Wenn Martina Girkens, Vice President und Head of Corporate Function IT bei Continental AG, über das Social Enterprise redet, dann geht es nicht um die Frage: "Hype oder Trend?" Die weltweite interne Nutzung von Methoden und Tools sozialer Netze ist bei den Hannoveranern längst Realität, seit Continental mit dem Projekt ConNext die Netzwerkkultur als Organisationsmodell verankert hat.
Vor diesem Hintergrund betont Girkens, warum funktionierende Netzwerke für den Automobilzulieferer so wichtig sind: Naturereignisse etwa wie ein Vulkanausbruch oder ein Tsunami können die Verfügbarkeit von Elektrobauteilen am Produktionsstandort und damit die Lieferfähigkeit beeinträchtigen. Hinzu kommen steigende Anforderungen des Marktes. Im Automobilbereich bestimmt der Hersteller, welchen Preis er für ein Teil zahlt. Der Zulieferer muss mit schwankenden Kosten und Verfügbarkeiten von Rohstoffen umgehen können.
Zudem beschleunigt sich das Innovationstempo: Gibt es etwa eine technische Neuerung im Premium-Segment, erwarten die Hersteller ihre schnelle Umsetzung auch für kostengüns-tigere Modelle. Das geht nur mit neuen Verfahren, für deren Entwicklung den Zulieferern nur wenig Zeit bleibt.
Neue Form der Zusammenarbeit
Dem Topmanagement bei Continental wurde spätestens 2010 klar, dass sich steigende Anforderungen auf Dauer nicht erfüllen lassen, indem die Beschäftigten immer mehr arbeiten. Vielmehr kommt es darauf an, die Arbeitszeit besser auszunutzen, und zwar auf der Ebene einzelner Alltagsprozesse, indem Mitarbeiter in der Produktentwicklung über Zeitzonen hinweg zusammenarbeiten. Soziale Netze sollen helfen, Know-how-Träger organisations- und prozessübergreifend in Abläufe zu integrieren und an das Unternehmen zu binden.
ConNext ist kein IT-Projekt
Das Projekt ConNext wurde von der IT-Organisation initiiert, ist aus Sicht von Girkens jedoch kein klassisches IT-Projekt: "Uns ging es nie darum, eine technische Plattform zu implementieren. Ziel war von Anfang an die Entwicklung des Unternehmens", schildert sie die Hintergründe des Vorhabens. Das Projektteam setzt sich zusammen aus den Bereichen Corporate Communications, Human Resources, Quality- und Knowledge-Management und Information Technology. Als interne Social-Media-Plattform ist ConNext darauf ausgerichtet, Mitarbeiter dabei zu unterstützen, Kontakte aufzubauen, Informationen zu teilen, Feedback zu geben und über organisatorische Grenzen hinweg zu kooperieren. Die hier-archische Organisationsstruktur wird damit nicht aufgelöst, sondern durch die Netzwerkstruktur ergänzt.
Funktional beinhaltet ConNext so ziemlich alles, was Web-2.0-Technik für das Social Enterprise zu bieten hat. Jeder Teilnehmer kann ein eigenes Profil erstellen und Gruppen oder "Communities" zu beliebigen Fachgebieten einrichten. Eine zentrale Suchfunktion ermöglicht die integrierte Recherche von Daten, Dokumenten und Personen zu einzelnen Themen. Das erleichtert das Finden von vorhandenen Kompetenzen, Wissen sowie Arbeitsergebnissen, was wiederum die Konzeption von Projekten und die Zusammenstellung von Teams unterstützt. In Blogs, Foren und anderen sozialen Medien können Mitarbeiter alle Informationen veröffentlichen, die sie für relevant halten. Sie können die Beiträge anderer diskutieren, ergänzen, kommentieren oder korrigieren sowie taggen und liken. Genutzt werden diese Funktionen etwa für konzernweite Initiativen zu den Themen Qualität und Lean Processes.
Klarnamen sind obligatorisch
Eine Vorabkontrolle von Posts gibt es nicht, auch keine Vorgabe, welche Sprache zu verwenden ist - Continental setzt auf die Eigenverantwortung der Mitarbeiter. "Entgleisende" Beiträg werden als unpassend gemeldet und von der Redaktion gelöscht. Da es keine anonyme Anmeldung im Firmennetz gibt, tritt der Fall nur selten ein.
Dass die Führungsspitze bei Continental nicht nur Ziele vorgibt und das Projekt steuert, sondern selbst im Netz aktiv ist, zeigt das Beispiel von Personalvorstand Elke Strathmann. Sie hat eine Diskussion zu der Frage begonnen: "Wie kann das Unternehmen Continental attraktiver für Frauen werden?" An der Diskussion beteiligten sich Mitarbeiterinnen weltweit, auch aus China und Indien
Insgesamt sind derzeit rund 20.000 User im System aktiv. Problematisch ist noch die Beteiligung von Mitarbeitern in der Produktion, weil sie keinen eigenen PC haben und sich gemeinsam genutzte Terminals als kaum praktikabel erwiesen haben. Eine Idee sieht vor, mit Windows 8 einen Stick mit einer elektronischen Identität zu erstellen, den die Mitarbeiter dann mit privaten Geräten nutzen können.
Heterogene Systemarchitektur
Die technische Realisierung der Plattform basiert auf IBM Connections. "Wir haben ein Modell gewählt, das die Profile in den Mittelpunkt stellt und nicht eine bestimmte Art von Dokumenten", begründet Girkens die Wahl. Connections stellt Kernfunktionen wie Profile und Social Tagging, Tasks, Wikis, Communities und Blogs bereit. Darüber hin-aus kommen weitere Tools verschiedener Hersteller zum Einsatz: Lotus Sametime für Webconferencing, Instant Messaging und Screen Sharing, Lotus Notes für E-Mail, Core Media als Content-Management-Sys-tem für Internet und Intranet. Der komplette Bereich des Collaborative-Document- Managements wird mit Microsoft Sharepoint Foundation abgebildet.
Funktionen schrittweise ausgebaut
Das Frontend des Systems wurde bewusst einfach gehalten. Beim ersten Einloggen gibt es nur einen Menüpunkt Profil. Hier kann der Benutzer seine Angaben machen, ein Foto von sich hochladen und sich mit anderen Teilnehmern vernetzen. Die Funktionalität wird schrittweise auf- und ausgebaut. Das erleichtert der IT die technische Umsetzung und den Mitarbeitern die Eingewöhnung. Im Juni 2011 wurden zunächst Sharepoint Work Spaces eingeführt, im Oktober folgten Instant Messaging und Conferencing. Seit März 2012 stehen die Profile, Bookmarks und Microblogging zur Verfügung, im April folgte die Enterprise-Suche. Gegenwärtig werden Blogs und Filesharing eingeführt. "Diese Vorgehen hat sich in der Praxis sehr bewährt", berichtet Girkens. "Die Mitarbeiter fragen von sich aus nach mehr Funktionalität - etwa in Form von Wikis. Über die Akzeptanz der Lösung müssen wir uns also keine Sorgen machen."
Vernetzung auch kulturell
Um die Tools unternehmensweit auszurollen, setzt das Projektteam von ConNext auf ein Guide-Konzept: 400 Mitarbeiter wurden zu Trainern ausgebildet, die für je 200 Kollegen kurze Einführungen geben und als Ansprechpartner bei Fragen und Problemen zur Verfügung stehen sollen. Dafür sind jeweils zehn Prozent ihrer Arbeitszeit eingeplant. Mit dieser Unterstützung sollen bis Ende 2013 mindestens 50 Prozent der 95.000 potenziellen Teilnehmer als aktive Netzwerker gewonnen werden. (Computerwoche)