Kosten reduzieren, ohne sich die Zukunft zu verbauen - was für die gesamte Finanzbranche in Deutschland wie eine bestandssichernde Zauberformel klingt, wird in einem Teilbereich von der Commerzbank umgesetzt. Siemens Information and Communication Networks (ICN) kümmert sich seit Oktober vorigen Jahres um die Telefoninfrastruktur der Frankfurter.
Es ist einer der größten Aufträge aus der Welt der immer enger zusammenwachsenden Telefon- und Datennetze: 33 Millionen Euro ist das Projekt schwer, und es umfasst 820 Telefonanlagen an 750 Standorten der Bank. Siemens ICN übernimmt damit die gesamte Telekommunikationsausrüstung der Banker.
Stück für Stück werden die alten Telefonkomponenten nun ausgetauscht, in sechs Jahren soll die Commerzbank im Idealfall bei der Sprachkommunikation vollständig IP-basiert arbeiten. Eine richtige Entscheidung, finden Berater. "Vor allem in der Industrie ist der Nutzen von Voice over IP deswegen mittlerweile unstrittig", sagt Roman Friedrich, Telekommunikationsexperte bei der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton.
Verknüpfung mit CRM angestrebt
Durch die Zentralisierung des Systemmanagements in der Zentrale der Commerzbank in Frankfurt kann eine Vielzahl von Einzelvorgängen im Kostenstellenmanagement abgebaut werden. "Die historisch gewachsene Systemlandschaft soll weiter standardisiert und zentral administrierbar gemacht werden", erklärt Dirk Sterner, Vendor Manager für ICN bei Siemens Financial Services in München, den Auftrag seines Kunden. Auch erlaubt es der Umstieg auf die Voice-over-IP-Technologie, Telefonfunktionalitäten einfacher als bisher mit Datenanwendungen wie CRM-Systemen zu verknüpfen und so bei Bedarf neue Serviceangebote zu entwickeln.
Hintergrund des Geschäfts ist eine Finanzkonstruktion, die es für die Bank besonders interessant machte, den schrittweisen Übergang in die IP-basierte Sprachkommunikation zu wagen. Bislang ist der Umstieg auf eine so genannte konvergente IP-Infrastruktur, bei der die Telefondienste und die Datenübertragung über das Internet-Protokoll (IP) abgewickelt werden, eine Entscheidung, die zunächst einmal teure Investitionen verlangt.
Dieses Geschäft beruht dagegen finanziell auf einer Leasing-Vereinbarung. Zunächst kauft Siemens die Telefonanlagen von der Commerzbank, die Bank leiht sie dann zu festgelegten Raten zurück. "Die Anlagen sind nicht mehr in der Bilanz der Commerzbank und werden bei uns aktiviert", erklärt Sterner. "Dass der Kunde auch mit buchhalterischen Problemen wie der Nachaktivierung beziehungsweise Änderung des Anlagenbestandes nichts mehr zu tun hat, ist eine zusätzliche Dienstleistung." Wenn im Laufe der Zeit die alten Anlagen gegen die neue Technologie von Siemens ICN ausgetauscht werden, hat dies keinen Einfluss auf die Ratenhöhe. Eigentümer der neuen Infrastruktur ist Siemens Financial Services.
"Wir sind mit der Lösung sehr zufrieden", sagt Roland Schneider, Leiter Netz-Services im Zentralen Servicebereich Information Technology Production der Commerzbank. "Wir können auf diesem Weg Kosten reduzieren und sicherstellen, dass wir immer State-of-the-Art-Technologie zur Verfügung haben.
Obwohl die Commerzbank damit die Telefon-Infrastruktur in gewisser Hinsicht aus der Hand gibt, hat das Geschäft mit klassischem Outsourcing wenig zu tun. Siemens übernimmt keine Commerzbank-Mitarbeiter, und die Frankfurter werden auch in Zukunft mehr tun, als nur Service Level Agreements zu unterschreiben. Die Entscheidungen über weitere technische Innovationen werden in gemeinsamen Absprachen gefällt, die Entscheidungskompetenz bleibt bei der Commerzbank.
"Wir lassen uns die Steuerung nicht aus der Hand nehmen", sagt Commerzbank-Manager Schneider. Die Vereinbarung erlaubt es der Commerzbank, sich Schritt für Schritt an neue Technologien anzunähern und sie ohne Investitionsrisiko auf ihre Praxistauglichkeit hin zu überprüfen. "Die nun gewählte Lösung kombiniert finanzielle und bilanzielle Vorteile mit der Möglichkeit, technische Rahmenbedingungen im Zuge des Projektplans abzustimmen", sagt Siemens-Experte Sterner.
Investitionsschutz
Im Vordergrund des Umbaus steht der Investitionsschutz: Die Bank verfügt über eine Reihe von Anlagen, die gut arbeiten, aber nicht IP-fähig sind. Sie um des Umbaus willen zu ersetzen wäre unsinnig. Zudem beschäftigt die Commerzbank nach wie vor etliche Administratoren für diese Geräte. Bei einem Sofortumbau müssten alle auf einen Schlag geschult werden. Ihr Know-how und ihr Arbeitspotenzial bleiben dem Unternehmen beim sanften Wandel eher erhalten.
Mit dieser Entscheidung umschifft die Bank auch einige Klippen, was die interne Akzeptanz der TK-Übernahme angeht. Denn unumstritten war die Entscheidung nicht, die Telefonanlagen aus der Hand zu geben, hört man aus der Frankfurter Zentrale. Dass verkauft und zurückgemietet wird, beruhigte viele, die um ihre Aufgaben bei der Bank fürchteten.
Trend zu Leasing-Modellen
Flexible Technologien, gepaart mit flexiblen Finanzierungsmodellen - das könnte in Zukunft häufiger die Erfolgsformel für VoIP-Deals werden, glaubt Sterner: "Der Kauf von TK-Anlagen bei Großkunden ist zwar bislang noch Standard, aber es ist ein deutlicher Trend festzustellen, dass Leasingfinanzierungen zunehmend nachgefragt werden. Solche Investitionen zahlen die Unternehmen nicht aus der Portokasse. Sie sind ein wesentliches Element der IT-Strategie und müssen auch neuen Anforderungen wie zum Beispiel internationalen Bilanzierungsstandards wie etwa US-GAAP und IAS, Rechnung tragen."
Beim Mitbewerber Avaya, der ebenfalls im Geschäft mit der IP-Kommunikation tätig ist, hört man Ähnliches. "Ganz klar spielt heute bei der Entscheidung für einen ITK-Anbieter dessen Angebot an flexiblen Finanzierungsmodellen und Dienstleistungen eine gewichtige Rolle", sagt Uwe Kreuter, Director Sales bei der Avaya Deutschland GmbH. "Kunden bevorzugen heute zunehmend die Zusammenarbeit mit nur einem Hersteller, der ihnen ein Rundum-Paket anbieten kann. Immer mehr Hersteller folgen diesem Trend und offerieren ihren Klienten alleine oder im Zusammenspiel mit einem Partner alternative Finanzierungsmodelle und Dienstleistungspakete.
Umstieg in den nächsten sechs Jahren
Die erste Stufe des Siemens-Commerzbank-Projekts ist mittlerweile abgeschlossen. "Sie beinhaltete eine Bestandsaufnahme durch die Siemens-Fachleute. Etwa zwei Drittel der vorhandenen Systeme kam von Siemens, der Rest von anderen Herstellern", erinnert sich Sterner. In der Vergangenheit hatten die einzelnen Unternehmenseinheiten dezentral entschieden, wo sie ihre Anlagen kauften und sie warten ließen. "Diese Vorgehensweise impliziert meist höhere Folgekosten beim Betrieb der Anlagen", sagt der Siemens-Experte. Auf Basis der Bestandsaufnahme hat ein Team aus Siemens- und Commerzbank-Mitarbeitern nun einen Entwicklungsplan für die nächsten sechs Jahre entworfen, in dem Schritt für Schritt der Übergang in die IP-basierte Kommunikationswelt vorgezeichnet ist.
Die zweite Projektphase läuft derzeit. Sie beinhaltet den Austausch der Anlagen, die nicht von Siemens stammen. Sie werden Schritt für Schritt durch IP-fähige Telefonanlagen ersetzt. Ob am Ende überhaupt ein durchgängig IP-basiertes Konvergenznetz stehen wird, ist aber noch unklar. "IP soll nur da möglich gemacht werden, wo es zur Unterstützung oder Verbesserung der Geschäftsprozesse Sinn macht", sagt Sterner. Die Evolution findet nur dort statt, wo es sinnvoll ist, etwa beim direkten Telefonverkehr zwischen den Filialen. Wo Funktionalitäten wie die Anrufweiterleitung auf IP-Basis weniger performant arbeiten als über die klassische Infrastruktur, werden diese Vermittlungsprozesse lediglich im Sinne der zentralen Mess- und Administrierbarkeit in der neuen Schaltstelle in Frankfurt erfasst, im Kern aber technisch nicht angerührt.