Nicht nur in Deutschland gibt es immer wieder negative Schlagzahlen, was die Effizienz und die Bezahlbarkeit des Gesundheitswesens betrifft. Was einmal als selbstverständlich war– die ärztliche Versorgung der Bevölkerung ist und bleibt aufgrund ihres besonderen Charakters ein Zuschussgeschäft ähnlich wie das Schul- und Universitätssystem –, gilt so seit einigen Jahren nicht mehr. Insgesamt ist das Gesundheitswesen zu einer Sphäre von Investition und finanziellem Ertrag erklärt worden.
Eine solche Entscheidung hat Folgen. Leistungen für die Gesundheit sind plötzlich nicht nur unter den Gesichtspunkten von bestmöglicher Vorsorge und Heilung zu betrachten, sondern die Kostenüberlegungen rücken immer weiter nach vorne. So sollte die Einführung einer Praxisgebühr vor zehn Jahren dazu dienen, die "Patientenströme zu lenken" – sprich die Leute davon abzuhalten, (zu) oft zu einem Arzt zu gehen. Wie man jetzt hört, hat das nicht funktioniert. Auch die netten Einnahmen über die Jahre hinweg sind jetzt kein Argument mehr – man braucht sie schlicht im Moment nicht.
Mit anderen Worten: Das deutsche Gesundheitswesen ist im Ganzen betrachtet profitabel. Krankenkassen erzielen Überschüsse, und auch die vielerorts bereits dominierenden Krankenhausketten in privater Hand lohnen sich. Dennoch wollen die Stimmen nicht verstummen, die eine baldige Pleite des Gesundheitswesens voraussagen.
Gesundheitssystem auf Dauer nicht finanzierbar
So erklärte der Chef der Berliner Charité, Karl Max Einhäupl, am 29.12.2012 in der FAZ das Gesundheitssystem auf Dauer nicht mehr für finanzierbar. Wörtlich führte er aus: "Die Innovationszyklen werden immer kürzer, aber die Innovationskosten steigen. Das wird auf die Dauer nicht zu finanzieren sein. Eines Tages könnte das dazu führen, dass es zwei verschiedene Klassen von Patienten gibt: Die Menge, die nur die Basisversorgung erhält, und die wenigen, die sich privat eine bessere Versorgung leisten können. Es könnte zu einer Entsolidarisierung des Gesundheitssystems kommen."
Hilfe könnte aus den USA kommen. Dort diagnostiziert die Beratungsgesellschaft Booz & Company einen fundamentalen Wandel im Gesundheitswesen: Die "Consumerization" sei drauf und dran, das Healthcare-System zu transformieren. Denn den Patienten oder "Konsumenten" des Gesundheitswesens würden ganz neue Aufgaben beim Management ihrer eigenen Befindlichkeiten, Krankheiten oder gesundheitlichen Probleme zukommen.
Entwicklung in den USA: Gesundheit privatisiert
Als Beispiel verweisen die Autoren von Booz & Company auf die Ausdehnung von medizinischen Beratungszentren in den USA, die vermehrt in der Nähe von Ladenketten oder großen Malls eröffnet würden. Große Versicherungen oder andere Organisationen wie Highmark, Florida Blue oder United Healthcare würden direkt neben Lebensmittel- oder Bekleidungsläden solche Zentren eröffnen. Damit reagieren sie auf die wachsende Unsicherheit vieler Patienten (Konsumenten), wie sie mit den Leistungen und beständigen Reformen des Gesundheitswesens zurechtkommen sollen.
Indem die Krankenversorgung immer mehr privatisiert wird, indem Unternehmen aus ihrer Verantwortung aussteigen und alles den Arbeitnehmern überlassen, gibt es laut Booz & Company einen steigenden Bedarf an Beratung. Wie soll man sich als einzelner verhalten, welche Versicherungen abschließen, und was kostet das Ganze?
"Consumerization" steht dabei vor allem für den Wandel eines Gesundheitssystems von einer Business-to-Business- (B2B) zu einer Business-to-Consumer-Ausrichtung (B2C). Bisher wären die einzelnen Personen mehr von Versicherungen und anderen Healthcare-Organisationen verwaltet worden. Ihre individuellen Meinungen und Wünsche seien zweitrangig gewesen. In einem Gesundheitswesen nach B2C-Prinzipien, das sich jetzt allmählich herausbilde, soll den Patienten/Konsumenten eine mehr aktive Rolle zukommen.
Healthcare-Player sollen sich "consumer-centric" aufstellen
In der Folge dieser Entwicklung müssten sich alle Healthcare-Player mehr "consumer-centric" aufstellen. Laut Booz & Company gelte das nicht nur für die USA, sondern für alle westlichen Industrieländer, in denen neue wirtschaftliche Verhaltensweisen im Healthcare-Bereich eingeführt würden. Darüber hinaus spielten die IT und neue Systeme zur Erfassung, Verwaltung und Analyse von Patientendaten (Big Data) eine immer wichtigere Rolle. Diese Tendenz wird auch in einem höchst interessanten Artikel der New York Times über das amerikanische Gesundheitswesen und die „stimuli" der Obama-Administration und ihre Effekte bestätigt: "A Digital Shift on Health Data Swells Profits in an Industry" (New York Times, 19.02.2013).