Systemverfügbarkeit oder Netzwerkauslastung: Rufen Anwender wegen langsam reagierender Programme beim Helpdesk an, sind es meist solche Monitoring-Kennzahlen aus dem IT-Betrieb, anhand derer die Experten ein mögliches Problem orten können. Wie lange der einzelne Nutzer nach dem Mausklick tatsächlich auf die Reaktion eines Programms wartet, entzieht sich dabei der Betrachtung. Bei Automobilzulieferer Continental hat man nun erste Schritte unternommen, das Funktionieren und die Reaktionszeit von Anwendungen direkt in der Wahrnehmung der Anwender in den Fokus zu rücken - also die sogenannte "Enduser Experience".
"Applikationsleitstand" nennt Bernhard Thomas das Konzept einer End-to-End-Kontrolle von Geschäftsapplikationen. Thomas ist als CTO für die IT-Infrastruktur-Strategie bei Continental zuständig und berichtet an CIO Elisabeth Hoeflich. Bisher ist der Applikationsleitstand als Prototyp für zwei Pilot-Anwendungen aufgesetzt. Zusätzlich soll künftig die Enduser Experience an den PC-Arbeitsplätzen der Anwender insgesamt gemessen werden. Das Bewusstsein dafür, wie wichtig Anwenderzufriedenheit ist, sei schon weit verbreitet, so Thomas. Bei der Umsetzung stehe die Continental IT aber noch am Anfang.
Damit ist die Situation bei Conti ganz typisch für den Umgang von Unternehmen in Deutschland mit der Frage, wie sich erheben lässt, wie Anwender die IT an ihrem Arbeitsplatz erleben und erfahren. Laut einer Umfrage, die der IT-Dienstleister Beck et al. Services mit Sitz in München bei Pierre Audoin Consultants (PAC) in Auftrag gegeben hat, erhebt die Mehrzahl der Unternehmen IT-Kennzahlen. Am häufigsten messen sie die Verfügbarkeit von Backend-Systemen. 69 Prozent tun das.
64 Prozent der 100 Befragten aus Firmen mit mindestens 500 Mitarbeitern zählen Incidents. Jeder Zweite gab an, die Zeit für die Behebung von Fehlern zu messen, und 37 Prozent befragen Anwender nach ihrer Zufriedenheit. Ein Drittel der Unternehmen verzichtet laut der Umfrage ganz darauf, regelmäßig Kennzahlen zu erheben.
Noch weit weniger verbreitet als die Messung solcher Kennzahlen ist eine End-to-End-Messung, wie sie auch Thomas mit dem Leitstand-Konzept anstrebt. In 43 Prozent der befragten Firmen messen die Verantwortlichen automatisch, wie lange Anwender für IT-unterstützte Aufgaben brauchen. In 29 Prozent messen sie die Zeiten für Aufruf und Nutzung von Anwendungen. Nur 18 Prozent erheben Daten darüber, wie verfügbar Desktopanwendungen sind.
Personalmangel verhindert End-to-End-Messung
Als Grund gegen eine End-to-End-Messung führen Unternehmen am häufigsten Zeit- und Personalmangel an. Bei 79 Prozent der Befragten verhindert er so eine Messung. 54 Prozent klagten, sie hätten kein Budget dafür. 44 Prozent allerdings sehen auch gar keinen Handlungsbedarf.
Vielen scheint noch unklar zu sein, wie sie mit dem Thema umgehen sollen, beobachtet Siegfried Lautenbacher, Geschäftsführender Gesellschafter von Beck et al. Daher habe man in der Umfrage gezielt Barrieren und Probleme bei der Umsetzung erfragt. "Viele fassen das Thema mit Samthandschuhen an - was verständlich ist, da es hier nicht allein um die Interessen der IT geht, sondern auch Anwender und Management ins Boot geholt werden müssen", sagt er. Continental-CTO Bernhard Thomas sieht die Herangehensweise seines Unternehmens nicht ganz so zaghaft. Immerhin habe man das Leitstand-Konzept schon 2009 aufgegriffen. Aber auch Thomas sagt, es habe noch "eine gewisse Zeit gedauert", bis er und seine Abteilung sich auch systematisch an das Thema Nutzererfahrung angenähert hätten.
IT-Qualitätskonzept bei Continental seit 2007
Seit 2007 kümmere sich die IT bei Continental verstärkt um ein ganzheitliches IT-Qualitätskonzept, so Thomas. "Wir haben mittlerweile ein ziemlich ausgefeiltes Konzept für IT Quality entworfen", berichtet er. Der CTO wollte nicht länger nur Betriebskennzahlen wie eben die Verfügbarkeit von Systemen erheben. Er stellte die Frage, wo eigentlich die Interessen der Stakeholder in Sachen IT-Qualität liegen - dazu zählt er neben Anwendern und dem IT-Management auch die Business-Verantwortlichen bis hin zum Vorstand. Als Basis für die durchgängige Messung der Nutzererfahrung gelten mittlerweile die Dimensionen, die auch Beck et al. in der Umfrage als Definition zugrunde legt: Neben der Verfügbarkeit auch die Nutzbarkeit von IT-Anwendungen aus Sicht der Endanwender.
Nicht berücksichtigt wird in der Messung der User Experience die Anwenderzufriedenheit - und zwar ganz bewusst, wie Bernhard Thomas erläutert. Gemäß dem von amerikanischen Wissenschaftlern aufgestellten Gap-Modell flössen darin zu viele Erwartungen ein, deren Erfüllung die IT nicht beeinflussen könne. "Trotz Top-Usability und höchster Verfügbarkeit kann es sein, dass ein Nutzer aus einer nicht erfüllten Erwartungshaltung oder vergangenen negativen Erfahrungen heraus ein nachteiliges Urteil fällt", sagt Bernhard Thomas. "Anwenderzufriedenheit lässt sich nur mit ausgefeilter Umfragetechnik sinnvoll messen und analysieren, und erst recht nicht nur durch gute Kennzahlen verbessern."
Auch ohne diese Nutzersicht klafft beim Thema User Experience eine Lücke anderer Art: die zwischen Anspruch und Wirklichkeit der IT-Abteilungen. Mehr als zwei Drittel der Befragten in der PAC-Studie gaben an, die Enduser Experience zu verbessern, sei Merkmal einer guten IT-Abteilung. Fraglich ist aus Sicht von Beck et al. aber, wie sich das ohne Messung besonders für das Business darstellen lässt. Denn fast ein Drittel der Befragten gab an, ganz auf eine Messung zu verzichten - damit fehlt ihnen die Basis, um die Performance zu beurteilen. Aus diesem Grund verwundert es aus Sicht der Studienautoren nicht, dass es nicht die IT ist, die das Thema vorantreibt. 58 Prozent der Befragten sagten, es werde hauptsächlich vom Business getrieben. Bernhard Thomas zählt sein Unternehmen nicht zu dieser Mehrheit. "Bei uns ist sich die IT selbst des Themas bewusst. Wir warten nicht, bis das Business damit zu uns kommt", sagt er.
Dashboard zeigt Funktionieren einzelner Komponenten
Zur Umsetzung ist der Anwendungsleitstand ein wichtiges Instrument. In einem Dashboard zeigt er das Funktionieren der einzelnen Komponenten an, die alle in einem Service stecken. Also: Ist die Datenbank verfügbar, auf die ein Anwendungssystem bei einer Abfrage zugreift? Funktioniert die Netzwerkverbindung des Anwenders? Läuft die Anwendung auf seinem Arbeitsplatzrechner sauber? "Monitoring-Signale aus einzelnen Komponenten werden dargestellt in Bezug auf den ganzen Applikationsbaum oder - in unserer Architektur - auf den Service-Tree", beschreibt Thomas. Umgekehrt könne der Zustand durch "Probes" überprüft werden, also mittels automatischer Testinteraktionen.
Damit diese Sicht möglich wird, muss die IT-Abteilung die "Elemente der Architektur einer Applikation identifizieren", wie es Thomas beschreibt. Der CTO und sein Team profitieren dabei davon, dass die IT-Infrastruktur bei Continental nach Services im Sinne einer SOA aufgebaut ist. "Dadurch haben wir wieder verwendbare Elemente wie einen Storage-Service oder Infrastruktur-Services - alles auf einer Ebene, die den User nur indirekt interessiert. Wichtig ist, was ‚oben’ ankommt", erklärt Thomas. Diese Modularität erleichtere es der verantwortlichen Abteilung, die in einzelnen Anwendungen steckenden Bestandteile zu überwachen und die Signale im Dashboard zusammenzuführen.
Monitoring-Landschaft ergänzen
Der nächste Schritt ist dann die Suche nach Monitoring-Werkzeugen, die das Funktionieren der Komponenten in einem Service oder hinter einer Anwendung signalisieren können. Noch nicht für alle Elemente hat Bernhard Thomas geeignete Monitoring-Tools evaluiert. Bestehende operative Tools nutzt er nach Möglichkeit weiterhin. Die Monitoring-Landschaft zu ergänzen und zu konsolidieren steht auf seiner Agenda für die nächsten zwölf Monate. Danach soll die Überwachung, die bisher auf einzelne Key User begrenzt ist, über alle beteiligten Arbeitsplätze einer Applikation ausgerollt werden. Anschließend will Bernhard Thomas das Konzept von den Pilotanwendungen auf weitere Applikationen ausdehnen.
Messbare Verbesserungen im IT-Betrieb hat das Projekt bei Continental noch nicht gebracht, da es erst im Pilotstadium steckt. In der Studie für Beck et al. zeigten sich bei Firmen, die Kennzahlen der Enduser-Experience messen, unter anderem höhere Effizienz im IT-Betrieb, zufriedenere Anwender und bessere Kommunikation zwischen Business und IT.
Nutzererfahrung noch nicht umfassend gemessen
PAC teilte die befragten Unternehmen nach den Ergebnissen der Studie in vier Gruppen ein: vom Verweigerer über Einsteiger und Fortgeschrittenen bis zum Vorreiter. Siegfried Lautenbacher von Beck et al. ordnet Continental auf der Skala derzeit als Einsteiger ein, der bereits konkrete Ziele hat. Das Thema Enduser Experience stehe immerhin schon auf der strategischen Agenda. Gemessen wird die IT-Nutzererfahrung dagegen noch nicht umfasssend, und in Geschäftsabläufe integrierte Kennzahlen gibt es auch noch nicht.
Der Automobilzulieferer kann auf diesem Feld also noch mehr tun, wie auch Bernhard Thomas einräumt. Immerhin: Der CTO sieht sich schon klar auf dem Weg in die Kategorie Fortgeschrittene - die Messung der Enduser Experience sei ja schon weitgehend vorbereitet.