Bank technologisch verschmolzen sind. "Eine IT-Integration dieser Komplexität und Größe ist Neuland", sagt Peter Leukert. Der CIO der Commerzbank steckt mitten in der Migration beider Banken, die im Sommer abgeschlossen sein soll.
Eine erste Zwischenbilanz fällt positiv aus. Denn: Die Firmenleitung hat bei dem Projekt frühzeitig Entscheidungen getroffen, und diese werden in enger Zusammenarbeit von IT und Fachabteilungen umgesetzt. So stellt es Leukert jedenfalls dar.
Formal verschmolzen sind beide Unternehmen im Mai 2009. Damit ist das zweitgrößte Geldhaus Deutschlands, die Commerzbank, alleiniger Aktionär der ehemaligen Allianz-Tochter. Zu den knapp sechs Millionen Privatkunden der Commerzbank kommen gut fünf Millionen der Dresdner hinzu. Außerdem zählt die Commerzbank schätzungsweise 60.000 Firmenkunden in Deutschland, die Dresdner bringt rund 40.000 mit.
Bottom-up-Analyse dauerte ein Jahr
Glaubt man dem Commerzbank-CIO, hatte die Unternehmensspitze die Merger-Fähigkeit der IT von Anfang an im Auge. Dass die vergrößerte Commerzbank ihre Systeme auf die der Dresdner überträgt und nicht umgekehrt, will Leukert nicht als "Gutsherrenart" verstanden wissen. "Wir haben keine detaillierte Bottom-up-Analyse aller Anwendungen gemacht", erklärt er. Denn dies hätte ein gutes Jahr gekostet.
"Aber wir haben die Plattformen beider Banken schon während der Due Diligence vor der Übernahme etwa drei Monate lang auf Machbarkeit untersucht", so Leukert weiter. Danach fiel die Entscheidung für die "gelbe" Plattform (nach dem alten Logo der Commerzbank) und gegen die "grüne" (nach der Dresdner-Bank-Werbung).
Herausforderung: Kontonummern und Bankleitzahlen beibehalten
Eine der größten Herausforderungen bei der Umstellung auf durchgängig gelbe Systeme sieht Leukert darin, dass die Kunden Kontonummern und Bankleitzahlen behalten sollen. Erfahrungen anderer Institute hätten gezeigt, dass Verbraucher gerne mal die Bank wechseln, nur weil sie eine andere Kontonummer bekommen. Nach Aussage des CIOs werden diese Nummern in mehr als 600 Systemen verarbeitet. "Vom Aufwand her ist das mit dem Jahrtausendwechsel oder der Euro-Einführung vergleichbar", sagt Leukert mit einem Seufzer.
Eine weitere Herausforderung: Vor der Übernahme hatten beide Banken im Investment-Banking unterschiedliche Geschäftsmodelle verfolgt. Die neue Commerzbank will sich in diesem Punkt erweitern. Damit muss Leukert zwei Handelsplattformen der Dresdner Kleinwort (DKIB) in die neue Landschaft integrieren.
Als unproblematisch entpuppte sich dagegen ein weiterer Punkt: Die Dresdner Bank hatte Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung sowie den Rechenzentrumsbetrieb ausgelagert. Weil das der jetzt entstehenden Großbank keine Vorteile mehr bringt, sollten die Bereiche wieder ins Haus geholt werden. "Der Outsourcing-Vertrag für den Zahlungsverkehr läuft 2011 ohnehin aus", sagt Leukert. "Unklarheiten" wegen alter Verbindlichkeiten gebe es also nicht.
1000 Systeme der Dresdner Bank abgeschaltet
Insgesamt werden nach der Integration 1000 Systeme der Dresdner Bank abgeschaltet. "Dadurch, dass wir die Migration auf die gelbe Plattform früh entschieden und kommuniziert haben, konnten wir auch die erste Enttäuschung mancher Kollegen von der Dresdner Bank rasch überwinden", sagt Leukert. Womit er beim Thema Change-Management sei und bei der Bedeutung, die die strukturierte Einbindung aller Mitarbeiter in das Integrationsprojekt hat: "Jeder weiß schon seit Monaten, was seine Zielfunktion ist, und jeder kennt seinen künftigen Vorgesetzten", erklärt er.
Die 8 Meilensteine der Integration
Der IT-Chef unterteilt die IT-Migration in acht Meilensteine. In chronologischer Reihenfolge wurden SAP-Migration (SAP-Systeme für Human Resources und Finanzen), Markenmigration (Umstellung der Filialen, denn Commerzbank- wie Dresdner-Bank-Kunden sollen in jeder Filiale ihren Kontoauszug ausdrucken können) und die Umsetzung der Zielstruktur (zum Beispiel personalwirtschaftliche Umsetzung in SAP) bereits erledigt. Das war im ersten Halbjahr 2010.
Als Meilenstein Nummer vier wurde die Software harmonisiert, das heißt, die grünen wurden an die gelben Zielsysteme angepasst. Daran erinnert sich Leukert gut: Am Wochenende 14./15. August 2010 fand diese "größte und komplexeste Aufspielung neuer Software in der Geschichte der Bank" statt. Rund 1000 Mitarbeiter waren im Drei-Schichten-Betrieb rund um die Uhr im Einsatz. Laut Frank Annuscheit, im Commerzbank-Vorstand für den Bereich Services verantwortlich, hat das Institut die Kapazität der Systeme dafür deutlich erhöht.
Auch der nächste große Schritt, die Entwicklung der Drehscheibe zur Transformation der grünen Daten in die gelben Systeme, ist abgeschlossen. Dieser Meilenstein zerfiel in sieben Einzelschritte, von der Entwicklung einer Migrationsstrategie über das Festlegen von Konvertierungsregeln bis zu Implementierung und Testing. Bei diesen Teilprojekten hat Leukert punktuell mit externen Dienstleistern gearbeitet.
2 Testumgebungen simulieren komplette Bank
Meilenstein Nummer sechs, die Tests der Migration (auf Korrektheit, Vollständigkeit, Funktionalität und Performance), ist jetzt in Arbeit. Dazu hat die IT zwei produktionsnahe Testumgebungen aufgebaut. Sinn der Sache ist, mit der EDV fast die komplette Bank zu simulieren. Im April will der CIO mit dem Testen fertig sein.
Danach soll die Migration der grünen Kunden- und Produktdaten erfolgen, bis die Systeme der Dresdner Bank im letzten Schritt archiviert und abgeschaltet werden. Läuft alles nach Plan, geschieht das Ende 2011.
Parallel zur technischen Verschmelzung arbeitet die Bank an ihrem neuen Erscheinungsbild. In 45 Ländern finden Aktivitäten rund um die Fusion statt, allein im Inland werden 1600 Standorte auf den neuen Markenauftritt umgestellt.
Integration kostet 2,5 Milliarden Euro
Die Kosten der Integration beziffert Leukert auf insgesamt 2,5 Milliarden Euro. Die Bank rechnet mit Einsparungen durch Synergieeffekte von rund 2,4 Milliarden Euro jährlich, davon circa 400 Millionen in der IT. Insgesamt fallen im Rahmen der Integration 9000 Stellen weg. Allerdings musste die jetzt entstandene Bank circa 45.000 Mitarbeiter in die neue Organisationsstruktur übernehmen - verbunden mit dem entsprechenden IT-Aufwand bei Personalsystemen, Zugangs- und Identitäts-Management. "Das haben wir noch nicht voll automatisiert", berichtet Leukert.
Zu Spitzenzeiten arbeiten 4500 Menschen an dem Mammutprojekt, davon etwa 2000 IT-ler. Der CIO kennt kein vergleichbares IT-Integrationsprojekt im deutschsprachigen Bankensektor. "Es gab keine Blaupause, an der wir uns orientieren konnten", sagt er. Laut Leukert gewinnt die Bank aber nicht nur finanzielle, sondern auch kulturelle Vorteile: "IT und Fachbereiche arbeiten während der ganzen Integration eng zusammen", berichtet er. "Ich hoffe, wir können in Zukunft von dieser gestärkten Kultur der Kooperation auch im Alltagsgeschäft profitieren." Darauf einen Schampus.